Abb. 3.13 Unterschiedliche ipRGC-Signalbahnen wirken auf das Lernen und die Stimmung aus. Quelle: TU Darmstadt (nach [21]).
3.3.2.2 Allgemeine Lichtwirkungen auf Kognition, Emotion und Wachheit [26]
Es gab in der jüngsten Vergangenheit eine Reihe von neurologischen Untersuchungen, die nachwiesen, dass die ipRGC-Signale auf unterschiedliche Gehirnregionen projizieren. Dazu zählen:
• ventrolateral preoptic nucleus (VLPO), ein Bereich des Hypothalamus, der schlafaktive Neuronen enthält,
• lateral hypothalamic area (LHA, s. Abb. 3.10), ein Bereich, der sog. orexinergic neurons zur Regulierung von Wachsamkeit beinhaltet,
• olivary pretectal nucleus (OPN) zur Regulierung des Pupillendurchmessers,
• Amygdala (MA), ein Zentrum zur Emotionsregulation.
Eine der modernsten Methoden der Gehirndiagnostik im Zusammenhang mit der Lichtwirkung ist die Methode der Gehirnbildanalyse (engl. neuroimaging oder Tomografie), bei der – unter der Wirkung von weißem Licht oder von farbigen Lichtern unterschiedlicher Wellenlängen und unterschiedlicher Belichtungsdauern – die Regionen der angeregten Gehirnzentren identifiziert werden und die Stärke der Gehirnaktivität aufgezeichnet wird. Dabei kamen in den letzten Jahren die Methoden positron emission tomography (PET) [22] für die Untersuchung der Lichtwirkung in der Nacht und functional magnetic resonance imaging (fMRI) für die Analyse am Tag zum Einsatz, wobei in beiden Fällen die beleuchteten Personen Rechen- und Suchaufgaben durchführen mussten, die eine kognitive Belastung, Aufmerksamkeit und Reaktionsvermögen verlangen und eine erhöhte auditive und visuelle Sensorik erfordern [23–25]. Die Gehirnbildbeobachtung fand dabei sowohl während der Belichtungszeit als auch einige Minuten nach der Beendigung des Belichtungsvorgangs statt.
Die Modulation der Gehirnaktivität, angeregt durch die Lichtexposition, kann in den folgenden Gehirnregionen beobachtet werden:
• In den subkortikalen Strukturen, die für die Wachheit zuständig sind, wie die Struktur im Hirnstamm [25] in einer Lokation ähnlich wie Locus caeruleus (LC, s. Abb. 3.10), im Hypothalamus, in einer Region, die den SCN enthält [22] und in den dorsalen und posterioren Teilen des Thalamus [23–25];
• in der Region des Hippokampus [25], die für das Langzeitgedächtnis und für das Lernen zuständig ist;
• in der Amygdala, einer Region, die für die Emotionen verantwortlich ist [25].
Auf dem kortikalen Niveau können die Gehirnaktivitäten und deren Modulationen in den Regionen beobachtet werden, die für eine Top-down-Regulierung der Aufmerksamkeit zuständig sind, wie z. B. der dorsolaterale präfrontale Kortex [25]. Der präfrontale Kortex z. B. erhält sensorische Signale und befindet sich in einer engen Bindung mit der Zusammenfügung von Gedächtnisprozessen und emotionalen Bewertungen. Die Funktionen und Prozesse des präfrontalen Kortexes sind für die Handlungsplanung und -steuerung und für die Regulierung emotionaler Vorgänge maßgeblich. Die Tatsache, dass die kortikalen Strukturen im Gehirn ihre Aktivität auch bei Lichtwirkungen zeigen, spricht für eine enge Kommunikation der Signale zwischen der Netzhaut, den hypothalamischen, den thalamischen und den limbischen (Amygdala, Habenula) Strukturen und den subkortikalen und kortikalen Einheiten in der Großhirnrinde.
3.3.2.3 Wellenlängenabhängigkeit von Gehirnaktivitäten bei Lichtexposition [26]
Die Forschungsarbeiten [22–25] verfolgten u. a. das Ziel, die Wellenlängenabhängigkeit der Gehirnaktivitäten in den einzelnen Gehirnregionen am Tag zu untersuchen. Die Wellenlängenabhängigkeit der Melatoninunterdrückung in den nächtlichen Stunden ist bereits durch die Arbeiten von Brainard und Thapan (s. Kap. 2) bekannt. In den Ergebnissen in [24] und [25] konnten Modulationen der Gehirnaktivität durch Wellenlängen gleicher Photonendichten während der Durchführung von Aufgaben hoher kognitiver Belastungen (sog. 2-back-Aufgaben nach [27]) durch Proband/-innen gezeigt werden. Solche Modulationen können im Hirnstamm in einer LC-kompatiblen Lokation, im Thalamus und in der Inselrinde (Insula), die für die emotionale Bewertung von Schmerzen und für die Wahrnehmung des Gleichgewichtssinns mitverantwortlich ist, registriert werden. Solche Modulationen wurden im linken frontalen und im parietalen Kortex [24, 25] ebenfalls aufgezeichnet, was für das Arbeitsgedächtnis (engl. working memory) wichtig ist.
In den o. g. Forschungen konnte nachgewiesen werden, dass eine blaue Strahlung um 480nm eine höhere Gehirnaktivität verursacht als die grüne (550nm, in der Nähe des Maximums der V(𝜆)-Funktion oder des (L+M)-Kanals) bzw. die violette Wellenlänge (um 430 nm, in der Nähe des Maximums des spektralen Aktionsspektrums der S-Zapfen). Bei der Initiation des Lichtpulses (engl. light onset) der blauen Wellenlänge (473nm) konnte eine höhere Gehirnaktivität im Thalamus, im Hippokampus und in der Amygdala aufgezeichnet werden als die bei Licht der grünen Wellenlänge (527nm, in der Nähe des Maximums des spektralen Aktionsspektrums der M-Zapfen). Man kann damit behaupten, dass ein relativ langer Impuls der blauen Strahlung (um 473–480 nm) eine höhere Anregung und Wirkung auf Regionen für das Langzeitgedächtnis, für die Emotionen und für die visuelle Wahrnehmung als eine grüne Strahlung (um 527 nm) ausüben kann. Letzteres spricht viel für die Bedeutung der melanopsinhaltigen ipRGC für die Kognition, Emotion sowie für das Lernverhalten und die Wachheit.
3.4 Timing-System, zirkadianer Rhythmus und Schlafverhalten
3.4.1 Fragestellungen
Das Timing-System im Kontext des zirkadianen Rhythmus existiert in allen Lebewesen auf der Erde (Pflanzen, Tierwesen, Menschen), die durch das Sonnenlicht beleuchtet sind und ihr Biorhythmus aus diesem Grund mit dem Hell-Dunkel-Zyklus des Tageslichtes und der Rotation der Erde um die eigene Achse und um die Sonne eng verbunden ist. Bei der Analyse des Blockthemas Timing-System ergeben sich einige grundlegende Fragestellungen, die beantwortet und dargestellt werden sollen:
1 1. Was ist die grundlegende Aufgabe des Timing-Systems?
2 2. Wie wird das Timing-System molekular im Nervensystem aufgebaut?
3 3. Wie kommt der eigene Biorhythmus zustande, welcher Vorgang gibt den Takt vor?
4 4. Wie kann der Takt, die Periodizität und die Phasenlage stabilisiert werden, sowohl im zentralen Nervensystem als auch im autonomen Nerven- und Funktionssystem?
5 5. Wie können die Amplitude (die Ausprägung) und die Phase des zirkadianen Rhythmus beeinflusst werden?
3.4.2 Timing-System: Entrainment, Zeitgeberrolle
Das Timing-System koordiniert die zeitlichen Abläufe und die zeitliche Zuordnung der Funktionen aller Mechanismen im vegetativen und physiologischen System der Menschen. Es synchronisiert diese Prozesse zu der periodischen Änderung der Umweltbedingungen. Die Zeitgeber dabei sind das Licht, die sozialen Ereignisse und Termine (wie Sitzungstermine, Arbeitszeit, Treffen mit Bekannten, Mahlzeiten). Ohne diese Zeitgeber als Anker und Nachjustierung würde der Biorhythmus freilaufen und das würde dann zu einer Desynchronisation der vegetativen, physiologischen und kognitiven Funktionen führen. Mittels des Timing-Systems können sich die Lebewesen und die Menschen auf die tageszeitlichen und jahreszeitlichen Änderungen der Umwelt vorbereiten und Vorsorge treffen. Diese Vorbereitungen betreffen die gesundheitlichen, nahrungstechnischen, sozialen und sogar technischen Aspekte des Lebens.
Die Frage „Welcher Zeitgeber beeinflusst den zirkadianen Rhythmus der Menschen am meisten?“ wurde in einer Forschungsarbeit [31] beantwortet. Diese Untersuchung