Abb. 3.5 Relative Spektren derzeitiger Halbleiter-LEDs verschiedener Peakwellenlangen und eines kaltweißen LED-Typs. Quelle: TU Darmstadt.
3.3 Gehirnverarbeitung zur Bildung subjektiver und objektiver Verhaltensgrößen
Der spektrale Strahlungsfluss, der entweder indirekt von den Objekten im Gesichtsfeld der Beobachter/-innen kommt oder direkt von den Lichtquellen emittiert zu dem Auge gelangt, wird durch die Hornhaut und die Augenlinse auf die Netzhaut abgebildet (s. Kap. 2). Die spektralen Absorptionsprozesse im Augenlinsenapparat sowie wie die Änderung der Pupillendurchmesser in Abhängigkeit vom Alter der Beobachter sind in Abschn. 12.6.1 detailliert beschrieben.
Gemäß der Darstellung in Abschn. 2.1. werden die Photonen der jeweiligen Wellenlängen der einfallenden Strahlung in den LMS-Zapfen, in den Stäbchen und in den ipRGC absorbiert und zunächst in fotochemische Signale und später in Aktionsimpulse umgewandelt. Die Bildung der Signale am Ausgang der Umwandlungskanäle für diese fünf o. g. Rezeptorenwurde bereits in Abschn. 2.3.3. mathematisch dargestellt. Diese Signale werden dann durch die verschiedenen Nervenbahnen zu den späteren Gehirnregionen weitergeleitet, durch eine Kompression und durch Zusammenschaltung der Signale verschiedener Rezeptortypen verarbeitet, um letztendlich lichttechnische, farbmetrische und nicht visuelle Kenngrößen zu generieren. Die Bildung der lichttechnischen Größen und der farbmetrischen Kenngrößen sind umfänglich in den Abschn. 2.2.1 bzw. 2.2.2 mathematisch und kontextspezifisch ausgearbeitet. In den beiden nächsten Abschnitten werden die Signalverarbeitung und die Vernetzung verschiedener Gehirnregionen detaillierter beschrieben.
3.3.1 Visuelle Verarbeitungssysteme [1]
Der Vorgang der visuellen Signalverarbeitung beginnt mit den Absorptionsprozessen in den Fotorezeptoren. Die Zapfen und die Stäbchen absorbieren bestimmte Spektren, die heute durch psychophysische Methoden oder Direktmessverfahren bestimmt werden können. Das Aktionsspektrum eines Fotorezeptors beschreibt den Zusammenhang zwischen dem Bestrahlungsspektrum und der Ausgangsleistung des Fotorezeptors. Dies kann nach Isolation und spektraler Vermessung der einzelnen Zellen bestimmt werden (Saugelektrodenverfahren). Abbildung 2.4 zeigt die relativen spektralen Empfindlichkeiten der Stäbchen, der Zapfen sowie die der ipRGC. Wie in jedem biologischen System unterscheiden sich auch diese Funktionen durch ihre spektrale Ausprägung unter den verschiedenen Personen voneinander: Die in der Abb. 2.4 gezeigten Kurven gelten für den sog. „Normalbeobachter“. Die für die Lichttechnik nach wie vor wichtigste Kurve ist jedoch die spektrale Hellempfindlichkeitsfunktion V(𝜆). Sie setzt sich aus den LMS-Fotorezeptorsignalen nach Gl. (3.3) zusammen.
Abb. 3.6 Spektrale Empfindlichkeitskurven für Tagessehen, Nachtsehen und das beispielhafte mesopische Sehen. Quelle: TU Darmstadt.
Die Gewichtung eines Spektrums optischer Strahlung mit der Hellempfindlichkeitsfunktion V(𝜆) ist die Grundlage für viele lichttechnische Bewertungsgrößen. Sie beschreibt in einer ersten (groben) Annäherung die menschliche Hellempfindung im fotopischen Bereich (Tagesehen) und ist in der Abb. 3.6 zu sehen. V′(𝜆) beschreibt die Hellempfindung im skotopischen Helligkeitsbereich (Nachtsehen). In der Abb. 3.6 ist ein Beispiel für eine sog. mesopische visuelle Empfindlichkeitsfunktion (im Übergangsbereich zwischen Tagessehen und Nachtsehen) ebenfalls dargestellt (gelbe Kurve). Im mesopischen Bereich gelten – je nach Leuchtdichteniveau und Sehaufgabe – sehr unterschiedliche Empfindlichkeitsfunktionen, was wegen dessen Komplexität den Rahmen dieses Buches sprengen würde.
3.3.1.1 Horizontalzellen-Bipolarzellen-Schicht
Die Horizontalzellen der Bipolarschicht erhalten Signale von vielen Fotorezeptoren und senden diese an die Synapsen zwischen den Rezeptoren und den bipolaren Zellen. Durch ihre Fähigkeit der lateralen Signalinhibition sind sie für die Lokaladaptation oder auch für die Kontrastverstärkung im Auge wesentlich.
Abb. 3.7 Verschaltung in der Bipolarschicht (nach Hubel, 1989 [2]). Reproduziert mit Genehmigung von der Springer Nature Customer Service Center GmbH.
Die Bipolarzellen (s. Abb. 3.7) sind für die Reizweiterleitung von den Fotorezeptoren zu den Ganglienzellen zuständig.
Gleichzeitig wandeln die Bipolarzellen das Konstantspannungssignal der Rezeptoren in ein frequenzmoduliertes Signal um. Man unterscheidet im Wesentlichen zwei Gruppen: die ON-Bipolarzellen, die mit Stäbchen und Zapfen verschaltet sind und das negative Signal der Fotorezeptoren invertieren, und die OFF-Bipolarzellen, die nicht invertierend und nur mit den Zapfen verbunden sind. Sie dienen vor allem zum Scharfsehen in der Fovea. Weiterhin haben die OFF-Zellen keine direkte Verbindung zu den Ganglienzellen.
Die Amakrinzellen bilden eine weitere laterale Verbindung zwischen den OFF-Bipolarzellen und mehreren Synapsen zwischen den ON-Bipolarzellen und den Ganglienzellen. Dabei optimiert die Amakrinzelle die Bildung eines ON-Signals auf doppelte Weise: Sie bildet Synapsen mit ON-Bipolarzellen und gibt ihre Exzitation an die ON-Bipolarzelle weiter. Durch inhibitorische Synapsen unterdrückt die Amakrinzelle zusätzlich die Aktivität von OFF-Bipolarzellen. Durch diese Kombination aus Aktivierung von ON-Bipolarzellen und Hemmung von antagonistischen OFF-Bipolarzellen kann auch bei einer schwachen Exzitation der Stäbchen-Bipolarzelle (bei wenig Licht) schon ein brauchbares ON-Signal entstehen.
3.3.1.2 Ganglienschicht
Die Ganglienschicht besteht aus den normalen Ganglienzellen, denen – je nach Lage – ein (in der Fovea) oder mehrere