2 2. Wie in Abschn. 2.3.1 bereits beschrieben, weisen die Ergebnisse der Abb. 2.11 darauf hin, dass für die Melatoninunterdrückung während der Nacht nicht nur die oben erwähnte smel(𝜆)-Funktion, sondern eine Kombination mehrerer Netzhautmechanismen verantwortlich ist (vgl. mit Abb. 2.2), was durch den sog. circadian stimulus (CS) des Modells von Rea et al. [24] modelliert werden kann. Dazu zeigt Abb. 2.12 im Vergleich die spektrale Empfindlichkeit der Rezeptoren bzw. der Netzhautmechanismen, die zur Melatoninunterdrückung in diesem Modell [24] beitragen.
Aus Abb. 2.12 sind die folgenden Mechanismen ersichtlich:
1 S-Zapfen,
2 intrinsisch fotosensitive Ganglienzellen (ipRGC),
3 Stäbchen, deren spektrale Empfindlichkeit durch die V(𝜆)-Funktion modelliert wird,
4 der Luminanzkanal L+M, der wegen der größeren Ausdehnung eines zirkadian aktiven Lichtreizes (größer als 2°) durch die V10(𝜆)-Funktion, die für den 10°-Beobachter gilt, modelliert wird, sowie
5 die opponenten Kanäle 1–2 (|L−M| bzw. |L+M−S|). Der Netzhautmechanismus |L−M| (der den Unterschied der L- und M-Zapfensignale bildet) wird hier nur der Vollständigkeit halber gezeigt, dieser Mechanismus wird im Modell von Rea et al. nicht verwendet.
Die Abb. 2.13 veranschaulicht das Berechnungsverfahren für den zirkadianen Reiz (CS) im Modell von Rea et al. Die in der Abb. 2.13 gezeigten Berechnungsschritte werden in Abschn. 10.3.2 ausführlich quantitativ dargestellt (s. Gln. (10.3) und (10.4)).
Die Eingangsgrößen des Modells von Rea et al. [24] sind die vertikale Beleuchtungsstärke am Auge sowie die relative spektrale Strahldichte des Farbreizes, wovon – nach Abb. 2.13 – im ersten Schritt die Signale der S-Zapfen, der ipRGCs, der Stäbchen und L+M berechnet werden. Davon wird das spektral opponente Signal S−(L+M) gebildet. Danach gibt es eine Verzweigung des Berechnungsverfahrens je nachdem,
ob der Wert von S−(L+M) negativ (CS hängt nur vom ipRGC-Signal ab) oder
positiv oder gleich null (CS hängt vom ipRGC-Signal, vom Stäbchensignal und von S−(L+M) ab) ist.
Nach diesem Schritt werden die Signale kombiniert, normiert und komprimiert, um das Ergebnis des Modells, den circadian stimulus (CS) (oder den zirkadianer Reiz) zu erhalten. Das Verfahren ist quantitativ in Abschn. 10.3.2 (Gln. (10.3) und (10.4)) beschrieben.
Für die Veranschaulichung der Bedeutung von CS zeigt Abb. 2.14 diejenigen vertikalen Beleuchtungsstärkewerte am Auge des/der Beobachters/-in, die für die Erreichung eines definiertenCS-Niveaus (0,3, 0,4 oder0,5) notwendigsind. Diese Wertewurden mit 553 heute gängigen Lichtquellenspektren unterschiedlicher ähnlichster Farbtemperaturen (CCT) berechnet. Für einen konstanten Wert von CS (z. B. CS = 0,4) sind die dafür notwendigen Beleuchtungsstärken umso geringer, je höher die Farbtemperatur der Lichtquelle eingestellt wird.
Abb. 2.13 Berechnungsverfahren des Modells von Rea etal. [24]. Eingabegrofeen des Modells: ver-tikaLe Beleuchtungsstarke am Auge und relative spektrale Strahldichte des Farbreizes, wovon die S-Zapfen-, ipRGC-, Stabchen- und L+M-Signale berechnet werden. Ergebnis des Modells: zirkadianer Stimulus (CS) (oder zirkadianer Reiz), der die nicht visuelle Wirkung Melatoninunterdruckung eines Farbreizes modelliert (s. auch Abschn. 10.3.2). Ouelle: TU Darmstadt.
Abb. 2.14 Vertikale Beleuchtungsstärkewerte (Ordinate, in Lux), die für die Erreichung eines definierten CS-Niveaus (0,3, 0,4 oder 0,5) notwendig sind, berechnet für einen Satz von heute gängigen Lichtquellenspektren unterschiedlicher CCT (Abszisse, in Kelvin). Das normgerechte Niveau der horizontalen Beleuchtungsstärke (500 lx) sowie der (in einer allgemeinen Beleuchtungssituation) entsprechenden vertikalen Beleuchtungsstärke (250 lx) sind mit horizontalen schwarzen bzw. grauen Linien gekennzeichnet. Quelle: TU Darmstadt.
Die Kenngröße CS basierte ursprünglich auf Experimenten mit einer festen Belichtungszeit der Versuchspersonen (sog. exposure time) von 1 h. Eine Modifikation der CS-Formel, die eine Abhängigkeit von der Belichtungszeit einführt, wird in Abschn. 9.4.4 (Gl. (9.8)) gezeigt.
2.3.3 Spektrale Aktivitätsfunktionen nach der CIE
Alternativ zum Modell von Rea et al. [24] arbeitet die CIE-Publikation [32], die auf den fundamentalen Ausführungen von Lucas et al. [2] basiert, mit den (nicht kombinierten) Signalen der fünf Rezeptorkanäle (L, M, S, Stäbchen und ipRGC), die mithilfe von ihren Aktionsspektren (sog. 𝛼-opic spectral weighting functions oder s𝛼(𝜆)-Funktionen, s. Abb. 10.7) berechnet werden. Die CIE-Methode [32] ist in Abschn. 10.3.2 (im Vergleich zum Modell von Rea et al.) beschrieben und diskutiert. Hier werden zwei wichtige Kenngrößen, die in diesem Buch später verwendet werden, definiert.
Die erste Kenngröße ist die sog. 𝛼-opische Bestrahlungsstärke Eα (in W/m2;engl. 𝛼-opic irradiance oder effective photobiological irradiance, s. Gl. (2.10)).
(2.10)
Die Symbole in der Gl. (2.10) haben folgende Bedeutung:
𝐸𝛼: 𝛼-opische Bestrahlungsstärke,
𝐸e(): spektrale Bestrahlungsstärke,
𝛼: (): 𝛼-opisches Wirkungsspektrum (L, M, S, Stäbchen oder ipRGC, s. Abb. 10.7) als spektrale Gewichtungsfunktion für die spektrale Bestrahlungsstärke.
Die zweite Kenngröße ist die sog. 𝛼-opische D65-äquivalente Beleuchtungsstärke
(2.11)