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Ein visuelles Experiment zur Farbdifferenzwahrnehmung mit Farbunterschieden aller Größenordnungen (Farbunterschiede an der Wahrnehmungsschwelle sowie kleine bis große Farbunterschiede;
die z.B. in der Praxis der Bewertung der Farbtreueeigenschaft von gebräuchlichen Lichtquellen vorkommen, zeigte, dass die CAM02-UCS-Farbdifferenzmetrik imstande ist, alle Größenordnungen der Farbunterschiede mit vernünftiger Genauigkeit vorauszusagen [21]. Letzteres wurde auch im Laboratorium der Autoren dieses Buches experimentell bestätigt und publiziert [22].2.3 Grundlagen der nicht visuellen Aspekte
2.3.1 Melatoninunterdrückung in der Nacht
Für Human Centric Lighting sind sowohl die Mechanismen der visuellen Wahrnehmung (Wahrnehmung von Licht, Farbe, Geometrie, Bewegung und Form) als auch die Aspekte der nicht visuellen Signalverarbeitung wichtig [23]. Wie in Abschn. 2.1 bereits erwähnt, müssen die visuellen und die nicht visuellen Aspekte immer gleichzeitig in Betracht gezogen werden. Ein wichtiges Ergebnis des Beitrags der nicht visuellen Signalverarbeitung ist die sog. zirkadiane Wirkung des Lichts: der Effekt der elektromagnetischen Strahlung auf die sog. zirkadiane Uhr des menschlichen Organismus. Diese zirkadiane Uhr organisiert die zeitliche Koordination der menschlichen biologischen Funktionen im Tagesverlauf, im sog. zirkadianen Rhythmus [24].
Alle Organfunktionen des Menschen verlaufen in dieser zirkadianen Rhythmik. Die Leistungsfähigkeit des Menschen im Laufe des Tages ergibt sich über die verschiedenen Maxima und Minima der einzelnen zellbiologisch kontrollierten Funktionen [25]. Grund für den zirkadianen Rhythmus ist, dass – in einem bestimmten Zeitintervall im Tagesverlauf am Tag, in dem unter natürlichen Bedingungen Tageslicht vorhanden ist –, die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin durch Licht unterdrückt und die des Hormons Cortisol gefördert wird, wodurch die Leistungsfähigkeit des Menschen steigt.
Für die Praxis des Human Centric Lighting besteht die Frage nun darin, inwieweit der normale zirkadiane Rhythmus und somit die Gesundheit, die Zufriedenheit und die Arbeitsleistung der menschlichen Benutzer/innen einer Beleuchtungsanlage durch die Änderung der örtlichen und spektralen Strahlungsverteilung der Beleuchtung gefördert werden kann. Auf diese Weise kommen tagsüber solche Beleuchtungskonzepte nur dort infrage, wo Tageslicht fehlt und der zirkadiane Rhythmus durch Kunstlicht unterstützt werden muss.
Tagsüber sind dementsprechend insbesondere solche Beleuchtungskonzeptewichtig, die außer der Unterstützung des zirkadianen Rhythmus (z.B. in nördlichen Ländern im Winter) auch die Farbqualität, die Sehleistung bzw. weitere biologische oder emotionale/psychologische Aspekte fördern (s. Kap. 3, 9 und 12). Am Abend oder während der Nacht, z. B. bei der Schichtarbeit, hat aber das künstliche Licht einen erhöhten zirkadianen Effekt, wobei die Frage wiederum darin besteht, wie der zirkadiane Rhythmus mit künstlichem Licht gefördert werden kann und wie das Emissionsspektrum, der Zeitpunkt, die Belichtungsdauer und die Lichtmenge von Lichtquellen zu jeder Uhrzeit während der Nacht nach optimaler zirkadianer Wirkung optimiert werden kann. Die Abb. 2.11 [24]zeigt dementsprechend experimentelle Daten aus der Literatur [26–28] über den Effekt der Wellenlängen einer Strahlungsquelle auf die nächtliche Unterdrückung des Melatoninniveaus.
Abb. 2.11 Experimentelle Daten nach Brainard et al. [26] und Thapan et al. [27] fur die Melatoninunterdruckung (Melatoninsuppression) wahrend der Nacht. Die Versuchspersonen wurden wahrend der Nacht mit schmalbandigem Licht [26, 27] stimuliert, dessen charakteristischer Wellenlangenbereich auf der Abszisse gezeigt wird. Die Ordinate zeigt die Melatoninunterdruckung als Reaktion der Versuchspersonen darauf. Reproduziert aus dem Journal of Circadian Rhythms [24].
Abb. 2.12 Spektrale Empfindlichkeit der Fotorezeptoren bzw. der Netzhautmechanismen, die zum nicht visuellen Effekt Melatoninunterdruckung (modelliert durch den sog. zirkadianen Reiz CS) im Modell von Rea et al. beitragen (außer |L-M|, dieses Signal ist nur der Vollstandigkeit halber gezeigt). Ouelle: TU Darmstadt.
Aus Abb. 2.11 geht – bei einer Stimulation der Versuchsperson mit schmalbandigem Licht (nach Brainard et al. [26] und Thapan et al. [27]) unterschiedlicher Wellenlängen (s. Abschn. 9.4.3 und Tab. 9.7) – der Effekt von mindestens zwei Netzhautmechanismen hervor, da im sichtbaren Wellenlängenbereich (380–780 nm, in der Abb. 2.11 ist nur der Bereich 400–700 nm abgebildet) zwei Maxima erscheinen [24]. So fällt auch ein lokales Maximum bei ca. 505nm bei schmalbandigen Farbreizen auf, das bei der Reaktion auf einen breitbandigen (polychromatischen) Lichtreiz wegen eines spektral opponenten Mechanismus (s. Abschn. 2.1) nach Rea et al. [24] (vgl. mit der roten Punktkurve in der Abb. 10.7 nach Gall [29]) verschwindet (s. die gestrichelte Kurve in Abb. 2.11). Das absolute Maximum der Melatoninunterdrückung befindet sich be ica. 460 nm (s. den roten Pfeil in Abb. 2.11) und nicht bei 480 nm, wobei 480 nm dem Maximum der spektralen Empfindlichkeit von Melanopsin entspricht (s. die dunkelgrüne Kurve in der Abb. 2.12). Wie bereits in Abschn. 2.1 beschrieben, ist Melanopsin das Fotopigment der intrinsisch fotosensitiven retinalen Ganglienzellen (ipRGCs), die selbst lichtempfindlich sind (s. Abb. 2.2) und zur Regelung der zirkadianen Uhr beitragen [30].
2.3.2 Modellierung der Melatoninunterdrückung in der Nacht mit dem zirkadianen Stimulus (CS) und dem melanopischen Wirkungsfaktor
Um die Melatoninunterdrückung in der Nacht (Abb. 2.11) durch Licht zu modellieren, werden in diesem Abschnitt zwei, in der heutigen Praxis oft verwendete Kenngrößen beschrieben: 1. der melanopische Wirkungsfaktor und 2. der sog. circadian stimulus (CS). Diese Kenngrößen charakterisieren die Wirksamkeit eines Lichtreizes für die nächtliche Melatoninunterdrückung in Abhängigkeit von dessen Intensität und spektraler Zusammensetzung.
1 1. Der melanopische Wirkungsfaktor (der sichtbaren Strahlung) amel,v wird nach DIN SPEC 5031-100 [31] als das „Verhältnis der melanopisch wirksamen Strahlungsgröße zu der mit der Empfindlichkeit für Tagessehen bewerteten photometrisch wirksamen Strahlungsgröße“ definiert. Um eine melanopisch wirksame Strahlungsgröße zu errechnen, wird dabei der relative Strahlungsfluss mit der sog. smel (𝜆)-Funktion [31] nach Lucas et al. [2] gewichtet. Das ist ein sog. Wirkungsspektrum (s. die bläulichgrüne, kontinuierliche Kurve in der Abb. 10.7 mit einem Maximum bei 490 nm). Das Wirkungsspektrum smel(𝜆) basiert auf Daten eines 32-jährigen Referenzbeobachters [2, 31]. Die DIN-Norm