Seltene Erde. Eva Raisig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eva Raisig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783751800631
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auf das Podium strahlende Scheinwerferlicht, anders als den hinteren Teil des Raums, nicht in völliger Dunkelheit verschwinden ließ. Was würden Sie E. T. von sich und von der Erde erzählen, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten? Das sei, herzlich willkommen, die Frage dieses Podiums, um dann durch weitere Fragen unser topic für die verehrten Zuhörerinnen und Zuhörer noch etwas weiter einzugrenzen, auch wenn sie dabei vor allem den Ankündigungstext wiedergab, der im Faltblatt des Kongresses in drei Zeilen angegeben war: Was wollen wir den Aliens erzählen, wie kann sich die Menschheit auf eine Geschichte einigen, können wir verstanden werden und vor allem: Wollen wir überhaupt etwas erzählen? Damit sei man im Grunde schon in medias res des heutigen Nachmittags angekommen. Die Moderatorin wandte sich Lenka und dem ukrainischen Professor zu, der während der Ausführungen vergeblich eine würdevolle Position auf der großzügigen Sitzfläche des Sessels gesucht hatte. Ein kleiner Showkampf, sagte die Moderatorin lächelnd. Darf ich vorstellen, in der blauen Ecke Prof. Wolkow, der der Idee einer Kontaktaufnahme mit einer extraterrestrischen Intelligenz von jeher kritisch gegenübersteht, und zu meiner Rechten, in der roten Ecke, die Kollegin Jelena Belenkaja, die freundlicherweise eingesprungen ist, um einen Einblick in die Frage zu geben, wie eine interstellare Botschaft beschaffen sein müsste, um das Interesse der Fremden zu wecken und gleichzeitig ein möglichst umfassendes Bild unserer Erde zu vermitteln. Sie deutete auf das weiße Polster unter ihrem Hintern: I am Switzerland.

      Am Anfang lief es gut und dann ging irgendetwas schief. Eben noch war es ein in jeder Hinsicht korrektes Zusammentreffen, man ließ einander ausreden, die jeweilige Position darlegen, es ist Wissenschaft und keine Politik, aber dann kam der Punkt, an dem die Sache aus dem Ruder lief. Die Moderatorin hatte eine Nachfrage zu den eher formalen Aspekten einer interstellaren Botschaft formuliert – welche Gremien müssen eingebunden werden, welche technischen Voraussetzungen braucht es, wer hat Zugang zu den entsprechenden Gerätschaften, wie lässt sich Schindluder ausschließen – und Lenka war in ihrer Antwort zunächst auf einige grundsätzliche Überlegungen eingegangen, hatte von Biosignaturen und industriellen Schadstoffen in den Atmosphären fremder Planeten gesprochen, die sich als mögliche Zeichen extraterrestrischen Lebens nachweisen lassen könnten, um dann auszuführen, welche Fragen bei einer Botschaft an außerirdische Zivilisationen beachtet werden müssten. Sie hatte Beispiele für bisherige Versuche an Zeitkapseln und Radiosignalen nachgezeichnet, in einem Rahmen, der auch die weniger mit der Materie betrauten Kollegen an den Fallstricken teilhaben ließ, die ein solches Projekt mit sich bringt, und gerade gesagt, die Frage sei nicht nur, wie wir uns überhaupt verständlich machten, sondern welche Rolle wir selbst in der Erzählung der Aliens spielen wollten, als der ukrainische Professor die Nerven verlor.

      Sie Sie Sie –! Er fuchtelte über die Armlehne hinweg in ihre Richtung. Haben Sie auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, dass eine solche Botschaft zu unserem Nachteil sein wird? Dass wir uns gut überlegen sollten, ob wir sie hierherlocken, mit welcher Botschaft auch immer? Bevor Lenka antworten konnte, fuhr der Professor schon fort, zart schäumende Spucke in den Mundwinkeln. Wenn uns die Geschichte der Menschheit eines gelehrt hat, rief er aufgebracht, dann doch sicherlich, dass es noch keiner Zivilisation gut bekommen ist, auf eigenem Territorium Bekanntschaft mit einer anderen Zivilisation zu machen! Das endet immer böse! Und wissen Sie, warum?

      Lenka war wiederum gerade im Begriff, eine Antwort zu formulieren, doch just in dem Moment schien der Moderatorin ihre Aufgabe vollends bewusst zu werden, das eigene Wissen zugunsten der Zuhörer zurückstellen, Anwältin des Publikums sein usw. Lassen Sie uns noch einmal einen Schritt zurückma–

      Aber da platzte dem Professor endgültig der Kragen. Ein kariertes Paket, in einem ausladenden blauen Sessel explodierend.

      ICH WILL IHNEN SAGEN, WARUM ES UNS NICHT BEKOMMEN WIRD! Spuckespritzer sprühten im Scheinwerferlicht des Podiums. Die Moderatorin blinzelte irritiert. WEIL DIEJENIGEN, DIE ZU EINER SOLCHEN REISE IMSTANDE SIND, ODER SAGEN WIR: ZU EINER KONTAKTAUFNAHME, HÖCHSTWAHRSCHEINLICH NICHT DARAUF AUS SIND, IN DER FREMDE NUR EIN PAAR FREUNDSCHAFTEN ZU SCHLIESSEN! DENKEN SIE DOCH MAL NACH! ENTDECKEN WOLLEN DIE UND UNTERWERFEN, DAS ERZÄHLT UNS DIE GESCHICHTE! Und dann – er senkte seine Stimme –, dann kommen SIE – er bohrte seinen krummen Zeigefinger durch die Luft in Lenkas Richtung –, dann kommen SIE und Ihre Kollegen und wollen austüfteln, was wir am besten von uns preisgeben?! Ein paar Bilder? Das Zweite Brandenburgische Konzert? Neulich hörte ich gar: das gesamte Internet? NICHTS, sage ich, NICHTS! dürfen wir preisgeben. Das muss ein Ende haben, ein für alle Mal! Unsere Geschichten gehen niemanden etwas an! Wir suchen eine fremde Zivilisation und verlieren dabei ohne Zweifel unsere eigene! Ich sag Ihnen was: Es gibt Fehler, die können sich die Menschen nur ein einziges Mal erlauben. Und das hier – er fuchtelte keuchend in Lenkas Richtung –, das hier ist so ein Fehler!

      Danke, Herräh Professor. Die Augenlider der Moderatorin flatterten. Flatterten, flatterten. Zwischendrin ließ sich ein Schlitz weißen Augapfels erkennen. Der Professor saß lauernd auf der Sesselkante. Er klopfte mit der Kuppe des Zeigefingers vorsichtig gegen den Knopf in seinem Ohr, blickte hoch zu den Kabinen mit den Simultandolmetschern, die als Spielerei eigens für die Konferenz installiert worden waren, als wäre man hier beim UN-Sicherheitsrat, dann schien ihm sein Denkfehler bewusst zu werden: Es lag nicht an menschlichem Versagen oder an der Technik, es lag daran, dass Jelena B. nicht sprach. Beinah sanft wandte er sich nun in ihre Richtung. Werte Kollegin, was suchen Sie da eigentlich? Verstehen Sie mich nicht falsch, aber das hier kann doch keine Erbauungsphilosophie sein, um schwache Gemüter zu trösten. Und wenn Sie es so sehen: Denken Sie, dass Sie hier richtig sind? Wissenschaft geht doch mit Verantwortung einher. Eine brüderliche Verpflichtung an die, die nach uns kommen, immer im Sinn einer gesellschaftlichen Praxis. Ich jedenfalls bin noch in diesem Geiste aufgewachsen. Und Sie doch auch, wenn ich mir Ihren Lebenslauf anschaue. Oder zumindest die ersten Jahre. Wissen, Tatkraft, Optimismus – wissen Sie noch? Er lächelte schief. Was also erhoffen Sie sich? Sie antwortete nicht. Der Professor stieß hörbar Luft aus und suchte Blickkontakt mit der Moderatorin, als wollte er sagen: Wie soll man so diskutieren? Oder: Himmelherrgott, sie ist doch Physikerin! Was ist denn mit der los?

      Was ist mit unserem Kind los? Das hatten sich auch Lenkas Eltern immer wieder gefragt. Schon vor beinah vierzig Jahren hatten sie sich das gefragt, als sie noch nahe Moskau in einem durch und durch modernen Wohnblock saßen, der kurz zuvor aus der Erde gestampft worden war. Unser Kind scheint besessen. Seit diesem Abend vor dem Radio. Da ist unsere Tochter der Welt einfach abhandengekommen. Oder ihr die Welt. Vom Abendessen standen noch die sauren Gurken und die Reste des Salzfischs auf dem Tisch, Pastila für die Kinder, für die Erwachsenen ein Wässerchen. Die Eltern auf dem Sofa, der Sohn mit einem Buch in der Spielecke, Lenka in ihrer Strumpfhose auf dem Teppich, versammelt vor dem Radio, um den Grußworten zu lauschen, die der Amerikaner zusammen mit einer Auswahl an Bildern und Musik in einer Sonde ins All geschossen hatte. Saßen da nichts ahnend, nichts fürchtend, ein Abend von Tausenden anderen, und da befiel die Tochter eine Besessenheit. Sie war sechs, kann man da von einer Besessenheit sprechen? Etwas, was sie jedenfalls nicht mehr loswurde. Der Sohn hörte zu, fragte einmal nach, fand es kurz interessant und sich dann damit ab. Eine Botschaft für Außerirdische, warum auch nicht. Die Tochter gab keine Ruhe. Weckte die Eltern nachts und fragte nach Details, die sie nicht wissen konnten. War diese Phase der vielen Fragerei nicht längst vorbei? Und wer rechnete denn damit, dass derlei einen solchen Einfluss haben könnte? Grußworte in fünfundfünfzig Sprachen, ein Projekt der Amerikaner, das – ja, zugegebenermaßen! – reizvoll war. An dem sich auch Moskau gern beteiligt hatte. Von dem sich im abendlichen Radioprogramm allerdings nur ein Ausschnitt senden ließ. Zweiundzwanzig Sekunden als Gruß von zweihundert Millionen russischen Muttersprachlern, gesprochen von einer Maria Rubinowa über sanfte Musik hinweg, die irgendwer untergelegt hatte im Radio: Grüße! Ich heiße euch willkommen.

      Durfte sie sich aussuchen, was sie sagt? Lenka vom Teppich aus hinauf zu ihrer Mutter.

      Nein, das wird ein Gremium beschlossen haben.

      Was ist ein Gremium?

      Eine Gruppe von Leuten, die sich auskennt.

      Warum durfte ausgerechnet diese Frau das sprechen?

      Man wird sie ausgewählt haben.

      Warum?

      Man wird sie