16 Daß Hr. Kl. ihn schwerlich so gekannt, könnte ich aus der offenbar ungerechten Anschuldigung beweisen: Milton sage hier nicht einmal sein Salva Venia: ut est in fabulis, ut poetae aiunt, aut alia einsmodi, quibus excusari illa possunt. Zwar, wenn ers auch nicht sagte? Nun aber muß ja Hr. Kl. v. 705. das though but feign'd nicht gelesen haben, und wer wird eine Stelle anführen, die man nicht gelesen hat?
VI.
Man siehet, wie wenig Ueberzeugung das kahle Verbot ins Allgemeine hin: »kein Mythologischer Name komme in ein geistliches Gedicht!« für mich habe: ich muß mich also schon selbst nach Gränzen der Mythologie und eines Christlichen Gedichts umsehen.
Zuerst rechne ich, wie gesagt, die Lateinische Sprache nicht mit: denn schwer ists, zu bestimmen, wo der Lateinische Ausdruck aufhöre, und der Nationalrömische, der Mythologische z.E. anfange. Noch schwerer ists, über so fremde Gegenstände, als ein heiliger Gesang liefert, Lateinisch, und im Geiste der Römer zu dichten; denn entweder wird der Jude und Christ romanisiren, oder der Nachfolger Virgils und Horaz judaisiren, hellenisiren müssen.
Zweitens rechne ich die Zeiten nicht mit, da die Mythologie gleichsam die zweite Mutter des Poetischen Geistes war: und dies ist die Wiederauflebung derselben in Italien. In der Kunst sprachen die schönsten Mythologischen Ideen dem Auge; in der wieder erstandnen Poesie dem Ohre: statt des trocknen Aristoteles ward der Mythologische, Allegorische Plato der Lieblingsweise Italiens: solche Begriffe füllten die Seele. Entweder wählte man die Lateinische Sprache dazu, und in ihr schien gleichsam die Mythologie schon eingewebt, und unabtrennlich; oder man wählte doch Mythologische Dichter zum Einzigen Vorbilde; wie konnte sich nun der begeisterte Nachahmer sagen: siehe! hier hört die Manier des Dichters auf, und da fängt seine Religion an! Und wer sich dies auch hätte sagen können, der wollte sichs nicht sagen, denn ächt Latein, ächt Römisch zu dichten, war ja nach dem Zeitbegriffe, der einzige, der höchste Zweck seiner Muse. – Solche Zeiten also soll man erklären, ein allgemeiner Tadel kostet wenig.
Drittens schreibe ich auch nicht von den Zeiten, da die Religion, so wie sie damals herrschend war, kein reines heiliges Gedicht geben konnte: da die Begriffe von ihr viel zu dunkel, unbestimmt, gebrochen und abergläubisch waren, als daß ein Gedicht, das für den herrschenden Verstand geschrieben wäre, für uns orthodox, wie ein Gebetbuch, seyn könne. So z.E. die Zeiten des Dante, Ariosts, Tasso, Camoens u.s.w. Wenn diese Dichter in dem elenden Geschmacke ihrer Zeit Poetisches Geräth, oder wenigstens Freiheit fanden, mit diesem und jenem Stabe des Aberglaubens Poetische Wunder zu thun, warum nicht? Das Heldengedicht eines Mönchs aus Padua auf seinen heiligen Antonius, oder eines Mayländers auf seinen heil. Karl Borromäus sei immer den Legenden seines Ordens, seiner Stadt, seiner Zeit, seiner eignen Erziehung angemessen: denn anders kann der ehrwürdige Pater nicht dichten. Und wo werde ich an einen Riesen, an ein Geschöpf seines Jahrhunderts, mit einem Zwergmaaße meiner Zeit, mit einem kritischen Regelchen, hinzutreten, ohne daß mich seine Größe nicht beschäme!
Also blos von einem in der Religion erleuchteten Zeitpunkte: und wo weiß der Critikus, wenn dieser Zeitpunkt voll Licht, oder nur voll Blendeschein des Lichts ist? wo soll ers, als Critikus, wissen? Das mag der Gottesgelehrte, der Polemikus entscheiden; nicht der Poetische Kunstrichter. Der Dichter nimmt den herrschenden Religionsgeschmack, oder besser, sein eignes Religionsgefühl, wie er dazu gebildet worden, seinen eignen Horizont von Religionsaussichten, und dichtet. Und so muß der Critikus ihn richten. Nicht daß er absolute Wahrheit suche, nicht daß er frage, ob diese und jene Religionsvorstellung auch rechtgläubig genau, exegetisch richtig, philosophisch erwiesen; sondern ob sie wahrscheinlich sey, ob sie könne poetisch geglaubt, gefühlt, beherzigt werden. Das ist bei einem Jüdischchristlichen Gedichte nicht schlechthin die Frage: ob historisch genau, der Jude seine Affekten so gemahlt oder nicht; auf den Fuß wäre vielleicht kein Tod Adams, und kein Tod Abels möglich; sondern ob sie, nach gewissen allgemein angenommenen Voraussetzungen, so haben sprechen können. – Ich folge also dem Religionsbegriffe meiner Zeit, ohne weitere Umwege: wiefern verträgt er sich mit Mythologischen Ideen?
1. In jedem Poem, wo Dichtung herrscht, wo Personen der Dichtung auftreten, können freilich nicht Wesen der heidnischen und Christlichen Religion neben einander handelnd vorgestellet werden; nicht mit einander gleich wesentliche Substanzen zur Handlung des Gedichts seyn. Wenn die Muse und der heil. Geist, ein Gabriel und ein Apollo, eine Maria aus den Gegenden des Himmels, und eine Diane zugleich, auf einerlei Art Poetische Exsistenz, Poetische Handlung auf dem Schauplatze eines heiligen Gedichtes bekommen; so stoßen sie sich in unserer Seele. Ihre Poetischen Substanzen heben einander auf: mein Auge fährt über ihre beiderseitige Gegenwart zurück: die Täuschung geht verlohren, und mit ihr der ganze Zweck ihrer Poetischen Erscheinung. Ein Trauerspiel solcher Art mag vielleicht noch in einem Winkel von Italien, Spanien, oder von Böhmen und Bayern ausstehlich seyn: eine Epopee von solcher Mischung mag der Christlichen Barbarei gefallen; rings um uns scheint das Licht einer geläuterten Religion zu stark, als daß nicht Eine solche Dichtung die andre in den Schatten drängen müßte.
Nur setze ich gleich eine Einschränkung hinzu. Nicht deßwegen können beiderlei Geschöpfe nicht auf Einem Schauplatze, in gleich starkem Licht erscheinen, weil die Eine Art wahre, die andere Lügenwesen, oder nach Hr. Klotzens Sprache,1 inepta, ridicula, falsa, impia, uno verbo superstitionis propria sind, quae a veri Dei cultoribus usurpari non possunt. Denn ein solcher Dichter schreibt nicht eigentlich, als ein frommer rechtgläubiger Christ, als ein Diener des einzig wahren Gottes, der vor aller Mythologie als vor einem ungereimten, lächerlichen, gottlosen, abergläubischen Krame so viel Abscheu hat, wie vor dem bösen Feinde der Hölle; sondern – als Dichter. Er schreibt nicht eines seligen Todes und des Himmelreichs wegen, sondern nur, (der gottlose Mensch!) um poetisch seine Leser zu täuschen. Er verabscheuet also die Mythologie, nicht als ein ungöttliches Wesen, und als eine Geschichte weltlicher Lüste, sondern weil sie in seinem heiligen Poem seinem Zwecke, seiner Laufbahn der Gedanken fremde, und dem Poetisch anschauenden Leser widrig seyn muß. Auf einem andern Schauplatze könnte eben derselbe Leser diese unchristlichen, gottlosen Geschöpfe der Lügen ganz behaglich sehen, und vielleicht eben der Dichter, wenn er ein Wieland ist, mit Feuer bearbeiten; aber auf diesen gehören sie nicht »der Poetischen Wahrscheinlichkeit halben.« Denn wenn die Maschinen der heidnischen Religion bis zur Täuschung geglaubt werden sollen; wie denn aus eben der Maschine Christliche Wesen? Sie wirken, dem anschauenden Auge gegen einander, sie heben an Wahrscheinlichkeit einander auf.
2. Auch wenn der Dichter allein spricht: so spreche er in Einem Gedichte von beiden nicht ganz auf Eine Art; als wenn er an beide gleich glaubte, und sie beide mit einerlei Wahrheit behandelte. Eine Anruffung an den heil. Geist und an die Kalliope zugleich ist ungereimt; nicht wieder als Gottlosigkeit, als Sünde wider den heil. Geist, sondern der Poetischen Täuschung halben. Entweder sind beide dem Dichter alsdenn Wesen von gleicher Poetischen Exsistenz; dies wiederspricht sich – oder beide nur Redezierrath, nur Poetische Figuren: dies beleidigt den Leser noch mehr, denn er kommt dadurch zu sich zurück, um den Wortkünstler ohne inneres Wesen und Leben gewahr zu werden – oder Eins von beiden hat nur Poetische Wahrheit; und warum steht alsdenn das Andere da? Es hindert die Wirkung des Ersten. In diesem Stücke hat freilich niemand so gesündigt, als Sannazar; ich wiederhole es aber nochmals – gesündigt, nicht wider den heil. Geist, sondern wider die Poetische Wahrheit und Illusion.
3. Wo dies nicht ist, wo die Poetische Wahrheit und Wahrscheinlichkeit nicht darunter leidet, wo es der Congruität des Gedichts nicht entgegen ist, an Mythologische Namen, an erdichtete Gegenden zu denken – immerhin! Die Mythologie ist einem guten Theile nach historisch, oder Allegorisch; selbst das Fabelhafte in ihr mischet sich mit Geschichte und Allegorie; warum sollte sie als solche nicht auftreten? Wenn sie bekannt gnug, anschauend, und eine Schöpferin großer Begriffe zur Würde eben des Christlichen Objekts ist: so kniet sie als ein Opfer vor dem Altare der Religion. Selbst Religion wollte sie hier nicht seyn, sie ward als Geschichte, als Allegorie,