Milton hat sein Eden mit aller Pracht und Schönheit geschildert: Bäume, Flüsse, Quellen, Lustwälder, murmelnde Wasserfälle, das Chor der Vögel, der Hauch der Frühlingslüfte, der Geruch der Wiesen und Wälder – eins nach dem andern fließt wie Balsam in unsre Seele: meine Phantasie ist erfüllet: mein Auge, Ohr, und alle Sinne gesättigt: ich schwimme im Traume der Wollust. Und Milton will mich in diesem Traum erhalten! Da meine Sinne gesättigt sind; so spricht er zu meiner Seele: er rufft alle Ideen schöner Gegenden und Lustörter, die in meiner Einbildungskraft schlafen, auf: und wo giebt es mehr, als aus Griechenland und seinen Dichtern des Vergnügens? Diese sollen mich in meinem Traume fortwiegen, ich soll die Freude der Wiedersehung genießen, und so nachdem auf sanften und unmerklichen Stuffen meine Seele von dem Leblosen sich immer lebender hin, aufgeschwungen, und jetzt in dem Musikalischen Chore der Vögel und der Lüfte, und der zitternden Wälder schwebet: so fängt sie, wie aus einem sanften Schlaf erwacht, an, die holden Bilder voriger Zeiten, die Erinnerungen der Jugend zu sammlen:13
– – while universal Pan
Knit with the Graces and the Hours in dance
Led on th' eternal spring. Not that fair field
Of Enna, where Proserpin gathering flowers
Herself a fairer flowr etc. – – –
– – – – – nor that sweet grove
Of Daphne by Orontes, and th' inspir'd
Castalian spring, might with this Paradise
Of Eden strive; nor that Nyscian ile
Girt with the river Triton etc. – –
So schwebt unsre berauschte Einbildungskraft weiter, und kommt endlich vom Berge Amara aus Aethiopien zurück, um im Paradiese unendlich mehr, als in allen diesen Zaubergegenden zu finden. Ist dies eine Entheiligung des Gedichts? so ists eine Entheiligung des Höchsten unter den Propheten, des Poetischen Jesaias, Jehovah einen Gott der Götter zu nennen, und ihn Gesänge lang mit diesen heidnischen Klötzen zu vergleichen! aber wie erhaben!
Milton hat uns das erste Paar bis zum Entzücken geschildert, den Bau ihrer Glieder, und ihre vergnügte Mahlzeit, und ihre Liebkosungen, und die holde Umarmung der Eva und – das Lieblächeln Adams.14
– – as Jupiter
On Juno smiles, when he impregns the clouds
That shed May flow'rs – –
Welch ein Bild! Ists Erniedrigung für Adam, in ihm den küssenden Jupiter zu sehen? Adam führt Eva zur Brautlaube, und da unsre Seele durch den sichtbaren Anblick derselben mit Freude und Ehrfurcht gleichsam erfüllet worden; da das Auge nicht mehr sprechen kann: siehe! so spricht die Phantasie, gleichsam in einen Traum voriger Zeiten versenket:15
– – – in shadier bower
More sacred and sequester'd, though but feign'd
Pan or Sylvanus never slept, nor Nymph
Nor Faunus haunted. – –
So dichtet Milton: seine profanen Gleichnisse sind nichts als Hülfsvorstellungen zum Dienste seiner heiligen Vorstellungen: er nimmt zu ihnen seine Zuflucht, wenn Worte innerhalb dem Kreise seiner Religion nicht Triebfedern geben, seine Idee so hoch zu spielen, als er sie haben will: und nur dann irret seine Phantasie in diese Zaubergegenden der Griechischen Dichtung, wenn er schon unsre Sinne erfüllet, und jetzt der Seele Zeit läßt, die Bilder ihrer Jugend zu sammlen. Konnte er dies nicht thun, als Dichter? Eben dadurch schlägt er ja an unsern Geist, daß er gleichsam sich selbst dichte. Oder etwa nicht als Dichter der Religion? Was ist der Religion würdiger, als solche Vergleichungen zu ihrer Erhöhung? Die Bibel, ja Jehovah selbst in ihr spricht also.
Nichts, nichts wundert mich so sehr, als daß ein compilirter Tadel, der in Britannien längst verlacht, und verachtet ist, den nur die Lauder's und Magni's und Voltaire's gegen Milton haben aufbringen können, und längst damit zur Ruhe gegangen, daß dieser, ohne Gründe und Ursachen, wieder aufgewärmt, in Deutschland angehört werden könne! Einem Critikus, der Milton blos aus ausgerissenen Allegationen kennen mag, kann so etwas erwartet kommen, dem aber mag ich keinen bessern Lohn für seinen Tadel wünschen, als daß er ihn nie im Zusammenhange kennen lerne!16 – –
Schade, daß unserm Lateinischen Homeristen die Biblischen Epopeen, die wir in unsrer Sprache haben, z.E. ein Noah, Jakob, u.s.f. unbekannt oder nicht in seiner Compilation angeführt gewesen: welch ein gelehrtes Register Mythologischer Herrlichkeiten würde er da excerpirt haben, zur Freude aller frommen Christen, und zur Lehre der Männer in Zürich!
1 p. 55.
2 Ich weiß, ohne die allsehende Muse nöthig zu haben, daß Hr. Klotz Parenthesen liebt, in Einer wieder Eine, und in dieser noch eine, und in der dritten zur Noth noch eine vierte machen kann; ist das aber Anordnung? – Zu dem, damit ich auch eine Parenthese mache, gebe ich dem seligen Geßner vor Hrn. Klotz, wenigstens bei mir, Recht, daß Ovids Proserpine zu nahe dem Kindischen sey (nimis puella), ohne daß darüber ein überladnes Gericht Claudianscher Mythologie gelobt werde.
3 Act. liter. Vol. I.P. III. p. 250. etc. Funccii de lectione auctor. classicor. P. II.
4 Epist. Hom. p. 58.
5 ibid. p. 83. 84.
6 Klotz Opusc. Poet. – Carmina omnia, und bei welchem Titel ihrer Titel man sie sonst, nennen will.
7 Epist. Hom. p. 82. 83.
8 Epist. Hom. p. 58–86.
9 Epist. Hom. p. 73–75. etc.
10 Epist. Homer. p.79.
11 Parad. lost. B. IV.
12 Gesch. d. Kunst, p. 28.
13 Parad. lost. Book IV. v. 266.
14 B. IV. v. 499.