Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Gottfried Herder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066398903
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– 1 Zeichen fehlt] und [fremdsprachliches Material – 1 Zeichen fehlt]) kaum mehr zu beſtimmen ſind. Die Roͤmer, die ihre Sprache ſo Griechiſch als moͤglich machen wollten, nahmen daher auch die Hauche auf, um ihre alte Mundart zu mildern. Quintilian fuͤhrt an, die Alten haͤtten aedus, ircus (ſtatt haedus, hircus) geſprochen: man haͤtte aus dem Griechiſchen aber das H dazu genommen: ja, wenn man das Catulliſche Epigramm kennet, das uͤber hinſidias und hionios (ſtatt inſidias und ionios) ſpottet: ſo weiß man, daß die Kleinmeiſter von lieblichem Ton ihn endlich zu allgemein auch bei den ſanften Vokalen, die ihn nicht noͤthig hatten, machen wollten. Cicero aͤrgert ſich, daß er dem Volk zu gefallen, pulcher und triumphus, ſtatt pulcer und triumpus ausſprechen muͤſte, und Quintilian aͤrgert ſich, daß man ſchon ausſchweifte, um chorona und praecho zu ſchreiben. 26 Die Nordlichen Voͤlker verſchlingen die Aſpiration der Kehle durch den ſtarken Gebrauch der Zunge, Lippen und des Gaumens, und da ſie die Lateiniſchen Laͤnder uͤberſchwemmten: ſo fanden ſie das H unausſprechlich. Es verlor ſich alſo aus der Jtaliaͤniſchen und meiſtens auch aus der Franzoͤſiſchen Sprache. Unſrer Deutſchen Sprache, als einer Originalmundart blieb es, und mildert alſo recht ſehr ihre Barbarey der Conſonanten.

      „Jn wie fern Jnverſionen nuͤtzlich oder „ſchaͤdlich ſind, muß gewiß, aus ganz andern „Gruͤnden, als ſolchen woͤrtlichen Ueberſezzungen eroͤrtert werden; und die Urſache, „warum dergleichen Partikeln in der Deutſchen „Sprache ſo und nicht anders geſezzt werden, „mag ſich doch wohl koͤnnen Philoſophiſch erklaͤ-„ren laſſen.„ Jch verſuche es, ſie Philoſophiſch zu erklaͤren; — aber nicht die Partikel — denn jede Sprache hat ihren Eigenſinn; ſondern die Jnverſionen uͤberhaupt: ſo wird ſich ihre Erlaubniß und Nutzen von ſelbſt zeigen.

      12.

       Inhaltsverzeichnis

      Stellet euch zwei Geiſter vor, die ſich einander ihre Gedanken, und blos Gedanken unmittelbar mittheilen; ſo wird die Ordnung, in der das eine Weſen ſie denket, auch zugleich die ſeyn, in der ſie das andere erblicket. So wie die Jdeen bei dem einen ſich entweder aus ſeinem innern Grunde hervorwickeln, oder ſo wie es ſie aus den Dingen außer ſich ſchoͤpfet: ſo theilet es dieſelben auch mit. Eine ruhige Venunft, die nichts als Gedanken einer andern Vernunft ſaget: gehet alſo den gewoͤhnlichen Pfad der Zuſammenſezzung der Begriffe; ſie zeiget den Gegenſtand zuerſt und ihr Urtheil daruͤber an. Hier iſt alſo der Bau eines Perioden ſo regelmaͤßig beſtimmt, daß, nach der Arabiſchen Proſodie zu reden, jedes Wort einen Pfoſten und Saͤule ausmacht, der eben hier an ſeinem Orte ſtehet.

      Betrachtet eine Philoſophiſche Sprache; waͤre ſie von einem Philoſophen erdacht: ſo huͤbe ſie alle Jnverſionen auf: kaͤme eine allgemeine Sprache zu Stande: ſo waͤre bei ihren Zeichen nothwendig jeder Plaz und jede Ordnung ſo beſtimmt, als in unſrer Dekadik. So lange wir aber noch keine durchaus Philoſophiſche Sprache haben, die blos fuͤr die Weltweisheit erfunden waͤre: ſo nehmt die, die am meiſten zur Weltweisheit gebraucht wird, die Lateiniſche, nehmt ſie, wie ſie in den Buͤchern der Weltweisheit iſt, wenn ſie Lehrſaͤzze und trockene Beweiſe vortraͤgt; wie iſt ſie? ohne Jnverſionen meiſtentheils.

      Nun ſtellet euch zwei ſinnliche Geſchoͤpfe vor, davon der eine ſpricht, der andre hoͤret: Dem erſten iſt das Auge die Quelle ſeiner Begriffe; und jeden Gegenſtand kann er in verſchiedenen Geſichtspunkten ſehen; dem andern zeiget er dieſen Gegenſtand, und es kann auf eben ſo verſchiedenen Seiten geſchehen. Nun betrachtet die Rede, als ein Zeichen dieſer Gegenſtaͤnde: ſo habt ihr den Urſprung der Jnverſionen. Je mehr ſich alſo die Aufmerkſamkeit, die Empfindung, der Affekt auf einen Augenpunkt heftet; je mehr will er dem andern auch eben dieſe Seite zeigen, am erſten zeigen, im helleſten Lichte zeigen — und dies iſt der Urſprung der Jnverſionen. Ein Beiſpiel: Fleuch die Schlange! ruft mir jemand zu, der mein fliehen zu ſeinem Hauptaugenmerk hat, wenn ich nicht fliehen wollte. — Die Schlange fleuch! ruft ein anderer, der nichts geſchwinder will, als mir die Schlange zeigen; fliehen werd ich von ſelbſt, ſo bald ich von ihr hoͤre. — Er hat mir das Geld geſtohlen; und kein anderer; Er hat mir das Geld geſtohlen; ich weiß es gewiß; das Geld hat er mir geſtohlen (und keinen Ring); Mir hat er das Geld geſtohlen, und keinem andern; geſtohlen hat er mir das Geld (nicht abgeborgt): wie viel Veraͤnderung macht hier nicht die Jnverſion in der Wendung des Gedankens.

      Entſpringt alſo die Jnverſion von der ſinnlichen Aufmerkſamkeit: ſo muß bei einer noch ganz ſinnlichen Nation ihre Sprache unregelmaͤßig und voll Veraͤnderungen ſeyn: wie die Gegenſtaͤnde ins Auge fallen, ſo ſaget ſie dieſelbe; eine Grammatikaliſche Conſtruction iſt noch nicht eingefuͤhrt. So ſind noch jetzt die Sprachen der Wilden, und alle alte Sprachen, die urſpruͤnglich ſind, und das Gepraͤge der erſten ſinnlichen Lebensart fuͤhren, ſind voll Jnverſionen. Geberden, und Accent kommt zu Huͤlfe, um dies Chaos von Worten verſtaͤndlich zu machen. — Noch immer ſpricht man von den aͤlteſten Sprachen, als waͤren ſie von GOtt, oder einem Philoſophen erfunden, und waͤren aus ſeinem Gehirn mit aller Ruͤſtung geſprungen, wie Pallas aus dem Gehirn des Jupiters. Alles, was wir ſchoͤnes in den aͤlteſten Sprachen finden: iſt erſt ſpaͤter in ſie gekommen, nur wir kennen die erſten unfoͤrmlichen Zeiten nicht; daher ſcheinen ſie uns gleich im Anfange im Glanz. Nehmet das ſinnreichſte Spiel, wo ein Euler durch die Berechnung der Faͤlle der Wahrſcheinlichkeit die weiſeſte Anordnung entdeckt; iſt es im Anfange ſo geweſen — nichts als eine Zuſammenhaͤufung ungefaͤhrer Wuͤrfe; eine Folge von Verſuchen, bis Verſuche endlich Kunſt in daſſelbe brachten —

      So bald gewiſſe Dinge mit beſtimmten Worten fortgepflanzt wurden; wie dies durch die erſten Lieder geſchahe; ſo fieng ſich dieſes unordentliche Chaos an zu ſenken; man ſuchte die Ordnung der Worte aus, die dem Lernenden am faßlichſten waren; das Sylbenmaas muſte ſie einpaſſen, und ſo ward ſie zwar kein Geſez, keine Regel, aber ein Muſter, ein Praͤjudicat: und man weiß, daß alle Voͤlker nach bloßen Gebraͤuchen leben, ehe ſie Geſezze haben. Die Gebraͤuche werden zu Gewohnheiten,