Das Zusammengesetzte aber aus Verschiednem ist in Betrachtung des Einfachen eine wahre Kleinigkeit. Was sind alle Vögel, Tiere und Fische gegen die unermeßliche Luft, das blendende Gewimmel der Gestirne und gegen Meere und Erden in ihrer ursprünglichen Reinheit? Zusammengerottete winzige Sonderlinge! Die großen Massen allein leben und schweben in ewiger angestammter Wonne und Glückseligkeit: nur wir Heterogenen leiden und sind elend und plagen uns mit unsrer Erhaltung, immer in der jämmerlichen Furcht, zu vergehen. Mitteldinger zwischen Sein und Nichtsein! Zusammengeballte Grenzen des Verschiednen! Die sich mit Träumen plagen und ihre eigentliche Natur nicht finden können; und auf das kranke Gewinsel zerrütteter Kreaturen horchen, da uns das ewige Licht in die Augen blitzt, Meere in die Ohren rauschen und alles augenblicklich in uns strebt, sich mit dem großen Mächtigen wieder zu vereinigen.
Die Toren glauben, sie kämen einmal in eine ganz andre Welt, wo keine Sonne wäre, weder Mond noch Sterne, noch Meer und Land wie bei uns, und sie hätten vielleicht dort doppelte goldne Hüften, wie hier nur eine Pythagoras hatte.
Unsre Philosophen nehmen sich sehr in acht, wenn sie von Seele reden, auf Erde, Wasser, Luft und Feuer zu kommen, vermutlich, um sich nichts zu vergeben. Nicht also die Griechen! Wir zucken die Achseln deswegen über sie? Je erhabner der Mann, desto eher der Kinder Spott!«
Demetris Wangen wurden röter in diesem lyrischen Taumel; ich rief ihm zu: »Mäßigt Euren Schwung, wenn ich nachfolgen soll!
Etwas Besonders, Adler oder Mensch und zum Beispiel Alexander zu sein nach gewonnenen Schlachten«, fügt ich leise hinzu, »macht doch auch große Freude und kömmt einem angenehmer vor, als wenn man sich zu unendlich kleinen Teilchen von Erde, Luft und Wasser und Feuer denkt. Jedes einzelne Wesen wird seine Existenz bloß durch andre gewahr; je reiner es sich damit vereinigt, desto größer wahrscheinlich seine Glückseligkeit. Alles in der Natur strebt deswegen, sich in andres zu verbreiten.«
Demetri. Bei solchem Einfachen gibt's kein Teilchen; jedes, wenn man sich es auch denkt, gehört so zum Ganzen, daß das Ganze zusammengenommen nichts Bessers ist. Das Teilchen ist wie das Ganze und das Ganze wie das Teilchen; eins wirkt und regt sich wie das andre, jedes Gefühl blitzt durch das ganze All. Was das eine angeht, das geht auch das andre an; es ist eins so mächtig, so ungeheuer und unermeßlich groß, wenn man eine solche Größe annehmen will, wie das andre. Die Meere und Tiefen von ursprünglichen Elementen sind es, woraus wir immer neu strömen und zusammenrollen; und unsre Urnatur ist unendlich göttlicher und erhabner als das augenblicklich zusammengeballte Eins verschiedner Kräfte; nach dem hohen Plato nur eine Stockung im unsterblichen Flusse der Glückseligkeit.
Ardinghello. Aber daß etwas sein muß, was das Weltall zusammenhält, ist wohl klar genug! eine unbekannte Ursache an und für sich, doch bekannt in ihren Wirkungen; ein Wesen, das die andern Elemente zusammenbändigt von ihrem Schlafe zum Leben, zur Existenz, zur Harmonie und Einheit.
Wenn ich meinen Körper betrachte und bedenke, daß ich ihn selbst soll zusammengearbeitet und gebildet haben, und doch nichts davon weiß oder, welches einerlei ist, daß das erste Menschenpaar dies soll getan haben: so dünkt mir augenscheinlich, daß ich nicht von mir selbst abhange und daß eine unbekannte Ursach im Spiel ist. Anfang und Ende ist für keines Menschen Kopf und ebenso unbegreiflich, wie Verschiednes ein lebendiges Eins macht. Unsre offenbare Willkür, der vorher bestimmte Endzweck aller unsrer Sinnen zum Beispiel, das Forterhalten der Gattungen, bleibt unerklärlich und übersteigt die feinste Philosophie.
Demetri. Vielleicht wird sich dies noch aufhüllen.
Wir erkennen uns bloß als Zusammensetzung, als Wirkung und nicht als Ursache. Bei uns ist sie mit unserm Verstand eins, und es findet da kein Gezweites statt; bei andern Dingen läßt sie vielleicht den Sonnenstrahl, so wie ihn unser grobes Auge blickt, nicht in ihre Verborgenheit. Rein existiert sie bloß in ihrer ursprünglichen Vortrefflichkeit, schwebt im Genuß ihrer selbst: und vermischt erkennt sie nur die Vermischung.
Liebe und Krieg ist ewig auf den Grenzen verschiedner Natur; jene nennen wir Ordnung, Leben, Schönheit, und wie die Namen alle lauten. Wie Kinder scheuen wir Tod und Vergehen; wir würden bei beständiger Dauer in immer einerlei Zusammensetzung vor Langerweile endlich auf ewiger Folter liegen in unsrer kleinen Eingeschränktheit. Die Natur hat sich aus eignen Grundtrieben dies Spiel von Werden und Auflösen so zubereitet, um immer in neuen Gefühlen selig fortzuschweben; und unser Beruf ist, dies zu erkennen und glückselig zu sein. Pythagoras hatte recht: die Welt ist eine Musik! Wo die Gewalt der Konsonanzen und Dissonanzen am verflochtensten ist, da ist ihr höchstes Leben; und der Trost aller Unglücklichen muß sein, daß keine Dissonanz in der Natur kann liegenbleiben. Die höchsten Granitfelsen der Alpen und des Kaukasus zermalmen endlich die Regen des Himmels und die Katarakten der Eisdecken auf ihren Gipfeln, und unsre Jahrtausende sind Momente der Ewigkeit. Kommen wir einmal zum Teil in den Mittelpunkt des Ozeans und der Erdkugel, so kommen wir auch in Sonnen und Gestirne und werden eins damit.
Jedes Element hat nach höhern und mindern Graden von Regsamkeit die Eigenschaft, zu leben, zu empfinden; und die mancherlei Proportion gibt jedem einzelnen Dinge seinen besondern Urcharakter. Dem Affen ein wenig Licht und Luft mehr im Urton: und er stünd auf der Leiter der Schöpfung über den Homeren und Zenonen, freilich alsdenn auch in andrer Gestalt. Unser Gehirn scheint der hohe Rat der Republik zu sein, sich augenblicklich zu bewegen und die neuen Erscheinungen und Gefühle der Sinnen aufzunehmen und darnach für das kleine Ganze zu sorgen.
Wer hat die Elemente so untersucht, daß er einem allein das Leben und Denken zuschreiben will? Warum sollten nicht alle mehr oder minder dazu fähig sein und die ganze Natur leben, denken und empfinden?
Der Mensch macht ein Ganzes aus, und es ist alte Pedanterei, denselben nur in zwei ganz entgegengesetzte verschiedne Hälften zu teilen, wie man hernach bei allen Tieren und der kleinsten Mücke tun muß. Aber Gewohnheit zwingt alles unter ihre eiserne tyrannische Herrschaft, bis auf die sich frei wähnendsten philosophischen Häupter, die davon nichts träumen.
Ardinghello. Auf einen Hieb fällt kein Baum, geschweige eine Zeder, die so viele Jahrhunderte, durch alle bekannte Zeitalter steht und mit ihrem immer grünenden Gipfel jedem Sturm trotzt. Die Menschen werden heutzutag schwerlich glauben, daß das Beste von ihnen nur Sonne war und die Planeten erleuchtete; sie sind zu stolz dazu geworden. Geschweige daß ihre Körper nur eine gewisse Ordnung seien, Wohnungen, Gasthöfe der Elemente, die augenblicklich durch sie reisten, sich nur Momente aufhielten, sie lebendig, vollkommner und bequemer für die nachfolgenden machten.
Demetri. Und doch muß auch dem Dümmsten auffallen, daß er alle Woche wenigstens ander Fleisch und Blut hat; daß ihn sein Magen jeden Tag ein paarmal an neuen Ersatz erinnert; daß er stündlich stirbt und wieder aufersteht; immer etwas anders ist, immer ist wie das Wetter, das er sieht und einatmet. Und was wollt Ihr mit allen bekannten Zeitaltern? Habt Ihr vielleicht den Aristoteles gelesen?
Ardinghello. Seine metaphysischen Schriften nur durchgeblättert! teils, weil sie mir zu weitläuftig und gleich anfangs mit Fleiß dunkel und rätselhaft geschrieben schienen, und teils, weil ich für wahr hielt, was Xenophon beim Eingange der Denkwürdigkeiten vom Sokrates meldet, nämlich: die Metaphysiker wären ihm vorgekommen wie Rasende, da die berühmtesten derselben schnurstracks sich entgegenstehende Meinungen behaupten. Die ganze Wissenschaft sei zu nichts nütze; und er hätte sich verwundert, wie es ihnen nicht offenbar wäre, daß unser Verstand darüber nichts Gewisses erfinden könnte. Die menschlichen Dinge allein machten uns genug zu schaffen.
Kapitel 36
Demetri. Auch beim Sokrates ist nicht alles Gold! Dies war zuverlässig in die Luft gesprochen, ohne