Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Gottfried Herder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066398903
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Jede griechische Gottheit war nur ein Ideal einer besondern Klasse menschlicher Vollkommenheit. Sein Bild ist lediglich ein Werk übernatürlichen Ausdrucks im Gesichte, und neue Art übriger Schönheit findet hier nicht statt. Der Künstler macht vor den Leiden und ans Kreuz und beim Herunternehmen davon einen richtigen ordentlichen Leib, sonst hat die eigentliche Kunst da kein weiter Feld, höhere Formen aus der Natur zu schöpfen.

      An gewisse Teile und ihre Bestimmung darf man gar nicht denken, und wie sie bei andern Menschen nicht umsonst sind und wirken: geschweige, sie langsam mit dem Reiz der alten Künstler bilden. Seine Gestalt kann also nie ein vollkommen freies Ganzes, ein Werk der ersten Klasse werden.

      Wollen wir in die griechische Fabel und Geschichte übergehen und unsre Vorstellungen daraus hernehmen, so erhalten wir meistens nur einen verwirrten Nachklang, ein wahres Echo ohne Sinn, das nur einzelne Silben wiederholt. Wer ist außerdem so frech eitel, daß er sich einbilden kann, einen bessern Apollo als den Vatikanischen, einen bessern Herkules als den Torso und Farnesischen, eine schönere Juno, Venus und so weiter zu erkünsteln als die Alten? Und wird es nicht ekelhaft, sie oder auch nur einzelne Formen davon immer und ewig zu kopieren, mit den angewiesnen Plätzen zu schänden? Steht nicht fast allemal der hohe strahlende Purpurlappen lächerlich und ärgerlich für den Erfahrnen in einem Harlekinsgewande?

      Und doch tut es so weh, uns in unsrer Armut und Dürftigkeit einzuschränken! Wir bauen gleichsam noch in den bildenden Künsten, wie zu Konstantins und den mittlern Zeiten, setzen aus den zertrümmerten Tempeln und Palästen der zurückgewichnen Erdengötter die Säulen aller Ordnungen nebeneinander und führen ein neues Mauerwerk kindisch, verzerrt und unförmlich, ohne klare und dunkle Idee, wie es werden will, darum her und darüber auf, im Schweiß und der Affenfreude unsers Angesichts.

      Kapitel 33

       Inhaltsverzeichnis

      Rom, Dezember.

      Nacht ist doch die schönste Beruhigung von Geschäften, wo die Phantasie die freiesten Flüge tut und der Mensch am mehrsten seiner selbst genießt. So raste ich jetzt hier oben auf der Villa Medicis in meinem Zimmer. Rom schläft; der blaue unermeßliche Äther schwebt darüber wie eine Henne über ihren Küchlein, und blinkend hell Gestirn erleuchtet selig die Gegenden. Alles ist still; nur plätschern angenehm die Springbrunnen: heilige Symbole des ewigen Lebens in der Natur.

      Mit der Einbildung überschau ich unter mir den alten Campus Martius in der lieblichen Dunkelheit; und mir fängt das Herz stärker an zu schlagen, und Feuer rinnt durch meine Adern. Hier balgt sich die römische Jugend auf grünem Rasen herum im Schatten hoher Platanusse und treibt ihre kriegerischen Spiele; dort schwimmen sie durch den schnellen tiefwirbelnden Tiberstrom, die Ufer hieben und drüben mit schönem Gesträuch bewachsen; und in der nahen Ferne lagern sich die Hügel von Monte Mario bis zu Pietro Montorio in majestätischem Kreise, wo der Edeln Gefühl mit erhebenden Schauern die Geister von Brutussen, Camillen und Scipionen gegenwärtig erkennt. Hier steigt der Sonnenobelisk empor, dort die prächtigen Theater vom Pompejus und Balbus, die traulichen Hallen, runden und hohen Mausoleen, feierlichen Tempel. Die Väter des Volks gehen auf und ab in den kühlen Hainen und pflegen Rat über den Erdboden. Nebenan prangen die schönen Gärten.

      Ich habe heute wieder einen schönen Tag gehabt! Es ist ein unaufhörlich Vergnügen, in Rom zu sein; man findet immer Neues, was von der Gewalt und Herrlichkeit des alten Volks zeugt und oft einen entzückt oder erschüttert. Es ist eine wahre Tiefe von Menschheit; die andern Städte sind dagegen wie erst angepflanzt. Besonders reizen und rühren vom Kapitol an die ungeheuern Ruinen, welche die neuen Villen mit ihren Pinien, Lorbeern, Zypressen und beständig grünen Eichen ausschmücken.

      Den Vormittag zog ich hier herum und ging dem ersten Ursprung dieser heroischen Republik nach, und gelangte von den Rostris und dem Tempel des Romulus am Monte Palatino, gleich daneben in einem Winkel, zur Quelle der Juturna, die kristallhell gerade beim Anfang der Cloaca maxima aufsprudelt und sich dahinein nun ferner ungebraucht ergießt. Ich schöpfte mit der hohlen Hand daraus, und trank und ward erquickt, und konnte nicht müde werden, sie rinnen zu sehen. Ein heiliges Plätzchen, rundum verbaut und eingemauert! Die Wände sind überall mit breitblätterigem Efeu überzogen und kleinem Gesträuch bewachsen. Man kennt sie nicht mehr vor den stolzen Wasserleitungen; und gewiß war sie doch die Hauptursache, warum Romulus oder vor ihm ein junger Ausflug Griechen hier sich annistete, da in den jetzigen weiten Ringmauern sich keine andre Quelle befindet.

      In schwärmerischen Betrachtungen verloren, wand ich hernach in den Farnesischen Gärten für sie einen Myrtenkranz mit allerlei Blumen, holte aus der Nachbarschaft ein Gefäß mit Milch und Honig, goß es in sie aus, bekränzte sie und sang ihr wehmütig ein kurzes Trauerlied bei dem Opfer, das sie Jahrtausende nicht genoß.

      Ein Zusammenklang von lauter rührenden Gefühlen, wandelt ich nach Hause durch die drei noch übrigen Triumphpforten von den ehemaligen sechsunddreißigen. Ein solcher Freudenbogen, ausgeziert mit den schönsten Lebensszenen dessen, den man empfängt, ist doch ein so recht verliebter Gedanke. Herzlicher und dauerhafter kann ein Volk einem Helden keine Ehre antun.

      Die Kunst bleibt ein sonderbares Ding; sie scheint ganz ihren Weg für sich zu gehn. Wenn man von ihrer Vortrefflichkeit auf die Vortrefflichkeit der Menschen zu gleicher Zeit sollte schließen können und umgekehrt: welche Popanzen müßten die Römer zu Septimius' und Konstantins Zeiten gewesen sein gegen die unter Trajans? Der Kontrast ist gar zu possierlich an des christlichen Kaisers Bogen, wo die Bildhauer unter ihm zu den Wechselbälgen seiner Geschichte die Meisterstücke von Figuren aus einem andern zum Ruhme des Siegers von Dazien hineingeflickt haben. Was konnte Alexander dafür, daß er keinen Homer fand bei seinem Leben, überhaupt keinen großen Dichter, der ihn besang?

      Ferner ist rückwärts gewiß, daß die Kunst bei gleich vortrefflichen Menschen nur nach und nach zur Höhe wuchs; so schwer ist es, alles Lebendige vollkommen zu bilden und nichts, was noch rührt und reizt, auszulassen, und dafür bloß mathematische Linien und Placken hinzustellen. Das Ganze wird nur nach und nach gewonnen; das Individuelle-Lebendige-Geistige bleibt aber immer das, was den großen Menschen von dem andern unterscheidet. Und so kann einer zwar ein ungleich größrer Künstler als ein andrer, aber ein weit kleinrer Mensch sein. So war der Jupiter und die Minerva des Phidias wahrscheinlich erhabner als manches andre Bild, das nachher ein weit natürlicher Fleisch und mehr Lebendiges in der Materie hatte. Und darauf kömmt's doch an, die unterscheidenden wesentlichen Züge von jedem Dinge bestimmt zu fassen und dem Empfinder und Denker gleich darzustellen. Das Hauptvergnügen an einem Kunstwerke für einen weisen Beobachter macht immer am Ende das Herz und der Geist des Künstlers selbst und nicht die vorgestellten Sachen.

      Den Nachmittag ging ich nach der Rotunda; ich hatte den Mann mit den Schlüsseln dahin bestellen lassen, um obenhinauf zu steigen. Sie ist das einzige Werk von alter Architektur, was in Rom noch ganz ist; das vollkommenste in seinen Verhältnissen und prächtigste dabei wegen seiner Säulen auf dem Erdboden; die Paulskirche erscheint dagegen doch nur als Flickwerk.

      Wenn man in die Vorhalle tritt, so ist es, als ob man in das schönste Plätzchen eines Waldes von lauter hohen herrlichen Stämmen käme, die ein Gott zu einer Zeit gepflanzt hätte.

      Wie breit und mächtig einen dann das Innre selbst umfaßt und bedeckt, ist lauter Majestät; und feierlich stehen unten die Säulen umher und der dämmernde Raum dahinter, wie das Allerheiligste der Gottheiten. Was dies für eine Ruh ist! wie einen so nichts stört! wie die Rundung mit Liebesarmen empfängt, wie ein leiser Schatten einen umgibt, so daß man das Gebäude selbst nicht merkt! Oben Heiterkeit und Freiheit und unten Schönheit. Überall ist der Tempel schön und harmonisch, man mag sich hinwenden, wo man will; überall wie die schöne Welt in ihren Kreisen von Sonn und Mond und Sternen. Endlich scheint alles lebendig zu werden und die Kuppel sich zu bewegen, wenn man an dem reinen süßen Lichte des Himmels oben durch die weite Öffnung sich eine Zeitlang weidet. Sooft ich mich so ins Stille hinsetze und meinem Gefühl überlasse, werd ich da entzückt wie von einem Brunnquell unter kühlen Bäumen zur heißen Zeit. Es ist das erhabenste Gebäude, das ich kenne; selbst Schöpfung und nicht