Vielleicht macht Dir eine und die andre komisch ernsthafte Behauptung gerade das mehrste Vergnügen, da Du wohl weißt, daß man hier nur meinen kann, weil unsre Sinnen nicht bis dahin dringen.
»Jetzt ist wenig hier zu schauen«, sprach er, wie er zu mir kam; »aber zu mancher andern Zeit möcht ich da gestanden haben!«
Wir setzten und legten uns bald in die Sonne, die das Dach angenehm erwärmt hatte, und sagten erst dieses und jenes über alte und neuere Architektur. Der Schluß war, daß der Zweck, der vom Plan und den großen Massen an bis aufs geringste einzelne und die Verzierungen aus allem rein hervorleuchte, die alten von den neuern Gebäuden unterscheide, wo oft bloße nachgeahmte Kunst und leere Schönheit sei, auch bei den besten, sonder Absicht und Nutzen. übrigens ließen wir doch dem Bramante, Antonio da San Gallo, Michelangelo, Palladio und den andern großen Meistern ihr gebührend Lob völlig angedeihen und waren der Meinung, daß kein alter Architekt vielleicht einen heroischern Palast dem Cäsar als der Palast Farnese und einen lieblichern glänzendern der Kleopatra als der Palast von Cornaro zu Venedig würde haben erbauen können.
»Bei unsern Kirchen«, fügte Demetri hinzu, »worauf wir das mehrste wenden, haben wir die reizende Mannigfaltigkeit nicht der Alten; Tempel des Jupiter, Apollo, Mars, Bacchus: Tempel der Juno, Pallas, Diana, Venus. Jeder machte ein eigen Ganzes in Plan, Verzierung und Ausschmückung und Gegend.«
»Die Meister sollten sich mehr nach den Heiligen richten«, versetzt ich, »denen die Kirchen geweiht werden. Der Papst, welcher die Rotunda hier allen Heiligen einweihte, so wie sie ehemals allen Göttern geweiht war, scheint so etwas im Sinne gehabt zu haben.
Es ist doch sonderbar«, entfuhr mir hierbei, »daß die Griechen, das aufgeheiterte Volk, sich mit den Fabeln über die Gottheit so ernsthaft und zuweilen so abergläubisch grausam beschäftigen konnten, da sie, der vielen andern Weisen nicht zu gedenken, einen Anaxagoras hatten.«
»Grausam«, versetzt' er, »sind sie in Vergleichung mit uns zu ihren guten Zeiten nur wenigemal gewesen. Und dann lassen sich Meinungen, wo nicht offenbare Widersprüche sind und das Gewisse tief verborgen steckt, nicht so leicht wegarbeiten. Es hält bei den ausgemachtesten Dingen schwer, den großen Haufen unter einen Hut zu bringen, wenn er sich mit eingewurzelten Vorurteilen dagegen sträubt; geschweige bei spekulativen Sätzen die freieste Nation.
Mit den griechischen Gottheiten ging es gewissermaßen wie mit vielen Wörtern in jeder Sprache; wir haben einen deutlichen oder dunkeln Sinn dabei, wissen aber ihren ersten Ursprung nicht und wo sie herstammen; und jene waren schon vor Mosen und den Propheten in der ägyptischen Zeittiefe, ehe noch ein Trismegist unter den Sterblichen die Buchstaben erfand. Homer hat damit seine Iliade ausgeziert, wie mit Edelsteinen, Gold und Perlen, und zuweilen lauter Schmuck gemacht, wie den Kampf des Skamander mit dem Vulkan.
Religion wurde, dünkt mich, in der bürgerlichen Gesellschaft zuerst bestimmt eingeführt, um den Streit über verschiedne Verehrung der Gottheit bei Familien zu verhüten.19 Jeder Staat oder Gesetzgeber ergriff eine Partei der Ordnung wegen und ließ andern Republiken und Selbstköpfen natürlicherweise ihre Freiheit, über das Weltall zu denken, was sie wollten, wenn sie nicht mit Fackel und Schwert seine Verfassung störten.
Bei den Griechen mußt es einer sehr arg machen, wenn Richter und Volk Meinungen dagegen ahnden sollten. Was hat nur Aristophanes nicht für Witz über die Götter ausgegossen! Wir im heiligen Rom erschrecken noch nach Jahrtausenden über seinen Mutwillen, wenn wir uns einmal mit der Phantasie in dessen Zeiten gedacht haben. Das Scherzen über die Bewohner des Olymp mochten die Griechen, scheint es, sehr wohl leiden; nur durfte sie einer nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten wollen und als Schwärmer deren Bildsäulen zerschlagen, ohne ihnen dafür andre Freuden, andern Zeitvertreib zu gewähren. Jeder begriff an sich selbst, daß sich das Gefühl der Wahrheit und Falschheit nicht so ganz bändigen läßt, wenn man den Bürger nicht als bloßen Sklaven haben will. Bürgerliche Ordnung soll nur Gewalttätigkeit hemmen, und nicht den freien Gebrauch der Seelenkräfte: sonst bleibt der Mensch nicht Mensch mehr und wird zum Tier der Herde, verliert seine eigentümliche Glückseligkeit und allen Wetteifer, wie wir in den tyrannischen Staaten sehen, wo die Natur auch ihre geistigsten Gaben am reichlichsten ausspendet, in den Gefilden der Wahrheit und Schönheit nach Lust immer weiter zu schreiten und hienieden die höchsten Gipfel zu ersteigen, wo er Meer und Land überschaut.
Die mehrsten Streitigkeiten über Gott kommen davon her, daß Laien selten wissen, was sie wollen; und Philosophen meistens für den eingeführten Glauben, sei's unter Heiden, Juden, Christen, sich von ihm ein Ideal bilden, und ihn nicht annehmen und zu ergründen suchen, wie er in Natur sich befindet; als ob er sich bei der Menge verächtlich machte, wenn er wäre, was er ist.
Anaxagoras unter den Griechen gab mit seinem Verstandwesen für die folgenden Zeiten hauptsächlich dazu Anlaß. Das System des Lehrers des Perikles und Euripides hat durch ihr sinnliches und glückliches Zeitalter geherrscht, trotz den schulwidrigen Behauptungen vielleicht größrer Scheidekünstler, erhielt sich bis in die christlichen Jahrhunderte und herrscht gewissermaßen trüb und dunkel wieder jetzt, obgleich die erste Quelle nun unbekannt geworden ist. Er stattete eine Weltseele, die alle Materie der Elemente durchdringt und über sie Gewalt hat, in dem in der Erde steckendsten Wurm und himmelhöchsten Adler dieselbe.
Sokrates verwarf alles System, ahndete nur und betete an in heiligem Stillschweigen nach seinem tiefsten Forschen; verehrte übrigens die Gottheit nach den Landesgesetzen unter mancherlei Namen, ohne sie näher zu bestimmen, und riet seinen Freunden dasselbe.
Dem Plato, Aristoteles und andern Denkern aber war damit wenig gedient, und sie gingen so weit, als sie nur vermochten. Jener sprach über den allgemeinen Verstand in erhabnen Dichtungen; und der kühne Titan von Stagira belagerte regelmäßig endlich nach den feinsten Erfindungen der scharfsinnigsten Taktik; und seine Anhänger behaupten, er sei in die innerste Festung eingedrungen. Darauf und daran muß der Herrliche, der in so vielem andern an der Spitze der Menschheit stand, gewiß gewesen sein.
Plato schreibt noch am Ende seiner Tage den Gestirnen den höchsten Verstand zu. Anfangs bedacht er sich lang über die Sonne und konnte nur damit nicht ins reine kommen, wie wir lebten und so hell im Geiste sähen, wann sie unterginge und es Nacht wäre.20 Daß alles Lebendige erfrieren, zu toten Klumpen erstarren müßte, wenn nichts von ihren Strahlen zurückbliebe, wird ihm wohl einmal im Winter die Bedenklichkeit gehoben haben. Vielleicht schloß er gar noch ferner, daß alles Licht und alles Feuer und alle Wärme auf unserm kleinen Erdboden bloß in Materie gefahrne Strahlen der Göttlichen und der Gestirne sind, die jene, von nichts gehemmt, durchdringen, regen, richten; woher alles einzelne Lebendige denn Bildung, Form und sein Recht hat; bis sie wieder von andern aufgenommen werden oder sich selbst absondern in Rückerinnerung der alten überschwenglichen Wonne; und daß die Massen und Körper, die deren am mehrsten enthalten, die lebendigsten sind. Wenigstens ist dies der Grundstoff zu seinem glänzenden theologischen System, worüber Julian noch abtrünnig wurde.
Überhaupt hielten die mehrsten alten Philosophen das Feuer für das Göttlichste in der Natur.«
»Die großen Dichter dieser hohen Zeiten für die Menschheit«, fiel ich ein, »hatten um eine Stufe natürlichre Metaphysik und nahmen das Sinnlichre und Nähere. Sie meinten, wir schöpften die bewegende Kraft mit dem Atem, und sie sei in der Luft befindlich, und nannten sie Zeus, nach dem wörtlichen Sinne, wodurch sie lebten; und einige Philosophen schlugen sich zu ihrer Partei.
Sophokles sagt: ›Zeus, der alles faßt, in alles dringt, uns näher verwandt ist als Vater, Mutter, Bruder, Schwester.‹ Und an einem andern Orte: ›Welcher Menschen Übermut, o Zeus, hemmt deine Macht, die der uralte Schlaf nicht ergreift und die unermüdlichen Monden! Unalternd durch der Jahre Wechsel nimmst du Herrscher den strahlenden Glanz vom Olymp ein; dir ist der Augenblick, die Zukunft und Vergangenheit untertan.‹
Und Euripides sagt geradezu: ›Siehst du über und um uns den unermeßlichen Äther, der die Erde mit frischen Armen rund umfängt? Das ist Gott!‹
Und Aristophanes, sein Antagonist, ruft ebenso aus: