Die Beamten schnappten sich die Reste des Pakets, kümmerten sich um den Verletzten und wogen das restliche Pulver in einem Streifenwagen ab. Vivian hatte genug gesehen. Den ganzen Vorgang hatte sie mit ihrer Kamera dokumentiert. Es war Zeit zu verschwinden und die Kamera mit der Speicherkarte in der öffentlichen Toilette zu hinterlegen. Sie verließ ihren Jägerunterstand und machte sich auf den Rückweg durch das kleine Wäldchen. Während sie die Kamera fest an sich gedrückt durch den Wald quälte, machte sie sich Gedanken. Hatte sie eben aus sicherer Entfernung einen Drogendeal beobachtet der schiefgegangen war? Aber warum hatten die Beamten auf den jungen Mann geschossen? Man konnte doch den Widerstand mit Handgriffen brechen, ohne den Dealer so schwer zu verletzen. Aber wenn das ein schiefgegangener Drogendeal war, weshalb hatte eine Bundesbehörde wie das SNB daran Interesse?
Vivian blieb im Wald stehen und dachte darüber nach, was sie mit den Beweisen anfangen sollte. Eine Sicherungskopie behalten oder ihre Beweise abliefern und nicht weiter darüber nachdenken. Sie hatte ihr Geld ja verdient, ohne ihren Auftrag zu gefährden. Die Frage war nur was sie mit der Sicherheitskopie anfangen sollte, wenn sie denn eine anfertigte. Sie hatte ja nur eine Polizeiaktion mit Bildern festgehalten und eine Kopie der Fotos brachte ihr ja keine Vorteile. Vivian könnte sie nur an eine Tageszeitung verkaufen und damit noch ein paar Dollar verdienen, aber in den USA passierten jeden Tag tausende Verbrechen, die nicht unbedingt in der Zeitung standen. Sie entschied sich dagegen. Ihr Job war erledigt und sie würde mit Sicherheit noch weitere Aufträge erhalten, mit denen sie ihr kleines Gehalt aufbessern konnte.
Vivian setzte ihren Weg in die Innenstadt von Portland fort, ohne einen weiteren Gedanken an den Vorfall zu verschwenden. Hinter dem Wäldchen hatte sie ihren Kleinwagen geparkt, den sie sich durch den zusätzlichen Verdienst ihrer Nebentätigkeit leisten konnte. Sie klemmte sich hinter das Steuer und fuhr in die Stadt. Vor ihr tauchten die hohen leuchtenden Gebäude von Portland wie aus dem Nichts auf und beleuchteten ihren Weg zum Übergabeort. Dort angekommen parkte sie ihren Wagen in der Nähe einer Pizzeria und begab sich auf die Damentoilette. Wie vorhergesagt fand sie dort an der Wand den Automaten für Damenhygieneartikel. Die Klappe ließ sich ganz einfach öffnen und sie deponierte dort die Kamera. Dann schloss sie die Klappe wieder und setzte sich in den Außenbereich des Lokals.
Sie hatte einen guten Blick auf den Eingang. Der Kellner nahm ihre Bestellung auf und kehrte kurz darauf mit ihrem Erfrischungsgetränk zurück. Vivian behielt den Zugang der Toilette die ganze Zeit im Blick. Nach den ganzen erfolgreichen Aufträgen wollte sie nun endlich wissen, wer eigentlich hinter den Aufträgen steckte. Irgendjemand musste die Kamera ja am Übergabeort abholen und zur Bundesbehörde SNB bringen. Der Kellner brachte ihr die bestellte Pizza. Er war etwas verwirrt, weil Vivian darauf bestand sofort zu bezahlen. Wenn schon jemand die Kamera abholen würde wollte sie keine Zeit verlieren, um der Agentin zu folgen.
Es dauerte gut eine ganze Stunde bis endlich eine adrett gekleidete junge Frau die Toilette betrat und kurz darauf mit einer Tasche wieder in der Tür erschien. Die Ausmaße der Tasche waren groß genug um die Kamera darin zu verbergen. Vivian beschloss ihr in sicherem Abstand zu folgen. Während sie ihr in einigem Abstand durch die Straßen folgte, schätzte sie die schlanke Frau ab. Ihr Businesskostüm in dem dunklen Blau passte zu einer Bundesagentin im Dienst des SNB, aber warum trug sie keine Waffe oder anderes Material zur Verteidigung bei sich. Nichts deutete darauf hin, dass sie in der Lage war sich zu verteidigen. Die Blondine war schlank, deutlich kleiner als Vivian mit ihren 1,75 m und bewegte sich eher wie eine normale Passantin.
Die Verwaltungsangestellte folgte ihr bis zu einem Bürogebäude, das sie ohne Kontrolle betrat. Sie war sich unsicher, ob sie ihr bis in das Gebäude folgen sollte. Wenn das ein Büro der SNB war, wollte sie nicht im Gebäude aufgegriffen werden. Vivian lief an dem Gebäude vorbei und riskierte einen Blick ins Innere. Ein Schild an der Tür des Bürogebäudes verriet ihr, dass es ein Verwaltungsgebäude der staatlichen Wasserversorgung war. Eine Bundesbehörde wie das SNB versteckte sich also hinter einer Institution im Dienste der Einwohner. Es war nichts Ungewöhnliches an dem Gebäude zu erkennen. Die Schalter lagen im Dunkeln und der helle Marmor wurde nur durch leichtes Licht der Notbeleuchtung erhellt. Die Frau der Vivian gefolgt war schien sich hier auszukennen, denn ihr Weg führte sie schnurstracks zu einer Tür am Ende des Ganges.
Nachdem die Agentin hinter dem Eingang verschwunden war, stellte sich Vivian auf eine weitere Wartezeit ein. Nach weniger als zwei Minuten verließ die Agentin das Büro aber wieder ohne die Tasche und trat auf die Straße hinaus. Sie beschloss die Agentin weiterzuverfolgen. Wie ein Android ging sie durch die hohen Gebäudeschluchten in Richtung eines eher ruhigen Viertels. Ohne sich umzusehen, bog sie um die nächste Straßenecke. Vivian folgte ihr weiter. Als sie an der Straßenecke ankam, war die junge Agentin plötzlich verschwunden. Vivian schaute sich um, ob die Agentin sich in eines der kleineren Häuser zurückgezogen hatte, konnte sie allerdings nirgendwo entdecken.
Mit ihren braunen Pupillen blickte sie suchend in der Dunkelheit der Straße und achtete auf eine Bewegung. Alles, was sich bewegte, waren einige Zweige eines Busches die sich im leichten Wind wiegten, ansonsten war alles still. Beobachtend drang sie weiter in die Straße vor bis sie an einer kleinen Mauerkante eines Unterstands von hinten eine Hand an der Schulter nach hinten riss. Vivian fiel der Länge nach auf den Boden und nahm instinktiv eine Abwehrhaltung ein. Über ihr erschien die blonde Agentin. Sie presste Vivian hart die Knie auf die Schulter und fragte sauer, »Wer sind sie und warum folgen sie mir schon die ganze Zeit?«
»Ich bin Vivian Burgess«, entschuldigte sie sich, »Ich wollte nur wissen, wer sich hinter den drei Buchstaben SNB versteckt. Tut mir leid, aber sie waren meine einzige Spur!«
Die Blondine blickte sie böse an. »Ihre Spur hat sie zu einer Studentin geführt die sich ihr Studium mit kleineren Aufträgen eben dieser Gesellschaft verdient!«
Vivian war enttäuscht. Das war nicht die Art von Antwort die sie sich erhoffte. »Würden sie mich bitte aufstehen lassen und die spitzen Knie von meinen Schultern