Kosmetik als Aufgabe und Praxis des Schönen
So wie der griechische Künstler seinem Ideal der Schönheit in seinem Werk aus Marmor und Stein Ausdruck verlieh, so ist es die Aufgabe der Kosmetik, diesen zeitlosen und ewigen Gedanken des Schönen am lebendigen Bild menschlicher Persönlichkeit Wirklichkeit werden zu lassen. Der ganze Mensch in seiner Sehnsucht nach Schönheit und Vollendung seines Ichs als Erscheinung und als Wesen sei daher stets der Mittelpunkt und der Inhalt unserer ästhetischen Lebenserkenntnis und unserer kosmetischen Lebensarbeit. Zur Harmonie der menschlichen Persönlichkeit beizutragen ist der Sinn unseres Wirkens. So ist das alte griechische, intuitiv empfundene Schönheitsideal für uns Menschen heute zum bewussten Vermächtnis geworden, Schönheit physisch zu geben und zu schenken, auf dass der Mensch in seinem Erscheinungsbild und in seinem Aussehen zu einem glückhaften Begegnen mit seiner Umwelt komme, der er in einem ruhigen, in sich gefestigten Selbstwertgefühl gegenübertreten kann. Dieses höchste Ziel in der Pflege der menschlichen Schönheit, im Sinne des alten griechischen und doch ewig jungen Ideals einer Harmonie von Erscheinung und Wesen, von Aussehen und Wollen, von Dasein und Sein zu erreichen, dazu steht uns allen der Weg offen. Auch wenn wir in und an uns selbst noch viel zu arbeiten haben, so genügt unser eigenes Wollen und Streben dahin, um es den anderen Menschen weitergeben zu können, die die Pflege ihres Aussehens und ihres Schönseins – im wahrsten Sinne des Wortes – vertrauensvoll in unsere Hände legen. In dieser letzten und höchsten Vollendung einer Pflege des Schönen im Sinne einer seelisch-leiblichen Betreuung von Menschen liegt ein unerschöpfliches Feld unseres Tuns und Handelns erfolgversprechender und beglückender Wirksamkeit. Ich glaube sogar, dass der höchste Sinn der Kosmetik überhaupt darin zu suchen ist, dass der Mensch in sich selbst die Idee des Schönen erkenne, damit er aufgeschlossen und sehend werde für die Schönheit der All-Schöpfung, die den Ausdruck ihrer inneren Harmonie trotz ihrer äußeren Gegensätze, trotz ihrer sich bedingenden Polaritäten des Wirkens in den Erscheinungen der Welt darstellt. Wir knüpfen an die Idee der frühen Menschheit von Schönheit an und geben ihr dennoch für unsere heutige Zeit ihren eigenen Sinn, dessen Erkenntnis für uns heute die Aufgabe unseres Lebens ankündigt: Pflegend die Schönheit des Körpers bewusst zu erkennen, als das uns sinnenhaft gegebene Symbol einer Schönheit des Geistes und der Seele in der lebendigen Harmonie des ganzen Menschen.
Gesicht und Seele
Die Fragen und Probleme des menschlichen Sichdarlebens und Zusammenlebens wenden sich heute immer mehr einer Betrachtung des ganzen Menschen als Persönlichkeit zu, als einer körperlichen, seelischen und geistigen Person. In der Begegnung von Mensch zu Mensch unterliegen wir dauernd der Wirkung des Fluidums oft feinstnuancierter Ausdrucksphänomene, die wir bei einer entsprechenden Sensitivität meist unbewusst empfinden und auf die wir unbewusst reagieren. Nur in wenigen Fällen sind wir imstande, die erlebten Ausdruckserscheinungen auch objektiv bewusst zu bestimmen und in ihrem körperlich-seelischen Sinn zu verstehen.
Ausdruckserscheinungen
So spielt die Gestik bei allen Begegnungen von Menschen neben den Ausdruckserscheinungen der Sprache, wie Dynamik und Klangfarbe des Sprechens, Ruhe oder Hast der Rede, der Sicherheit, Klarheit oder Verworrenheit der Wortbildung, im Gesamtprozess der Wahrnehmung anderer Menschen und ihres Seelenlebens in Form von Körperhaltung und der Körperbewegungen eine entscheidende Rolle.
Gestik
Denken wir dabei an die Formen des Gehens, des Laufens, der hastigen oder ruhigen Handbewegungen oder anderer Körperbewegungen.
Mimik
Das wichtigste und uns ständig gegenübertretende Gebiet unbewusster und bewusster Ausdruckserscheinungen, von denen vornehmlich das zwischenmenschliche Verstehen getragen und beeinflusst wird, ist die Mimik, in ihren vielfältigen und reichen Formen und Formveränderungen des menschlichen Gesichtes. Wir wollen damit den Blick öffnen für eine mannigfaltige Welt von Erscheinungen und Geschehnissen, mit denen das menschliche Antlitz lebendig und dennoch stumm zu uns spricht. Was ist Ausdruck und wie wollen wir ihn speziell im Hinblick auf die Physiognomie des Gesichtes erklären und bestimmen? Dem Begriff des Aus-Druckes liegt der ursprüngliche Wortsinn zugrunde, dass etwas Inneres sich als Äußerung darstellt. Etwas Innerliches, das dem Einzelnen nur in der Verschwiegenheit seiner Selbsterfahrung unmittelbar gegeben ist, tritt als Gegebenheit in die sinnliche Erscheinungswelt und wird damit auch anderen Menschen erfahrbar. Als körperlich-seelisches Wesen hat der Mensch an beiden Sphären teil. Die Oberfläche des Körpers, die Haut, erscheint wie der Übergang vom inneren in den äußeren Bereich. Der Begriff des Innen umfasst wiederum zwei Sphären: die leiblichen Gegebenheiten wie die inneren Organe, die Nerven, Muskeln und die Gewebe sowie Seelisches, nämlich die Inhalte, die Worte und Bilder des Bewusstseins.
Die Funktion des Ausdruckes als Symbol
Der Inhalt einer äußeren sinnenhaft erfahrbaren Wahrnehmung wird als Hinweis auf ein inneres, körperliches und seelisches Geschehen gedeutet, welches der beobachtende Außenstehende nicht direkt wahrzunehmen vermag.
Ausdruck als sinnlichseelisches Spontanzeichen
Zunächst wollen wir einige Beispiele für diese spontanen Ausdruckserscheinungen nennen: der Schrei des Entsetzens, die Beschleunigung des Pulses bei Angst oder Furcht, das Erröten bei Scham oder Verlegenheit, das Weinen bei Schmerz und Trauer, das Lachen bei Frohsinn und Heiterkeit, die aufrechte Haltung des Stolzes und das geduckte Gebaren des Unterwürfigen sind nur einige wenige Beispiele. Seelischer Inhalt und sinnliches Phänomen existieren ineinander und miteinander als ein einziger lebendiger Vorgang leiblich-seelischer Integration (Ganzheit). Aus den Beispielen erkennen wir, dass die Ausdruckserscheinungen des menschlichen Körpers als
1 Ausdrucksbewegung und als
2 Ausdrucksvorgänge
auftreten können. Wenn diese leiblichen Erscheinungen des Ausdruckes im Gesicht auftreten, dann nennen wir dies Mimik, wenn sie das Erscheinungsbild des ganzen Körpers betreffen, Pantomimik.
Der prozessuale Charakter der Ausdruckserscheinungen
Es gibt aber nicht nur diese aktuellen Ausdrucksgeschehnisse, sondern auch bleibende statische Ausdrucksformen. Wir unterscheiden somit
1 von dem aktuellen sukzessiven Ausdrucksgeschehen
2 die statische, sich aus einem Ausdrucksgeschehen ergebende Ausdrucksgestalt.
Mimik und Physiognomik
So ist Physiognomik die auf der Erfahrung aufgebaute und begründete Lehre von den Eigenschaften dauernder, statischer körperlicher Erscheinungen des Menschen, so weit man sie als Zeichen für seelische Eigenarten auffassen kann. Diese statische, über einen längeren Lebenszeitraum hinweg gleichbleibende Ausprägung der körperlichen Erscheinung eines Menschen hat zwei voneinander völlig verschiedene Wurzeln:
1 Die architektonische Eigenart der Gestalt eines Körpers, bedingt durch die morphologische Ausprägung der Knochen, der Gewebe, der Fettschicht und der verschiedenen Größenrelationen der Organe zum Gesamtbild des Organismus und
2 die sich verfestigende Spur eines immer wiederkehrenden mimischen und pantomimischen Geschehens.
Die architektonische Eigenart
Zwischen