Der leise Ruf des Schmetterlings. Hardy Krüger jr.. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hardy Krüger jr.
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783906872711
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macht – für mich ist es Rom.‹

      Für David zählte nur noch der Augenblick. Zeit war für ihn eine Relation, die nicht mehr relevant war. Jeder gelebte Moment in seinem Leben war Glück und einzigartig. Heute konnte er es erkennen. Er hatte gelernt, nur für den nächsten Augenblick zu leben und alles um sich herum aufzunehmen, seinen Geist zu öffnen und wieder Gefühle zuzulassen. Er hatte Angst so zu empfinden, denn es konnte ihm im nächsten Augenblick wieder alles genommen werden. Also hatte er sich in sich selbst zurückgezogen. Jetzt, wo er sich entschieden hatte, ein neues Leben zu leben, war er bereit, er selbst zu sein. Ein großer Schritt für David. Er war bereit, seine Hände aus den Taschen zu nehmen.

       Augenscheinlich sind diese Momente Augenblicke! Momentaufnahmen von Situationen, die wie die Realität aussehen. Manchmal aber sind sie nicht das, was sie zu sein scheinen. Denn oft ist das, was du da draußen siehst, nicht das, was es wirklich ist. Was du aber in dir siehst, ist oft nicht das, was da draußen ist. Ich sehe Menschen, die Dinge tun, die mir sagen, dass die Realität nur ihre eigene ist, die sie sich selbst erschaffen. Das ist natürlich leicht, den Dingen so aus dem Weg zu gehen. Konfrontation? Wer will das schon. Wenige. So sind Augenblicke nur Erinnerungen an etwas, was einmal augenscheinlich gewesen ist. Doch wie schön kann man sich eine Welt erschaffen, die für andere groß und voller Inhalt ist, die weise und klug aussieht, die aber zwei Seiten hat. Sie sind alles andere als weise und klug. Damit zu leben ist sicher nicht leicht! Viele können das nicht mehr sehen. David verzweifelte daran. Sie wusste es. Sie schien die Einzige zu sein, die das erkannte. Das war so wundervoll und hatte ihm sehr viel Kraft gegeben und gezeigt, dass er nicht allein war.

       Menschen zu lieben und nie die Gelegenheit zu haben, es ihnen zu zeigen, ist schwer. Von Liebenden zurückgewiesen zu werden, weil man nicht so sein kann, wie man ist. Ein guter Sohn zum Beispiel! Alles machte man dafür, zu zeigen, wer man ist, und dass es so auch gut ist, ist noch schwerer. Es tat weh. Auch das trug David in seinem Leben mit sich herum. Bis er eines Tages der Liebe seines Lebens begegnete, die nun in den Armen eines anderen liegt. Was für eine traurig verschwendete Zeit!

       Das sind Momente, die werden dir irgendwann wieder klar vor Augen stehen. Und sie werden wehtun. Momente sollte man teilen, mit seinen Liebsten. In diesem Leben, solange man noch Zeit dazu hat. Ich habe in Augen geblickt, die waren so rein und klar, dass es einem unter die Haut geht. Reflektiert von Auge zu Auge, zeigen sie dir die Welt, die voller Liebe und Schönheit ist. Die dich glücklich machen, auch vielleicht nur für einen kurzen Augenblick. Diese Momente sind ein Geschenk! Wachsam sollte man sein. Dankbar für solche Momente. Wie kurz so ein Moment sein kann, habe ich gespürt und erlebt. Das war die schönste Liebe, die ich je erlebt habe! Alles hat seine Zeit, seinen Moment und seinen Augenblick. Die Jahreszeiten und das Leben an sich. Auch wenn es zwischen zwei Menschen still ist, ist dennoch ein Gefühl da. Seinem Leben einen Moment, einen Augenblick der Wahrheit geben und sich besinnen, um dann loszulassen. Der Augenblick des Loslassens ist der Augenblick der Freiheit.

      David hätte sich den Blick auf die offensichtliche Wahrheit schon viel früher selbst eingestehen müssen. Denn es war nicht sinnvoll, die Wahrheit eines anderen zu leben. Doch das Loslassen war keine einfache Sache für David. Aber jetzt hatte er eine zweite Chance bekommen.

      So eine Nacht wie diese …

       »Das Karussell des Lebens drehte sich weiter und nahm David mit auf eine Reise, die er nicht kannte.«

      Er wachte auf und merkte, dass die Schatten an der Wand in die Ecke des Raumes gewandert waren. Nur ein kleiner gelber Sonnenstrahl der Nachmittagssonne schien durch eine Ritze der Fensterläden. Er hatte in den Nachmittag hinein geschlafen. Sein Magen knurrte. Er ging zum Kühlschrank und sah, dass schon alles aufgebraucht war. Er wollte aber noch ein paar Sätze schreiben, daher setzte er sich an den kleinen Schreibtisch, legte seine Finger auf die Tasten seines Laptops und hielt einen Augenblick inne. Dann holte er tief Luft und fing an zu schreiben. Er hörte erst auf, als er bemerkte, dass es draußen dunkel geworden war.

      Es wurde Zeit, die kleinen Lamellenfensterläden zu öffnen, die er tagsüber geschlossen hatte. David ging zum Fenster und öffnete die Fensterläden. Es war Nacht geworden in Rom. Das war die Zeit, in der die Stadt ihr zweites Gesicht zeigte.

      Signora Mazzini von gegenüber holte gerade die Wäsche herein. Die Rituale hatten sich nicht geändert. Das tat sie schon vor vielen Jahren, als David das erste Mal hier war. Sie erkannte ihn nicht, grüßte aber freundlich. Und sie trug wieder das schwarze Kleid. Ihr Mann Enzo war gestorben. David hatte Enzo gekannt und war sehr betroffen. Er konnte sich noch gut an die Gespräche mit ihm erinnern. Er war ein guter Mensch mit einem großen Herzen. Er liebte das Leben, gutes Essen und den Wein. Enzo war ein lustiger und amüsanter Zeitgenosse. Er hatte als Hilfsarbeiter in Deutschland gearbeitet, um seine Familie zu versorgen und seinem Sohn eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Er hatte sogar so viel Geld verdient, dass die Familie es schaffte, die Satellitenstadt vor Napoli zu verlassen. Das gelang nicht jedem. Wer einmal dort gelandet war, schaffte es selten, dort wieder herauszukommen. Enzo hatte es geschafft. Sein Sohn erhielt eine gute Ausbildung und die Familie zog nach Rom. Auch wollte er schon immer in Rom leben. Durch die harte Arbeit in Deutschland jedoch hatte er seinen Körper so geschunden, dass es ihn bald das Leben kostete. David war traurig darüber, dass er ihn nicht mehr sehen konnte, bevor er starb. Einmal hatte er zu David gesagt: »Egal was du tust, das Wichtigste ist die Familie, vergiss das nie, mein Freund!«

      David sah den Schmerz in Signora Mazzinis Gesicht. Die Trauer war ein Zustand, der so schmerzhaft war, dass man ihn kaum ertragen konnte. David kannte das nur allzu gut. Frauen sind viel gefasster als Männer, so war Frau Mazzini auch. Sie erledigte ihren Haushalt, als wäre er noch am Leben. Bestimmt hingen noch seine Hemden im Schrank und seine Schuhe standen immer noch an seinem Platz. Doch der Schmerz des Verlustes war so groß, dass ihre Tränen über die Wangen flossen und sicherlich vom Kopfkissen aufgefangen wurden. Ihr Schluchzen war so leise, dass man es kaum hörte. Ihre Hände hielten dabei die Kette mit der heiligen Maria. Und sie wird allein bleiben. Für viele Jahre. Vielleicht wird sie auch allein sterben und sich dann zu ihrem Mann legen.

      Es wurde Zeit, sich in die Nacht zu stürzen. Er schloss das kleine Fenster, zog sich ein frisches Hemd an und schnappte sich seinen Schlüssel. David ging die Gasse bis zum Ende, dort, wo das Kaffeehaus an der Ecke stand. Die Piazza war mittlerweile so voll, dass es kaum möglich war, sich zu bewegen. Musik drang aus allen Lokalen. Die Leute lachten und tanzten. Die Taschenverkäufer drängelten sich durch die Menschenmenge. Immer ein Auge auf die Carabinieri, die aber eher damit beschäftigt waren, die hübschen Frauen zu unterhalten. Die Blumenverkäufer packten gerade ihre frischen Blumen aus. Auch die Zeitungsverkäufer waren schon da. Und der Karussellbesitzer am Ende der Piazza stellte sein altes Karussell für die Kinder auf.

      ›Was für eine Stimmung! Das ist das Leben‹, dachte David. ›Nacht für Nacht auf den Piazze von Rom. Sie sind so gefüllt mit Menschen, dass man sich durch sie hindurcharbeiten muss, um ein Lokal zu erreichen. Hier startet man durch die Nacht. Alle Informationen laufen hier zusammen.‹ »Hey, Simonetta gibt eine Party, nein, wir gehen auf die Rooftopparty! Oh, lass uns erst was essen gehen. Wir können einfach hierbleiben …« Die Diskussionen waren auch meistens dieselben. Die Stimmung kochte und alle waren motiviert, etwas ganz Besonderes aus der Nacht zu machen. Überall war Musik zu hören und der Wein floss, man spürte das Leben. David sah lachende Gesichter, tanzende Menschen, hoffnungsvolle Blicke der Verkäufer, Gläser und Flaschen, die durch die Menge wanderten, Rufe und Songtexte streiften seine Ohren, die Luft war heiß und stickig. Das Hemd klebte schon auf der Haut. Ja, das war Leben.

      Das Wiedersehen

      Plötzlich wurde David eine Flasche Wein durch die Menge gereicht. Auf dem Etikett war eine Notiz. Darauf stand: »Ciao Bello!« David sah sich um, konnte aber nicht erkennen, von wem die Flasche kam. Auf einmal packte ihn jemand von hinten. Es war Danielle und ein paar andere Freunde. »Wir haben schon gehört, du bist wieder da. Komm mit, wir gehen zu Manuelle, der feiert seinen Einzug in sein neues Zuhause! Der freut sich sicher, dich zu sehen, mein Freund. Mann, ist