Der leise Ruf des Schmetterlings. Hardy Krüger jr.. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hardy Krüger jr.
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783906872711
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David tagsüber geschlossen. So war es schön kühl in der Hitze dieses Sommers, die an manchen Tagen unerträglich war. Wenn er nicht an seinem Schreibtisch saß, lag David auf dem Bett gegenüber und folgte seinen Gedanken oder hörte dem Treiben der Stadt zu. Manchmal schlief er auch ein und träumte meist von Vergangenem, das zu verstehen er hergekommen war. Weit weg von allem. Weg von einem Leben, das er nicht führen wollte. Ein Leben, das für ihn nicht mehr lebenswert war.

      Wenn er morgens aufwachte, war sein kleines Zimmer in der Vicollo del Gallo 3 erfüllt vom Geruch aus Signora Mazzinis Küche oder der frisch gewaschenen Wäsche, die sie an die Wäscheleine vor dem Küchenfester ihrer Wohnung hängte. Am liebsten hatte David den Geruch des frisch gemahlenen Kaffees am Morgen, den sie traditionell in der sechskantigen Kaffeemaschine zubereitete. Zunächst hörte er das Zischen, bevor der Geruch vom frischen Kaffee zu ihm herüberschwebte. Es zauberte ihm ein Grinsen ins verschlafene Gesicht und flüsterte ihm ins Ohr, dass es Zeit sei, aufzustehen und sich an die Arbeit zu machen.

      Das neue Leben

      So wie an diesem Morgen. Obwohl es für ihn keinen Grund gab aufzustehen, war er es gewohnt, seine morgendlichen Rituale zu haben. Auch hier in Rom hatte er sie nicht vernachlässigt. Sie gaben ihm immer einen gewissen Halt, besonders an jenen Tagen, als ihn alle vergessen hatten und er allein einen Weg einschlug, den niemand mit ihm teilen wollte. Ein Leben, das ehrlich und gut war. Rituale waren für David sehr wichtig, um sich nicht zu verlieren in den vielen offenen Fragen, die er sich jetzt zu stellen hatte. Ein Tag konnte viele Fragen beantworten und voller guter Momente sein, die sein neues Leben bereicherten und ihn dahin führten, wo das Glück auf ihn wartete. Er dachte über seinen Traum nach, blieb noch einen kurzen Moment auf dem Bett liegen und beobachtete das Licht, das durch die Lamellen der Fensterläden drang und Schatten an die Wände der kleinen Wohnung zauberte.

      Wenn man die Schatten länger beobachtete, so erzählten sie Geschichten. ›So wie die Schatten meines Zimmers sich verändern, so wird sich auch mein Leben verändern‹, dachte er. Manchmal sah er sein Leben in den Schatten an der Decke über seinem Bett an ihm vorbeiziehen. Wechselte er aber die Perspektive, so veränderte sich auch das Bild. Das Bild seines Lebens also. Das Bewusstsein veränderte sich! Es ist alles im Wandel. Das wusste David und sah aufmerksam hin. Es war unübersehbar. Seine Sinne waren nicht mehr betäubt. Jetzt waren sie klar und deutlich. Nahmen alles wahr, was um ihn herum passierte. Das Leben war auf einmal viel bunter und schöner, voller Geheimnisse und neuer Abenteuer.

      David war nach Rom gekommen, weil er an diesem Ort schon einmal sehr glücklich war. Hier sollte der Wandel seines Lebens beginnen – in Rom. Jetzt war er auch bereit, die Veränderungen zuzulassen. Es war an der Zeit, die Dinge nicht mehr einfach nur passieren und sich mit in den Abgrund ziehen zu lassen, sondern die Schönheit seines Lebens zu erkennen und Teil des Wandels zu werden, und mit der Schönheit aufzusteigen in ein anderes Dasein, ohne Zweifel und Angst, dem zu begegnen, was nun auf ihn wartete.

      Den Strom des Lebens musste man fließen lassen. Dazu gehörte aber sehr viel Mut, denn man musste sich neu kennenlernen. Die letzten Jahre waren schwer zu ertragen gewesen und brachten ihn an den Rand der Verzweiflung. Er glaubte nicht mehr an das Gute im Leben. Hatte den Glauben an sich verloren und fühlte sich das erste Mal in seinem Leben einsam, nicht verstanden, ausgegrenzt. Ein Gefühl, das er vorher nicht kannte. Niemand hatte bemerkt, dass er eine Wandlung durchmachte. Dass ihm seine Kraft entzogen wurde, durch Intrigen und Lügen und ein Leben, das nicht lebenswert war. Ein Leben, das nach außen immer perfekt aussehen musste. Sein Leben hatte er bisher mit Menschen teilen müssen, die vor sich selbst davonliefen. David hatte das in ihren Gesichtern erkannt. Diese Zerrissenheit und die Angst, sich selbst zuzugeben, dass sie nicht erkennen wollten, dass sie vor dem Leben davonliefen. Die ihre Entscheidungen in ihrem Leben nur durch Angst trafen. Die sich klammerten an Menschen, Alkohol, Gier und Geld. Doch hinter den Kulissen war alles kaputt und falsch.

      Keiner verstand Davids Entscheidung. Keiner konnte verstehen, dass ihn dieses Leben kaputt machte. Am Tag der Entscheidung musste er sich für einen Neuanfang oder für den Tod entscheiden. Er entschied sich für das Leben. Und das war richtig so. Aber von diesem Tag an war er allein. Er stand auf, ging zum Schreibtisch und fing an zu schreiben.

       Heute Nacht wachte ich auf und der letzte Satz meines Traumes blieb mir in Erinnerung: Dort, wo Liebe ist, wirst du auch das Glück finden! Seitdem ich wieder hier bin, ist mir so vieles klar geworden und ich fange an, mich wieder zu spüren.

       Vieles, was da draußen als Wahrheit gilt, ist für mich nicht die, die ich in mir trage. Die Wahrheit, die ich in mir trage, kann nicht die sein, die ich da draußen sehe. Vieles da draußen ist mir die letzten Jahre entgangen. Ich muss meine Perspektive ändern. Von innen nach außen. Begreife ich die Wahrheit in mir, so werde ich die Wahrheit auch im Außen finden, das weiß ich jetzt.

       Ich kann das alles spüren. Alle diese Dinge, die mich umgeben, ändern jetzt meine Perspektive und geben den Schatten meines Lebens ein neues Licht, so wie die an der Decke meines Zimmers. Das, was ich in meinem bisherigen Leben verstanden habe, ist, dass die großen Dinge in den kleinen verborgen liegen. Das bedeutet, wenn ich das Kleine verstehe, begreife ich auch das große Ganze. Vielleicht werde ich hier in dieser alten Stadt die Einfachheit des Lebens und des Glücks begreifen und dieses vielleicht sogar finden.

       Ich träume von einem Schmetterling. Er ist weiß und schön. Immer wieder träume ich von ihm. Was will er mir sagen? Ich kann ihn noch nicht verstehen. In meinem Traum folge ich ihm.

       Ich habe das Gefühl, dass der Schmetterling zwischen den Zeiten hin und her fliegt. Er bringt mich an seltsame Orte, die ich noch nicht kenne. Ich begegne Menschen, die mir fremd sind. Er fliegt mit mir durch verschiedene Zeiten und Dimensionen und manchmal, da begegne ich mir sogar selbst. Ich habe das Gefühl, dass wir in verschiedenen Dimensionen gleichzeitig existieren können. Ich durchschreite die anderen Dimensionen wie ein Tänzer, durch Raum und Zeit. Manchmal begegne ich ihm auch, wenn ich durch die Straßen und Gassen Roms laufe. Er tänzelt um mich herum, als würde er mir etwas zurufen. Seltsam. Schön!

      Wenn die Sterne den Himmel freigaben, die Sonne über dem Horizont der großen Stadt über den Dächern auftauchte und die Stille der Nacht dem bunten Treiben weichen musste, die Luft erfüllt war von dem frisch gebackenen Brot der Bäckereien, dem Geruch vom Espresso der kleinen Kaffeebars, das Quietschen der Fensterläden und das Klappern der Rollos der Geschäfte, die Motorinis, die durch die Straßen und Gassen fahren, die Stadt erweckten, begann ein neuer Tag für die Menschen in Rom.

       Ein Tag wie jeder andere? Nein! Ein besonderer Tag wie jeder, der aufs Neue beginnt. So ein Tag wie dieser kann das Leben jedes Menschen verändern. Er ist ein ganz normaler Samstagmorgen. Doch jeder Tag, der uns geschenkt wird, ist ein besonderer Tag. Wenn wir genau hinsehen, dann erkennen wir die Schönheit und die Kraft, die das Leben uns schenkt. Und das jeden Tag. Dass das Leben nicht leicht ist, weiß jeder. Doch viel kräftiger ist das Wunder, das jeden Tag passiert.

      David war dankbar für jeden Tag, der ihm geschenkt wurde. Er war hierhergekommen, um sein Leben neu zu beginnen. Zu begreifen, was passiert war. Er hatte sich entschlossen, weiterzuleben, dieses Leben nicht zu verlassen.

      Er kehrte an diesen Ort zurück, wo das Glück seine Seele gestreift hatte und ihm zeigte, wie wundervoll das Leben sein kann. Oft hatte er sich in den letzten Jahren hierhergeträumt, in den Nächten voller Schmerz und Hoffnungslosigkeit. Für einen Moment konnte er dann alles vergessen und fühlte so etwas wie Glück.

      Er genoss das Leben jetzt hier, so wie an diesem Samstagmorgen. Signora Mazzini hängte die Wäsche auf, wie sie es immer samstags tat. Dann machte sie das Frühstück. Die sechseckige Kaffeemaschine stand schon auf dem Herd und zischte und pfiff. Das Geräusch, das David von gegenüber so gut kannte. Der Duft von Signora Mazzinis frischem Kaffee stieg in seine Nase. Das Leben war so einfach und schön.

      Glücklich über die Erkenntnisse, die er aus seinem Traum der letzten Nacht noch in seinem Bewusstsein hatte, machte er sich auf den Weg zur Piazza. Dort wollte er sich ein Frühstück holen und sein Gesicht in die Sonne strecken, bevor der Tag so heiß würde, dass man sich wieder in die kühlen Räume zurückzog. Wer konnte, fuhr natürlich