Der leise Ruf des Schmetterlings. Hardy Krüger jr.. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hardy Krüger jr.
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783906872711
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Inneres nicht akzeptierst, dann wird dir die Luft ausgehen und du stehst an dem Punkt der Entscheidung. Du hast nur noch ein paar Züge zu atmen, bevor dich die Strömung des Verstands hinunterziehen wird und du ertrinkst. Entscheidest du dich für die Kälte, die Dunkelheit, oder hörst du auf, gegen den Strom zu schwimmen? Lässt du dich treiben, holst tief Luft und beginnst, du selbst zu sein? Das Ziel kennst du nicht. Du weißt nicht, wohin dich dieser Fluss führen wird. Aber eines ist klar, er hält dich am Leben. Er trägt dich und lässt dich schweben.

      Alles, was David in seinem Leben getan hatte, war aus dem Herzen gelebt. Es gab nichts, was er nicht für andere Menschen tun würde. Er hatte geliebt und war ehrlich in der Liebe zu den Frauen, die das Leben mit ihm teilen durften. Die Liebe war auch spürbar gewesen und die Seelen waren verbunden. Die Liebe seiner Kinder war größer als die, die das Universum ihm schenken konnte. Aber auch der Schmerz des Verlustes seines geliebten Sohnes. Eines Tages wachte er auf und das Herz seines kleinen Sohnes hörte auf zu schlagen. Nur für einen gefühlten kurzen Augenblick. Aber lange genug, um dieses physische, so vertraute Leben zu beenden. Da war er, der »Moment des Augenblicks«! Der Moment der Entscheidung.

      Man kann es nicht als den Moment der Wahrheit bezeichnen, denn die war abhängig von der Perspektive. Es war der Moment deiner Entscheidung. David spürte, wie seine Seele ihn bat:

      »Gib mir die Chance, dir zu zeigen, wie wundervoll das Leben sein kann. Höre auf meine Stimme. Ich habe dich oft gerufen, doch du konntest mich nicht hören. Erst als du auf der Intensivstation lagst, die Drähte an deinem Körper befestigt waren und dein Leben an dir vorbeizog. Erst als das Piepsen der Geräte, an dem dein Leben hing, das einzige Geräusch im Raum war, hast du den Ruf hören können. Ganz leise. All das, was dich in deiner Vergangenheit geprägt und verformt hat, musst du liegen lassen und der Liebe vertrauen lernen. Du bist hier, um zu lieben, nicht um darum zu betteln, zu hoffen und dann dafür bestraft zu werden, so wie du es in deiner Kindheit kennengelernt hat. Die Menschen, die dir das angetan haben, haben es selbst nicht besser gewusst. Es braucht sehr viel innere Weisheit und Kraft, besser zu sein und deinen Kindern die wahre Liebe zu schenken. Es sind nicht die Fragen von Schuld, sondern von Schwäche, nichts, was du nachahmen solltest. Oder weitergeben. Nein! Das ist das Werk eines Menschen, der es nicht anders kann, weil er sich selbst nicht spürt. Er weiß nicht, wie wundervoll er eigentlich ist.« David war ihnen nicht böse, denn sie haben es nicht anders gewusst. Nicht anders gekonnt.

      David lag damals hellwach im Geiste, klar im Bewusstsein. Der Ruf war wie ein lieblicher Gesang, der aus dem Tiefsten seines Seins gekommen war. Ein Licht, das ihn wärmte, ihm Hoffnung gab. Es begleitete ihn in seinen Träumen, wenn er eingeschlafen war. Langsam kehrte die Seele in seinen Körper zurück und wärmte auch diesen. So lange, bis er wieder stärker wurde.

      In diesem Moment des Augenblicks spürte David Liebe. Sie war so schön und tief, wie er sie noch nie vorher erlebt hatte. Zart wie der Flügel eines Schmetterlings, der deine Wange streichelt. Die Liebe nahm ihn bei der Hand und ließ ihn spüren, wie wundervoll er war. Er hatte so viel zu geben und noch so viel zu fühlen, dass es noch lange nicht Zeit war zu gehen. Noch nicht. Der Fluss des Lebens, der Seele war lang und schön. Lass Liebe, wahre Liebe zu dir und in dein Leben. Dort, wo Liebe ist, wirst du auch das Glück finden.

      Rom

       »Diese Stadt erzählt in einer Nacht so viele Geschichten, dass ein Buch sie sicher nicht festhalten könnte.«

      Vicollo del Gallo ist eine kleine Gasse, die vom Campo de’ Fiori aus zu erreichen ist. Eine von Millionen Gassen in der schönsten Stadt der Welt – Rom! Tausende Winkel und Gassen, Brunnen und Piazze, geheime Orte, die wohl nur der Vatikan kennt, und dieses wunderbare Chaos der von Menschen überfüllten Straßen. Menschen, die das Leben zelebrieren, die trotz des Lärms im Gehen essen und telefonieren, sich lauthals streiten und diskutieren oder sich Liebesbekenntnisse zurufen. Dazwischen die Carabinieri mit ihren schönen Uniformen.

      David erwachte und befand sich inmitten einer pulsierenden Stadt, die er so sehr liebte. Wie sein Herz, das wieder zu schlagen begann, um das Leben dieser Stadt aufzusaugen, wie ein Schwamm, um die Leere in sich selbst wieder zu füllen.

      Sobald die Sonne untergegangen ist, füllen sich die Piazze, Restaurants und Cafés in Rom mit Menschen: Blumenhändler, Zeitungsverkäufer, Straßenmusiker, Bettler, Händler, die gefälschte Waren verkaufen, Taschendiebe, Damen, die gern nachts ihr Geld verdienen, und viele junge Menschen, die sich hier treffen, um die Nacht zum Tage zu machen.

      Diese Stadt erzählt in einer Nacht so viele Geschichten, dass ein Buch sie sicher nicht festhalten könnte. Ach, was für eine wundervolle und verrückte Stadt das war!

      Davids Wohnung war klein und lag im zweiten Stock eines Hauses in der Vicollo del Gallo 3, die sich hinter der Piazza Campo de’ Fiori befand und sich zwischen die Rückgebäude zweier Palazzi quetschte, die das Vergnügen hatten, nach vorn hinaus direkt auf den schönsten Platz Roms schauen zu können.

      Davids Haus war so klein und schmal, dass es aussah, als würde es sich hinter den zwei Palazzi verstecken wollen. Es war außerdem so schmal, dass man das Gefühl hatte, sich selbst schmal machen zu müssen, um durch die Haustür zu passen. Laura würde sagen, es sähe aus wie ein Puppenhaus.

      Die kleine Gasse war so eng, dass er, wenn er das Fenster seines Wohnzimmers aufmachte, dort, wo sein Schreibtisch stand, fast in der Küche der alten Dame von gegenüber saß. Signora Mazzini war eine sehr freundliche alte Dame. Sie begrüßte David zweimal am Tag. Morgens mit einem Kaffee und einem Croissant in der Hand und abends mit einem »Salute« oder »Chin Chin« und einem Glas, gefüllt mit Rotwein. Von Anonymität einer Großstadt konnte hier in der Gasse der Antiquitätenhändler nicht die Rede sein. Sie war eher wie ein offenes Buch. Gefüllt mit Geschichten und Schicksalen von Menschen, offenen Geheimnissen, Verschwörungstheorien und von großen Helden der alten Geschichte Roms.

      David war so fasziniert von den Geschichten der einfachen Leute dieser Stadt. Würde man all diesen Geschichten eine Farbe geben oder einen Ton, so würde es eine Symphonie sein, die man jeden Tag aufs Neue hören würde. Manche bezeichneten diese Geschichten der »kleinen« Menschen eher als unbedeutend oder trivial. Nicht so David. Für ihn waren es die wahren Helden der so chaotischen und alten Stadt.

      So wie die Geschichten der Familie Mazzini, oder von der wunderbaren Laura, von Signore Martinelli oder Schwester Camilla. Auch wenn es ganz einfache Leute waren, so war ihr alltägliches Leben alles andere als trivial oder unbedeutend. Jedenfalls für David, denn jedes Leben hatte seinen Beitrag, hatte in dem Dasein von uns allen seine Berechtigung. Ob man sich nun begegnete oder nicht, wir waren alle miteinander verbunden.

      Es sei so viel gesagt, es war für ihn unmöglich, sich den Geschichten und Dramen, die sich in der Familie gegenüber abspielten, zu entziehen. Er saß ja mehr oder weniger mit ihnen am Küchentisch, wenn er an seinem Schreibtisch saß und Geschichten schrieb. Der Zufall wollte es, dass er Laura begegnete, auf Signor Martinelli und auf Schwester Camilla traf. Und da es ja keine Zufälle gibt, war es eine Geschichte, die vorherbestimmt war. Denn Zufälle sind eine Anordnung von Gesetzmäßigkeiten des Universums. Das nur so am Rande.

      Die alte Dame von gegenüber trug jeden Tag schwarze Kleidung, was vermuten ließ, dass ihr Mann vor nicht allzu langer Zeit verstorben war. Dann gab es da noch Franco, ihren Sohn, Antiquitätenhändler und Restaurator, seine Frau Viola, genannt Violetta. Und deren Tochter Delia, die mit fünf Jahren die Pasta der Oma verschlang wie Pulcinella aus der »Commedia dell’arte«. Eine gewisse Ähnlichkeit war nicht von der Hand zu weisen, was sicher die Gene des Vaters Franco zu verantworten hatten. Violetta und Franco wussten sicherlich nicht, dass sie ihrer Tochter den Namen der Geliebten Tibulls gegeben hatten. Doch es gibt in diesem Universum seltsame Gesetzmäßigkeiten, die manchmal schwer zu erklären sind. Sie haben aber durchaus ihre Bedeutung und Berechtigung. Das Universum zu verstehen, ist sicher ein unmögliches Unterfangen. Das heißt aber nicht, dass unser Leben deswegen nicht irgendwann erfüllt vom Glück endet. Denn es will, dass wir glücklich sind und ihm Vertrauen schenken, da alles, was im Universum passiert,