Der leise Ruf des Schmetterlings. Hardy Krüger jr.. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hardy Krüger jr.
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783906872711
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er das Gefühl, als würde die Zeit stehen bleiben, und er raste mit seinem Bike durch die Nacht, als ob er fliegen könnte.

      »Hey Manuelle, wie in alten Zeiten«, sagte David zu seinem Freund, als der die Vespa abstellte. Die Piazza war immer noch voller Menschen. »David, lass uns in das Lokal an der Ecke gehen, so wie früher. Weißt du noch die eine … die …« »Oh ja«, sagte David, ging aber nicht näher darauf ein. »Ist sie immer noch da?«, fragte er. »Ja, sie hat jetzt den Besitzer geheiratet.« »Ah, na dann.« Beide lachten. Das Mädchen, das dort bediente, war stadtbekannt.

      Eines Abends, damals 2005, waren Manuelle und David nach Feierabend in diese Bar an der Ecke gegangen. Sie war außergewöhnlich, denn man trank Bier aus der Flasche und aß Nüsse, wie in einer Bar in Australien. Das Lokal war immer voll und laut. Sie standen in einer Ecke, als plötzlich dieses Mädchen auf David zukam und ihn einfach küsste und nicht mehr damit aufhörte. David war so überrascht, dass er es zuließ. Dann hörte sie auf, sagte noch »Ciao Bello« und weg war sie wieder. David hatte Manuelle fragend angeschaut und der sagte: »Das macht sie immer so!«

      Auch an diesem Abend war das Lokal voll und David erkannte das Mädchen von damals schon von Weitem. Sie hatte sich kaum verändert. Alles schien so zu sein wie vor vielen Jahren. Manuelle kämpfte sich zur Bar durch und wollte gerade eine Flasche Wein bestellen, als David ihm zurief, dass er lieber ein Gingerale mit viel Eis haben wolle. Der verwunderte Blick seines Freundes war ihm nicht entgangen. Sie nahmen sich ihre Getränke und versuchten, eine Ecke zu finden, wo sie ein bisschen mehr Platz hatten. Sie kämpften sich durch das Lokal nach draußen und dann weiter bis ans Ende der Piazza. Dorthin, wo die Blumen- und Zeitungsverkäufer standen. Sie waren froh, dem ganzen Trubel für einen Moment entkommen zu sein. Es war immer noch ziemlich heiß. Sie setzten sich auf eine Treppe des Brunnens und holten erst einmal tief Luft. Sie beobachteten das Treiben auf der Piazza vor ihnen, die Menschen, die an ihnen vorbeiliefen, und saßen schweigend da. David konnte fühlen, wie sehr auch Manuelle diesen Augenblick genoss, einfach nur dazusitzen und nicht zu sprechen. Vielleicht waren es die Bilder vergangener Zeiten, die durch die Köpfe der beiden Freunde gingen.

      Nach einer gefühlten Ewigkeit beendete Manuelle das Schweigen: »Weißt du, ich habe heute Abend mit allem gerechnet, nur nicht mit dir. Ich habe versucht, dich zu kontaktieren, hatte aber kein Glück. Ich habe es lange versucht«, sagte Manuelle. »Das hat sich wohl von selbst erledigt«, erwiderte David. »An der Verbindungsgeschwindigkeit des Universums müssen wir allerdings noch ein bisschen feilen«, meinte Manuelle. Die beiden lachten und nahmen erst einmal einen großen Schluck.

      »Für mich ist heute so ein wichtiger Tag, denn mein Wunsch, in Rom mein eigenes Haus zu besitzen, ist in Erfüllung gegangen. Zusammen mit einem Mann, den ich schätze und liebe. Ich kann jetzt so leben, wie ich es mir immer gewünscht habe. Oh Mann, wenn ich daran denke, wie groß meine Zweifel und Ängste waren. Um ein Haar wäre mein Leben so verlaufen wie das vieler anderer unglücklicher Menschen in dieser Stadt. Ich hätte das Leben anderer gelebt und nicht meines. Was für ein Glück. Das habe ich alles dir zu verdanken.«

      »Nein, mein Freund, das hast du dir selbst zu verdanken. Du hast deinen Entschluss gefasst und hast dich von deinem Traum nicht abbringen lassen. Mit viel Kraft und Willen hast du es geschafft. Ja! Du hast es geschafft und ich bin wirklich sehr stolz auf dich. Du hast einen harten Weg hinter dir, das ahne ich. Ich habe großen Respekt vor dir, mein Freund. In den zwölf Jahren hast du viel erreicht. Du bist dir treu geblieben. Das ist wundervoll. Du bist nur meinem Rat gefolgt und hast in dich hineingehört. Ich wusste, dass du irgendwann deine innere Stimme hören kannst und ihr folgst. Die Wahrheit war schon immer in dir. Du hast sie nur nicht hören können.«

      Es kam David so vor, als würde es Manuelle verlegen machen, aber dann hob er das Glas, schaute ihn an und sagte: »Danke, David!« »Wofür?«, fragte der. »Dass du so plötzlich aufgetaucht bist. Das erste Mal vor zwölf Jahren und heute wieder. An diesem besonderen Tag.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist wirklich unglaublich, oder?« »Ich freue mich auch«, sagte David. »Da müssen wir uns wohl bei dem da oben bedanken.

      Dass du die Vespa behalten hast, zeigt auch, dass du nicht vergessen hast, woher du kommst. Darüber freue ich mich.« »Was ist mit dir«, fragte Manuelle. »Mit mir? Ich bin noch genauso chaotisch wie früher. Schreibe Bücher, reise durch die Welt. Alles beim Alten«, antwortete David. Er wollte vom Thema ablenken. Was ihm aber nicht gelang, Manuelle schaute ihn an. »Nein, das glaube ich dir nicht. Ich kann sehen, dass du viel hinter dir hast, wenn ich dir das so sagen darf. Du siehst aus, als hätte dich das Leben ziemlich durchgebeutelt, wenn ich ehrlich bin. Davon abgesehen kann ich mich nicht daran erinnern, dass du jemals ein Gingerale getrunken und dafür einen guten Rotwein verschmäht hast.«

      Tausend Dinge gingen durch Davids Kopf. Wieder schwiegen sie, inmitten von Hunderten von Menschen, die das Leben vor ihnen feierten, Musik, die aus allen Ecken zu den beiden drang in dieser Sommernacht. David beobachtete das fröhliche Treiben. Es kam ihm vor wie in einem Film, der in Zeitlupe vor seinen Augen ablief. Er suchte nach den richtigen Worten. Es fühlte sich an wie ein Traum, in dem er gefangen war. Er konnte alles sehen und hören, jedoch nicht eingreifen. Sie hörten und sahen ihn nicht.

      »Was ist los?«, fragte Manuelle seinen Freund und legte den Arm um ihn. David fühlte sich ertappt und wiegelte einfach ab. »Ich musste an alte Zeiten denken. Die Zeit ist so schnell vergangen und ich habe gerade das Gefühl, als wäre es erst gestern gewesen, dass wir hier saßen. Es war eine gute Zeit. Was soll ich dir sagen. Es ist eine Menge passiert in dieser Zeit.«

      Vielleicht sollte er es abtun und sagen: »Alles super.« Aber es war sein Freund, den er lange nicht gesehen und hier unerwartet getroffen hatte. Der Tag, an dem sein Freund sich gewünscht hatte, dass er hier wäre, mit ihm zu feiern. Und das Universum hatte es so eingerichtet, dass sie sich genau an diesem Tag heute auch trafen.

      David nahm einen Schluck aus seinem Glas und sah ihn an. Seine Augen strahlten und sein Lächeln war wundervoll. Er lachte: »Weißt du, mein Freund, in diesen zwölf Jahren ist so viel passiert, dass diese Nacht nicht ausreichen würde, um dir das alles zu erzählen. Außerdem ist es dein Abend.« Davids Miene wurde wieder etwas nachdenklich. Er legte seinen Arm um Manuelle. »Dass wir hier sitzen ist ein Geschenk, weißt du das?« Manuelle lachte und nickte mit dem Kopf. »Aber geht es dir gut? Was machst du in Rom und wie lange bleibst du?«, fragte er.

      »Ich bin hier, um ein Buch zu schreiben.« Davids Gesicht erhellte sich wieder. »Was für ein Buch?«, fragte Manuelle. »Einen Roman, der hier in Rom spielt.« »Das ist ja wunderbar. David, der Schriftsteller!« Die Blicke der beiden schweiften über die Piazza.

      »Was hast du für Träume, David?«, fragt er nach einer Pause. »Wir haben heute nur von meinen gesprochen. Na los, verrate sie mir, bitte!«, bat Manuelle.

      »Weißt du, mein Freund«, sagte der und schaute ihm dabei in die Augen. »Seitdem ich vor zwölf Jahren die Stadt verließ, hatte ich viele Träume. Damals hatte ich das Gefühl, als läge mir die Welt zu Füßen. Es war eine wirklich wunderbare Zeit, nicht wahr?« Manuelle nickte. »Ja, das war sie.« »Ich bin viel gereist, habe Unglaubliches gesehen und erlebt. Die Welt ist für mich ein wenig kleiner geworden, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben.« David schossen viele Bilder durch den Kopf. »Die Träume, die ich damals hatte, sind wahr geworden. Nicht alle, aber doch einige.«

      Dann zögerte er ein wenig, er dachte auch an eine sehr dunkle Zeit in seinem Leben, wo er aufgehört hatte zu träumen. Eine Zeit, in der seine Seele zu zerbrechen drohte. Davids Leben stand auf Messers Schneide. David überlegte, ob er dieses Kapitel seines Lebens seinem Freund erzählen sollte. Er hatte sich vorgenommen, nur noch nach vorn zu schauen und dankbar zu sein für den Augenblick und die zweite Chance, die er geschenkt bekommen hatte. Er hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen. Er hatte die Reaktionen seiner Mitmenschen akzeptiert. Das schon. Schweigen und Missverständnisse waren die Reaktionen. Doch keiner hatte ihn jemals gefragt, wie es ihm wirklich ging.

      Manuelle rempelte David von der Seite an: »Hey, was ist los, erzähl weiter!« David lachte etwas unwirklich: »Es waren viele! Ja, viele Träume sind in Erfüllung gegangen, doch manchmal habe ich mich auch ziemlich blöd angestellt und musste wieder von vorn anfangen. Ich habe leider aus meinen