Fiskalstrafrecht. Udo Wackernagel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Udo Wackernagel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783811406629
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bekannt gegeben wurde, wird eine wegen des Verdachts eines Steuerdelikts unterbrochene BP fortgesetzt, die nicht selten wegen des oben unter Rn. 62 beschriebenen Dilemmas mit einer im Besteuerungsverfahren ungünstigen Hinzuschätzung gem. § 162 AO endet.[2] In einem Steuerstrafverfahren ist eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss sind.[3] Eine Schätzung darf jedoch in keinem Fall Sanktionscharakter aufweisen. Eine Hinzuschätzung mit Sanktionscharakter ist wegen der dem Beschuldigten zustehenden Mitwirkungsverweigerung unzulässig.[4] Schätzungen müssen sachgerecht und angemessen sein, d.h. sie müssen den wahrscheinlichsten Besteuerungstatbestand widerspiegeln. Eine pauschale Schätzung, auch unter Heranziehung der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen,[5] kann erst dann Anwendung finden, wenn sich eine konkrete Ermittlung oder Schätzung der tatsächlichen Umsätze von vorneherein oder nach entsprechenden (darzulegenden) Berechnungsversuchen als nicht möglich und fehlerbehaftet erweist.[6] Nach Anforderung der Rspr. müssen aber auch bei dieser Schätzungsmethode die festgestellten Umstände des Einzelfalles mit in den Blick genommen werden. Ein Tatgericht muss sich bei der Beweiswürdigung zum Rohgewinnaufschlagsatz einerseits nicht zugunsten des Angeklagten an den unteren Werten der Richtsatzsammlung orientieren, wenn es Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage zu erkennen vermag.[7]Andererseits darf das Tatgericht bei verbleibenden Zweifeln nicht einfach einen als wahrscheinlich angesehenen Wert aus der Richtsatzsammlung zugrunde legen, sondern muss einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen.[8]

      Trotz der Parallelität des Besteuerungs- und Strafverfahren stehen beide in einer gewissen Abhängigkeit zueinander. I.d.R. wird die FinB das Steuerstrafverfahren erst abschließen, wenn das Besteuerungs- bzw. Veranlagungsfinanzamt aufgrund des vorliegenden Betriebsprüfungs- oder Steuerberichts Änderungsbescheide erlassen und bekannt gegeben hat. Ab diesem Zeitpunkt wendet sich erfahrungsgemäß der Blick des Veranlagungsfinanzamtes nach einem Einspruch gegen die Änderungsbescheide i.d.R. wieder dem Strafverfahren zu, sofern es nicht um die Festsetzung der Steuer dem Grunde nach geht. Im Strafverfahren wird eine rechtskräftige Entscheidung – von Ausnahmen abgesehen – erfahrungsgemäß früher zu erzielen sein als im finanzgerichtlichen Verfahren.

      Anmerkungen

       [1]

      Franzen/Gast/Joecks § 393 Rn. 6.

       [2]

      BFH 19.1.2006 – VIII B 114/05.

       [3]

      BGH NStZ 2016, 728; BGH 1 StR 505/16 bei juris.

       [4]

      Kohlmann/Hilgers-Klautzsch § 393 Rn. 68; Teske wistra 1988, 207, 214; Franzen/Gast/Joecks § 393 Rn. 36.

       [5]

      Die Richtsatzsammlung ist für das jeweilige Kalenderjahr auf der Internetseite www.bundesfinanzministerium.de abrufbar.

       [6]

      BGH NStZ 2016, 728.

       [7]

      BGH NStZ 2014, 337.

       [8]

      BGH NStZ 2016, 728.

       [9]

      BGH wistra 2006, 66 f.; BGH wistra 1986, 23.

       [10]

      BGH wistra 2017, 445

      4. Kapitel Verfahren bei SteuerdeliktenVII. Besonderheiten bei Steuerstrafverfahren › 2. Durchsichtsrecht der Papiere

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