„Meinen Glückwunsch“, sagte Goldfasan. „Hoffentlich erkennt dich unser Cihuacoatl auch an.“
Schädelwand griff Goldfasan am Schulterknoten. „Hüte dich!“ Dann stieß er ihn zurück. Die beiden anderen Wächter schritten ein. Einer packte Goldfasan, der andere Schädelwand.
Jadefisch beachtete sie nicht. Die Trommeln wurden lauter und schneller, Rasseln, Pfeifen, Flöten fielen ein. Die Sänger kreischten auf wie Möwen. Sie schienen jetzt um das Feuer zu fliegen, sie schienen mehr zu sein als zwei – ein ganzer Schwarm im Sturzflug auf die Beute, während das niederbrennende Feuer gespenstische Schatten erzeugte. „Owaja!“ schrie Cacama. „Owaja!“ rief Cuitlahua. Damit endete der Tanz. Der Saal applaudierte.
Es wurde immer heißer und dunkler. Die Fackeln an den Wänden und die Feuerbecken in der Mitte spendeten nur noch wenig Licht. Die nächsten Sänger waren kaum mehr auszumachen. Motecuzoma, hieß es, tanze, wohingegen andere meinten, er sitze unter seinem Baldachin. Die letzte Flamme sank in sich zusammen. Nur Holzkohle, halb von Asche bedeckt, glomm noch im Becken. Der Tänzer, wenn es ihn gab, zog sich zurück, und eine Zungentrommel – rrrattatick – fuhr wirbelnd auf.
Ein Schatten trat in die Mitte. „Einer unserer Feinde …“, flüsterte Schädelwand, der sich beruhigt hatte, Jadefisch zu, „… vielleicht einer der vier Herrscher von Tlaxcallan. Niemand soll ihn erkennen.“
Der feindliche König begann seinen Tanz. Wie er um das Glutbecken sprang! Etwas an ihm zog Jadefisch an. Er schob sich weiter nach vorne. Als der unbekannte König zu singen begann, setzte ihm der Herzschlag aus. Er kannte die Stimme, er kannte das Lied. Am Ende der Strophe fiel er unwillkürlich ein. Der andere verlor für einen Flügelschlag den Rhythmus, sang dann wie getrieben weiter, und Jadefisch antwortete wieder, diesmal aus einer anderen Richtung. Während dies eine Weile so ging, entfernte er sich im Dunkeln allmählich von seinem Gefolge.
Schließlich stieß er am Rand des Kreises beinah mit dem Sänger zusammen.
„Jadefisch?“
„Vater?“
„Du hier? Hat Motecuzoma dich holen lassen?“ Der Vater hörte es sich erstaunt, beglückt und auch ein bisschen aufgebracht an. Doch just in dem Moment wurde eine Kienfackel entzündet. Feuerschein strich über die beiden hin und beleuchtete ihre Gesichter.
„Ixiptla-tzin, Ixiptla-tzin!“ Die Umstehenden warfen sich nieder.
„Ich hätte es wissen müssen“, sagte Nachtjaguar dumpf. „Du bist ja das Abbild des Gottes.“ Auch er vollzog die Geste des Erdessens. Jadefisch, den dieser Anblick zutiefst schmerzte, stand wie versteinert. „Wer wagt es, eine Fackel zu entzünden?“
Alle Köpfe gingen in die Richtung, aus der die Stimme des Herrschers kam, der selbst noch immer im Dunkeln saß. Jadefisch machte sich das geistesgegenwärtig zunutze. Rasch zog er seinen Vater aus dem Fackelkegel. Dann erkundigte er sich leise nach seinem Befinden und nach der Lage in Cholollan.
„Motecuzoma will sich unsere Stadt einverleiben. Er hat viel, sehr viel, geboten – sogar das eine, dies jedoch auf eine Weise, dass ich es nicht annehmen kann”, presste Nachtjaguar mühsam heraus. „Ich weigere mich, seinem Bündnis beizutreten.“
„Und die anderen?“
„Sind gespalten. Temic wird mich hassen.“
„Fürchtest du nicht, dass Motecuzoma uns angreifen wird? Temic kann die Stadt an ihn verraten.“
„Dazu ist dein Onkel zu vernünftig. Und zu loyal. Außerdem kann sich Motecuzoma diesen Krieg nicht leisten. Sein Stern beginnt zu sinken.“ Jetzt sprach Nachtjaguar fest und bestimmend. „Höre: Der Große Sprecher von Tetzcoco hat einen unzufriedenen Bruder. Dieser, Prinz Ixtlilxochitl, Vanilleblume, hält sich für den legitimen Herrscher. Er meint, Motecuzoma habe ihn um sein Thronrecht betrogen. Vor drei Jahren lehnte er sich gegen die Königswahl auf. Da das Bündnis ihn nicht schlagen konnte oder wollte, wurde das Reich von Cacama geteilt. Vanilleblume regiert über den Norden. Aber er erstrebt noch immer Tetzcocos Thron. Er sammelt Verbündete gegen Motecuzoma. Schon rebellieren die Totonaken. Ihr beleibter König leitet den Aufstand von seiner Felsenburg aus.“
„Er wurde nicht hingerichtet?”
„Dafür ist Motecuzomas Besatzung nicht stark genug, und in der Regenzeit wird er kein Heer zur Küste schicken. Zudem werden die Totonaken von fremden, bärtigen Kriegern beschützt. Ihre Waffen sind Donner und Blitz.”
„Woher sollten solche Krieger kommen?”
„Aus dem Meer des Morgensterns.”
Nachtjaguar wollte noch etwas dazu sagen, besann sich aber anders. „Da kommen Motecuzomas Spione. Sie bewegen sich so linkisch, dass selbst ein Blinder sie bemerkt. Mit kleinen, runden Räucherschalen leuchten sie den Gästen ins Gesicht. Sie sind nur noch wenige Schritte entfernt.“ Er wandte sich zum Gehen. Sein Sohn hielt ihn zurück. Er löste einen Stein aus einer Kette. „Gib das meiner Mutter.“ Nachtjaguar öffnete die Hand, ächzte plötzlich wie ein Baum im Wind: „Davon wird sie auch nicht froh. Und ich …“
Das schwache Licht der Räucherschalen glitt über Nachtjaguar. Es streifte Jadefischs Füße. Es fiel auf das schwarze Schlangenmuster auf den Sandalen des Ixiptla! „Was erlaubt ihr euch?“, rief dieser, den Erbosten spielend. Während die Spione betreten ihre Lampen sinken ließen, entschwand Nachtjaguar.
Der Ixiptla nahm seine Flöte und spielte das Blumenlied des Tezcatlipoca. Gleich wurde es still. Die Feuer in der Mitte des Saales wurden wieder entfacht. Auf seinem Sitz unter dem Baldachin war Motecuzoma zu sehen.
Jadefisch drängte es nach draußen. Er musste auf der Stelle an die frische Luft. Den Ausgang suchend gelangte er an eine Wand, an die jemand immer wieder mit der Stirn anrannte. Ein anderer stand dabei und deklamierte Verse. „Sie sind im Land der Götter“, sagte Schädelwand, der den Ixiptla aufgespürt hatte. Eine Schale machte die Runde. Schädelwand griff dort hinein und hielt einen bräunlichen Pilz in die Höhe. „Das Fleisch der Götter, Ixiptla-tzin.“ Auch die anderen nahmen sich Pilze. Doch Schädelwand aß nichts davon, er würde den Ixiptla nicht entfliehen lassen. Als Jadefisch das sah, verzehrte er die seinen ohne Honig mit Hut und Stiel. Sie bissen im Hals. Ihm wurde heiß und alles um ihn gläsern. Die Menschen und die Dinge, selbst die Luft, begannen zu irisieren, und sein Vater war wieder da. Auch er war von einer Aura umgeben, er trug ein überirdisch schönes Jaguarfell von sattem Gelb, von dichtem Schwarz – so intensiv, dass Jadefisch hätte weinen mögen. Mit ausgestreckten Armen rückwärts gehend rief der Vater: „Jadefisch, folge mir!“ Das Echo war in seinem Kopf, als er am nächsten Tag in seinem Saal im Priesterhaus erwachte.
Eine quälende Unruhe bemächtigte sich seiner. Er dachte an Vanilleblume, den Rebellen. Cholollan musste unbedingt zu dessen Kriegsbund stoßen und die Feindschaft mit Tlaxcallan überwinden. Vanilleblume brauchte jeden Mann. Es war nicht gut, nur abzuwarten, sonst würde Cholollans Freiheit den Tag nicht überdauern, an dem Vanilleblume den Sieg errang und seine Mitstreiter belohnte. Nachtjaguars Sohn bekam glänzende Augen. Sein Herz schlug schneller – so, als gäbe es für ihn noch etwas zu wollen.
6
Nachtjaguar war nicht im Unrecht – weder, was Vanilleblume, noch was die Rebellion der Totonaken betraf. Boten von Vanilleblume waren bei deren König gewesen – und nicht nur das. Im Lager der Fremden waren zwei Krieger vom Volk der Otomi aufgetaucht, die man an ihren um die Stirn gewundenen Steinschleudern erkannte. Sie hatten einen Krieger vom Range eines Cuachic eskortiert, eines Geschorenen, der zwanzig Heldentaten vollbracht hat und keinerlei Gefahren scheut. Der hielt sich hinter einer Standarte verborgen, aber einmal hatte man kurzzeitig eine Kopfhälfte gesehen – die Glatze, auf dem Scheitel mit einem imposanten Kamm gekrönt, der wie der eines Baumleguans aussah, die Haare zu langen Stacheln frisiert, und, wie man ahnen konnte, mit Cochinille rot gefärbt. Wenn dies stimmte, war der Mann, der sich da im fahlen Dämmerlicht zu dem fremden