Die zerbrochenen Flöten. Ida Spix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ida Spix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948878139
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um dann laut auszurufen: „Halloho! Habt ihr schon mal den Wind gefangen?“ Damit rannte er davon. Der verdutzten Wachmannschaft gelang es nicht, ihn aufzuhalten. Er lief mit flatterndem Gewand vor ihnen her und blieb erst auf dem großen Innenhof des Schatzhauses stehen, wo er ein Spottlied blies.

      Das geschäftige Treiben hörte jäh auf. Die Träger, die Schreiber, die Tributeinsammler verharrten in der Bewegung. Der Schatzverwalter unter der schattigen Federstandarte blickte verärgert auf – weshalb wurde ihm nichts mehr angesagt, weshalb kratzte der Holzpinsel seines Gehilfen nicht mehr über das Papier, wer pfiff da bei der Arbeit? – O Gott, der Ixiptla!

      Ein Diener öffnete ein kleines, kugeliges Gefäß mit Holzkohleglut, um für den Ixiptla eine Tabakspfeife anzuzünden. Dieser nahm einen tiefen Zug, wobei er den Rauch verschluckte und durch die Nasenlöcher wieder austreten ließ. Dann begab er sich in eines der Speicherhäuser. Der gleichermaßen geschmeichelte wie besorgte Schatzverwalter schloss sich ihm an. Wahrlich war Tezcatlipoca, der schurkische Spötter, in ihn gefahren. Musste er mit seiner Pfeife ausgerechnet in das Lager für die Baumwollstoffe gehen?

      Dem Ixiptla lag nichts daran, die bunten Decken und die vielen verschieden großen Webstücke zu inspizieren, aus denen man die Umhänge nähte. Hätte er nicht den Blick auf seiner Hand gespürt, er wäre bald gelangweilt umgekehrt. Der Schatzverwalter starrte ängstlich auf den Pfeifenkopf, in dem es glomm. Vor einem Stapel Decken mit weißen Schneckenhäusern auf rotem Grund paffte der Ixiptla frech die kunstvollsten Kringel. Der arme Schatzverwalter beugte sich zu Boden – jederzeit bereit, den Funken auszulöschen, während er zum wiederholten Mal die Geste des Erdessens vollzog. Als der Ixiptla dann auch noch die Papierabteilung betrat, verlor der Schatzverwalter die Nerven. „Unser Papier! Unser weißes und braunes Papier!“

      Wer interessierte sich für rohes, unbemaltes Papier? In hohen Stapeln wurde es gehortet.

      „Wir dienen damit den Göttern. Wir fertigen ihre Kleider daraus, wir schneiden die Opferfähnchen … und stellen sie vor die Götterbilder …Wir schmücken die Opfersklaven damit …“ Durch das leise, ehrfürchtige Sprechen beruhigte sich der Schatzverwalter ein wenig. Dem Ixiptla hingegen wurde unwohl. Er stellte sich die Berge von Papier zu Streifen geschnitten als Zeichen des Todes vor.

      „Nehmt ihr es nicht auch für Faltbücher und Schriftrollen?“, fragte er, um sich abzulenken.

      Geflissentlich nickte der Schatzverwalter. „Die Papiermacher schälen die Feigenbäume. Mit ihren schweren Bastklopfern schlagen sie die Rinde breit – bum, bum, bum …“

      „Bum, bum, bum …“, echote Jadefisch. Was machte er hier? Warum starrte ihm der Schatzverwalter auf die Finger? Funken sprühten aus dem Pfeifenkopf. Verlegen lächelnd trat er sie aus.

      Wieder im Freien gesellte er sich zu einer kleinen Abordnung aus einer entfernten Provinz, die vor kurzem eingetroffen sein musste. Da er weder flötete noch rauchte noch sonst etwas tat, schaute bald alles auf den aztekischen Tributeinnehmer, der gelangweilt auf dem Platz neben seinem Schreiber stand. Wie der Ixiptla hielt er als Zeichen der Vornehmheit in der Hand einen Blumenstrauß, an dem er bisweilen roch. Endlich kam der Schatzverwalter aus dem Speicherhaus. Der Tributeinnehmer durfte sich nähern. Begrüßungen wurden ausgetauscht, ein Diener brachte eine Schriftrolle; dann wurden die Listen verglichen.

      „Vierhundert rot gestreifte Decken …“

      „Vierhundert schwarz gestreifte Decken …“

      „Ein Quetzalfeder-Kriegeranzug …“

      Die Träger liefen mit den Lasten auf dem Rücken in die angewiesenen Häuser. Kaum war alles verstaut, kam der nächste Zug.

      „Achttausend Bündel Pfeile …“

      Jadefisch gähnte. Da kam ein Läufer in den Hof geeilt. „Die Provinz der Totonaken, hoher Herr …“

      „Kannst du nicht warten, bis du dran bist?“

      Der staubbedeckte Bote senkte den Kopf. „Es kommen keine Tribute.“

      „Was? Habt ihr euch etwa von den Regengottpriestern erwischen lassen?“

      Goldfasan, der Schalk, stieß Schädelwand an. „Gleich kommt ein desolater Haufen, den man vermöbelt und ausgeraubt hat.“

      „Bestimmt nicht! Schon lange hat sich keiner mehr erdreistet, das Eigentum des Großen Sprechers anzutasten.“

      „Deines geliebten Oheims geschätzte Tribute! Was für ein Jammer! Die Regengottpriester bessern damit ihr Einkommen auf, der Herrscher selbst erlaubt es ihnen nach altem Recht.“

      Dass sich Schädelwand nicht auf Goldfasan stürzte, lag am Gebrüll des Schatzverwalters. „Konnten diese Trottel keinen Bogen um die Regengottpriester machen?“

      „Es ist viel schlimmer, hoher Herr!“ Wie eine aufgescheuchte Pute scharrte der Läufer mit dem Fuß und flüsterte dabei dem Schatzverwalter etwas zu.

      „Was sagst du?“, schrie der Schatzverwalter. „Festgesetzt? In der Provinz der Totonaken? Die Tributeinnehmer? Alle fünf? Wie soll ich das dem Herrscher beibringen?“ Er zog die Schultern hoch. „Nun gut, ich habe nichts damit zu tun. Ich schicke erst mal einen Boten – oder soll ich mich lieber selbst darum kümmern? Ich muss allerdings zuvor die letzte Sendung fertigmachen. Wo war ich stehengeblieben?“

      „Zweihundert Traggestelle …“, wiederholte der hilfreiche Schreiber, der neben seinem Herrn gewartet hatte.

      „Siehst du“, triumphierte Schädelwand, „die Regengottpriester haben den Tributeinnehmern kein Haar gekrümmt.“

      „Nein, nur die Totonaken. Das ist nicht der Rede wert.“

      Es gab nur eine Antwort auf eine Rebellion. Der Ixiptla stimmte ein Kriegslied an und verließ das Schatzhaus in Richtung Adlertor. Dort, an der Südpforte des Tempelbezirks, befand sich das nächste der vier Speerhäuser der Stadt; er musste nur wieder auf die Prachtallee hinaus und dann noch ein paar Schritte bis ans Ende gehen.

      Schon von weitem erblickte er das Speerhaus, das sich klotzig rechts und links der Pforte aus der Mauer erhob. Jadefisch blieb auf dem Vorplatz bei der Skulptur des Adlers stehen und blickte hinüber. Noch war es still. Noch schliefen die Kurzschwerter, Lanzen, und Schilde, die Pfeile, die Bögen, die Speere, die Schleudern, Fangnetze, Morgensterne – doch nicht mehr lange, und es nahte ihr Gebieter. Der hieß Tepehua, Herr der Berge, und er war, wie Schädelwand erklärte, ein Halbbruder des Großen Sprechers. Er sah vorsorglich nach dem Rechten, sicher würde er schon bald die Waffen an die Krieger verteilen. Jedoch zu Jadefischs Verwunderung geschah dies nicht, weder jetzt noch in den nächsten Tagen.

      „Will dein geliebter Oheim nicht Vergeltung üben?“, fragte Jadefisch mit dem spöttischen Unterton, den er Goldfasan abgelauscht hatte.

      „Der Große Sprecher kümmert sich doch nicht um Kleinigkeiten“, sagte Schädelwand pikiert, „schon gar nicht vor dem Fest der Regengötter.“

      Er übertrieb natürlich. Ein Fest beanspruchte Motecuzoma mehr als eine Rebellion! Unglaublich! Schwankend zwischen Spott und Staunen ließ sich Jadefisch erzählen, wie der Große Sprecher auf die Doppelpyramide gestiegen war, um mit den Priestern um Regen zu fasten.

      Und währenddessen zitterten die Totonaken vor Motecuzomas aufgespartem Zorn.

      „Das ehrwürdige Gottesabbild wird wissen, dass der Große Sprecher nur mit dem Finger schnippen muss, damit die Totonaken sich besinnen“, fuhr Schädelwand fort. Jadefisch wurde es langsam zu viel. Seine Blicke tasteten die Prachtallee nach Abwechslung ab. Goldfasan reckte grienend den Hals.

      „Was gibt es?“, wunderte sich Schädelwand.

      „Nun, was siehst du?“

      „Da eilen zwei Boten über die Prachtallee.“

      „Ich würde eher sagen, sie schleichen. So schlappe Läufer – was für eine Schande!“

      Jadefisch drehte sich um. Die beiden