Jadefisch schlug sich zum Ufer durch, setzte sich auf einen Stein und ahmte mit der Flöte das Teichhuhn nach, wie einst als Knabe im Bruch bei Cholollan. Allmählich glitt er dabei in die alten Melodien seiner Heimat über. Das lockte einen Halsband-Taucher und einen Mann in einem Boot voll Schilf herbei. Der Halsband-Taucher linste aus schwarz umringten Augen neugierig auf den Flötenspieler, der Mann erschrak und ließ die Stake fahren. Als er das Gottesabbild grüßen wollte, kenterte auch noch der Kahn. Der Vogel tauchte fort, der Mann, im grünen Algenwasser, drehte schimpfend sein Kanu um, fischte die Stake aus dem Schilf, durchstocherte mit ihr den Schlick nach dem verlorenen Schneidemesser, fluchte: „Schurke! Übeltäter! Was fällt dir ein? Da beug ich mich vor dir nieder, und so vergiltst du es mir!“
Jadefisch lachte schallend. „Mach dich nur lustig über deinen treuen Diener!“
Der Mann kam an Land gewatet, das Kanu mit sich ziehend, und wurde von Jadefischs Wächtern gestellt.
„Was passt dir nicht?“
„Ich habe mein ganzes Schilfrohr verloren.“
„Du bist selbst schuld!“
„Wenn ich keine Matten flechte, haben meine Kinder nichts zu essen.“
Jadefisch schlug das Gewissen. Er löste einen Stein aus einer Kette. Jetzt erschrak der Mattenflechter wieder. „Ja … Ja … Jade zu besitzen ist verboten.“
„Natürlich.“ Jadefisch gab ihm stattdessen eine goldene Perle. „Die kannst du auf dem Markt versetzen.“
„Ich bin arm. Leicht kann man glauben, dass ich sie gestohlen hätte.“ „Dann kaufe ich den Mais für dich.“ Er schickte sich an, zum Marktplatz zu gehen, aber das Gefolge hielt ihn zurück: Der Himmel schwärzte sich. Es wurde dunkel wie zur Nacht. Frösche fingen an zu quaken, und ein verwirrter Rohrdump stimmte seinen Balzgesang an, so dass man vermeinte, eine tief gestimmte Zungentrommel zu hören.
Da war die Wetterfront auch schon heran. Wohl dem, der jetzt ein Obdach hatte. Das Spitzdach einer Pfahlhütte lugte durchs Schilf. Der Mattenflechter nahm die Beine in die Hand, und Jadefisch besann sich nicht lange. Kaum war er in Sicherheit, als sich der Himmel wütend auf die Erde stürzte. Der letzte im Gefolge wurde, noch auf der Stiege zur Hütte hinauf, bis auf die Haut durchnässt.
Drinnen herrschte Dämmerlicht. Schattenhafte Wesen hockten eng aneinandergedrängt um die Feuerstelle. Eine alte Frau rührte die Asche zwischen den drei Herdsteinen auf. Die Glut schlug einen Funken, und der Funke nährte eine Flamme. Die Frau setzte eine Tonpfanne darüber. Es gab nur diese eine, wie überhaupt der ganze Hausrat mehr als spärlich war. Ein Topf, von dem der Henkel abgebrochen war, ein abgenutzter Maismahlstein mit seiner Walze und ein paar Kürbisschalen. Eine Steinaxt. Weiter nichts. Die alte Frau griff in den Topf. Schlug in den Händen einen Klumpen Teig zu einem Fladen, den sie auf die Pfanne warf. Dann schaute sie auf. „Ixiptla-tzin …“ Sie entblößte die zwei Zähne, die sie noch besaß, und begann, den göttlichen Besucher in den höchsten Tönen zu preisen. Er habe den Regen zurückgebracht!
Der Wasserspiegel würde steigen, das Schilf neue Schösslinge treiben, die Fische würden laichen, die Vögel Eier legen, die Tomaten in ihrem Wassergarten, dem Pfahlbeet im See, die würden dick und rot. Und sie, sie würde ihr Elend vergessen, denn sie war Tezcatlipoca begegnet. Jadefisch lächelte verlegen. Das Mütterchen löste das Entschädigungsproblem, es hatte keine Scheu, ein Stückchen Jade anzunehmen, geschweige denn eine goldene Perle. Glücklicherweise endete der Regen bald, und Jadefisch konnte die Hütte verlassen. Die kleine Tochter des Mattenflechters zeigte ihm einen begehbaren Weg. Plappernd führte sie ihn erst ans Ufer, wo ihr Vater seinen Kahn an einem Steg vertäute, dann über einen Knüppeldamm durchs Ried auf die feste Straße zurück.
Im Tempel löste seine Rückkehr nicht die gewohnte Freude aus. Der Ixiptla glänzte nicht! Nicht nur waren die Sandalen und die goldenen Schellen schmutzverkrustet, der Dreck war ihm die Beine hoch bis an den Saum des Umhangs gespritzt! Auch das Gefolge hatte anscheinend ein Schlammbad genommen. Der Oberpriester wurde geholt. Schwer atmend begutachtete er die Zurückgekehrten. „Dort hinein!“ Das Gefolge wurde ins Priesterhaus getrieben. Zu Jadefisch sagte er beherrscht: „Sie haben dich nicht gut behütet, verzeih, Ixiptla-tzin.“ Später – das Gefolge hatte wohl inzwischen das Abenteuer gebeichtet – rügte ihn der Priester-Weise: „Gefällt es dir, die Leute zu erschrecken?”
„Gehören diese Hütten nicht zu eurer Stadt?”
„Die Leute sind es nicht gewohnt, dass ein Ixiptla bis zu ihnen kommt. Schon gar nicht, dass er sich im Schilf versteckt.”
„Willst du dem Gott den Weg vorschreiben?“ Jadefisch erschrak ein wenig vor sich, denn Tezcatlipoca hatte nicht mit ihm im Schilf gesessen. Oder doch? Was wollte denn der Priester-Weise anderes von ihm hören? Dieser wurde leiser: Das verehrte Gottesabbild möge auf sein Äußeres achten, wenn es sich in jene Gegend verirrte. Hörte der göttliche Schützling seinem besorgten Hüter noch zu? In seinem schwarzen Antlitz zuckte kein Muskel. Innerlich aber schämte er sich.
Der Ausflug zum fauligen Schilfwasser wiederholte sich vorerst nicht. In Tenochtitlan trafen jetzt aus allen Richtungen des Himmels Tributzüge aus den Provinzen ein. Dieses Schauspiel wollte Jadefisch sich nicht entgehen lassen. Vom Tanzplatz vor dem Singhaus aus sah er die Karawanen zum Schatzhaus ziehen.
„Über die Königliche Prachtallee!“, prahlte einer im Gefolge. „Zum Palast der Zwanzig Tore meines verehrten Oheims, des Großen Sprechers!“
Tzompan, Schädelwand. Der spielte sich gern als Neffe des Herrschers auf.
Im Gefolge begann man zu tuscheln. „Ob der Ixiptla das Schatzhaus beehrt?“
„Ob er dem Schatzverwalter zuwinkt?“
Schädelwand, der sich missachtet fühlte, rümpfte die Nase: „Pah! Was ist so Besonderes an einem Schatzverwalter?“
„Dass es deines geliebten Oheims Schatzverwalter ist!“ Wie Coxcox, Goldfasan, das sagte! So übertrieben weihevoll. Schädelwand ballte die Fäuste. ‚Ho’, dachte Jadefisch, ‚der braucht nicht viel, um in die Luft zu gehen.‘ Und Goldfasan? Der war ein Schalk. Wie spöttisch seine Augen blitzten!
„Du willst gleich deinen Herrscherneffenhals riskieren?“
„Sag das noch mal!“
„Wenn uns deinetwegen der Ixiptla entflieht, dann nehmen sie dich!“
„Nein, dich!“
„Weil du Motecuzomas vierhundertster Neffe bist?“
Schädelwand senkte die Stirn und preschte auf Goldfasan los. Der ließ ihn ins Leere laufen. Die andern im Gefolge feixten. Schließlich mischte sich ein Diener ein: „Gebt endlich Frieden, sonst nimmt man euch beide!“ Das einte die Streitenden auf der Stelle.