Rau, Harald (2013): Einladung zur Kommunikationswissenschaft. Baden-Baden, Stuttgart: Nomos; UTB (utb-studi-e-book, 3915). Online verfügbar unter http://www.utb-studi-e-book.de/9783838539157.
Schmidt, Siegfried J. (2007): Kommunikationswissenschaft. Systematik und Ziele. Originalausg. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
Kommunikation setzt Kommunizieren voraus – der Alltag der Kommunikation
Inhalt
2.1 Der Gebrauch des Wortes Kommunikation 20
2.2 Kommunikation braucht Umgebungen 24
2.3 Kommunikation setzt Ordnung voraus 28
2.4 Kommunikation als Wissenschaft – die Anfänge der Theoriebildung 34
2.5 Literatur 39
2.6 Problemstellung und Fragen 41
Überblick
Kommunikation scheint allgegenwärtig, aber nicht alles, was so scheint, ist Kommunikation. Akteure nutzen alles Mögliche zur Kommunikation, ob und was davon kommunikativ wirksam wird, ist nicht ohne weiteres bestimmbar. Sie suchen nach Indizien für das, was Kommunikation sein kann. Selber verfügen sie über vielfältige Erfahrungen mit Situationen und Umgebungen, wo bestimmte Verhaltensformen regelmäßig zum Kommunizieren genutzt werden. Kommunikation ist ein komplexes Phänomen. Daher muss die Wissenschaft, die sich mit Kommunikation beschäftigt, einzelne Phänomene, wie beispielsweise das Signal und seine Übertragbarkeit, das Zeichen und seinen kulturellen Kontext, den Wechsel von Sprecher zu Sprecher oder die Gesellschaft als Ort des Kommunizierens, in den Griff bekommen.
Das Wort Kommunikation hat viele Bedeutungen. Um über Kommunikation sprechen zu können, muss daher immer geklärt werden, in welchem praktischen und theoretischen Handlungskontext darüber geredet werden soll. Die Alltagserfahrung konfrontiert den Handelnden mit vielfältigen Problemen. Die Wissenschaft greift auf diese nur sehr selektiv zu und beschreibt lediglich Teilaspekte Albert Einstein (1927) verweist auf die Schwierigkeit, mit der sich eine Wissenschaft konfrontiert sieht, wenn sie ihren Blick auf ein Phänomen ausrichtet.
Werner Heisenberg zitiert Einstein 1927 in: Heisenberg (1969, S. 85)
Aber vom prinzipiellen Standpunkt aus ist es ganz falsch eine Theorie nur auf beobachtbare Größen gründen zu wollen. Denn es ist ja in Wirklichkeit umgekehrt. Erst die Theorie entscheidet darüber, was man beobachten kann.
Der Gebrauch des Wortes KommunikationKommunikationBegriff
Was Kommunikation ist, weiß eigentlich jeder, was Kommunikation bedeutet, dazu kann jeder etwas sagen und irgendwas wird damit sicherlich auch erklärt. Der Wunsch nach einer grundsätzlichen Klärung macht indes wenig Sinn, denn das würde bedeuten, zu den von Faßler (Faßler 1997, S. 20) identifizierten 160 Definitionen weitere hinzuzufügen. Halten wir daher für uns fest: Kommunikation ist ein Phänomen, das uns allen vertraut ist und auf das wir mit dem Wort Kommunikation hinweisen. Eine Ausdifferenzierung der Begrifflichkeit wird im Verlauf und in Abhängigkeit zu den einzelnen Themen erfolgen.
Manfred Faßler (*1949)
Professor für Soziologie, Medienwissenschaftler, Schwerpunkte: Medienevolution und medienintegrierte Wissenskulturen
Kommunikation wird im allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstsein stark mit Sprache assoziiert.KommunikationverbalKommunikationnonverbal Das ist gewiss nicht falsch, trifft aber nur eine ihrer spezifischen Formen. Generell kann Kommunikation weiter gefasst werden, und spätestens seit den Arbeiten von Watzlawick (1969) und der Paolo Alto Gruppe Ende der 60er Jahre ist das in der wissenschaftlichen Diskussion auch geschehen. Intensiv wurden die körperbezogenen Ausdrucksformen unter dem Begriff der nonverbalen Kommunikation diskutiert. Eco (1977) Eco, Umbertoöffnete als einer der ersten den Blick auch auf Bilder und ihre Kommunizierbarkeit. Um sich dem Phänomen der Kommunikation in einem ersten Schritt anzunähern, soll die Aufmerksamkeit einer kleinen Geschichte gelten. Die Erzählung entstand als Reaktion auf Überlegungen in der SprachphilosophieSprachphilosophie, wo der Frage nachgegangen worden war, ob Kommunikation ohne Sprache überhaupt vorstellbar sei.
Umberto Eco (1932–2016)
Italienischer Schriftsteller, Kolumnist, Philosoph und Medienwissenschaftler, Schwerpunkt: Semiotik
Ein Vorspiel – die Beerenfalle
Jill und Jack kennen sich schon lange. Jill macht einen Waldspaziergang, als sie bemerkt, dass sie von Jack beobachtet wird. Sie weiß, dass Jack aus dem, was sie tun wird, jetzt seine Schlüsse ziehen wird. Sie steht vor einer Reihe von Sträuchern mit Beeren. Einige kann man essen, andere nicht. Sie weiß, dass sich Jack mit Beeren nicht auskennt, aber wie sie Brombeeren mag. Diese pflückt sie, um sie zu essen, und steckt auch einige in den Mund. Sie greift nur nach den Brombeeren an einem bestimmten Strauch. Sie tut damit zweierlei. Sie mag Beeren und pflückt sich diese, um sie zu essen. Da sie weiß, dass Jack sie beobachtet und er auch Beeren mag, aber keine Kenntnisse hat, welche giftig und welche nicht giftig sind, zeigt sie Jack mit ihrem Handeln, welche Beeren er pflücken und essen darf. Jack ist heimlich Jill gefolgt und glaubt, dass er nicht gesehen wird. Ihn interessiert, was Jill macht und wo sie hingeht. Dass sie Beeren pflückt, nimmt er mit besonderem Interesse wahr, weil er sich nicht traut, selbst welche zu pflücken, da er unsicher ist, welche essbar sind und welche nicht. Die Beobachtung von Jill, wo sie Beeren pflückt und welche sie dann isst, erlaubt ihm, daraus auf die Essbarkeit zu schließen.
Nach einer Idee von Sperber und Wilson Sperber, Dan Wilson, Deirdre
Dan Sperber (*1942)
Französischer Anthropologe und Linguist, Schwerpunkte: Anthropologie und Relevanztheorie
Deirdre Wilson (*1941)
Britische Linguistin und Kognitionswissenschaftlerin, Schwerpunkte: linguistische Pragmatik, Relevanztheorie und Sprachphilosophie
Merkmale der EpisodeDie Szene für sich betrachtet hat zunächst einmal nichts Ungewöhnliches, außer dass sie nicht unbedingt typisch dafür ist, als Ausgangsszene für die Betrachtung von Kommunikation gewählt zu werden. Denn das, was wir gemeinhin mit dem Begriff Kommunikation verbinden, kommt hier auf den ersten Blick nicht vor. Eigentlich könnte man sogar meinen, die Szene sei ein Beispiel dafür, wie Kommunikation nicht funktioniert. Denn eine der beiden beteiligten Personen will von der anderen noch nicht einmal gesehen werden. Und doch werden wir erkennen, dass sich Schlüsselfragen der Kommunikation gerade aus dieser Episode herleiten lassen.
Paar-StrukturAn Kommunikation, darüber besteht kein Zweifel, sind wenigstens zwei beteiligt, und das ist auch hier der Fall. Es müssen nicht immer Individuen sein, die an der Kommunikation teilnehmen; denn es gibt viele Formen, bei denen eine Institution der Kommunikationspartner sein kann, wenn beispielsweise die Polizei mir mitteilt, dass ich mein Auto falsch geparkt habe. Auch stehen Institutionen oder Organisationen in kommunikativem Austausch miteinander, wenn die Einwohnermeldebehörde von Rostock bei der von Passau anfragt, ob ich dort gemeldet bin.
Absichtsvolle HandlungDie zitierte Episode weist eine Besonderheit auf, denn Kommunikation lässt normalerweise erwarten, dass die daran Beteiligten etwas voneinander wollen und dass ihnen das auch im Normalfall bewusst ist. Zwar will Jill Jack etwas mitteilen und Jack möchte etwas erfahren, allerdings will er die Information unbemerkt und nur durch