Schütz (1932) (1974, 15–16)Schütz schlägt vor, zwischen dem Sinn, wie er vom Handelnden verstanden wird, und dem, den der Beobachter dem Handelnden unterstellt, zu unterscheiden. Damit unterstellt er dem Handeln Bedingungen, wie sie von Sapir (1982, S. 78–81) Sapirder Kommunikation unterstellt werden. Kommunikative Handlungen würden so gewählt, dass sie einer Beschreibung und Bestätigung durch das Gegenüber standhalten können, d.h. dass der vom Verhalten des Anderen Betroffene diesem Verhalten eine Bedeutung zuschreibt, die vom Handelnden so angedacht und gewünscht ist.
Edward Sapir (1884–1939)
Amerikanischer Ethnologe und Linguist, Schwerpunkte: Strukturen der Sprache, Determiniertheit durch Sprache
01 R | GIESST KAFFEE IN DIE TASSE VON S |
02 S | Danke |
Es ist Nachmittag, R und S sitzen am Tisch und trinken gemeinsam Kaffee. R zeigt ein Verhalten: GIESST KAFFEE IN DIE TASSE VON S. Dieses Verhalten wird von S als Geste der Kooperation akzeptiert. Es ist ein Tun, das Fürsorge von R gegenüber S ausdrücken kann, wenn R und S im Umgang miteinander diese Erfahrung sammeln konnten. Dieses Erfahrungswissen bietet für beide Deutungspotential, um in ihrem Tun bestimmtes Handeln sehen zu können. Wenn beide dieselben Interpretationen nutzen, wirkt ihre Interaktion kohärent und hat im Normalfall zur Folge, dass R und S zufrieden sind. | |
Kommunikation mit an Demenz Erkrankten: Notiz zum Viedoausschnitt |
Interaktive DeutungsarbeitDeutungsarbeitDas muss aber nicht in jedem Fall so sein, obwohl das gezeigte Verhalten dasselbe ist. In Aufzeichnungen eines Korpus, das die Kommunikation mit älteren Menschen erfasst hat, liegt der Fall vor, dass S seine Tante besucht, eine ältere Dame. Sie hat ihm schon dreimal Kaffee nachgegossen, obwohl er angedeutet hat, dass er keinen mehr mag. Das Deutungsmuster von S kann zwar noch die Lesart aufrechterhalten, R sei um sein Wohl besorgt. Es kann aber auch die Deutung folgen, R dränge sich wie schon immer mit ihren Erwartungen auf und wolle ihr Interesse durchsetzen und ihn dazu zwingen, noch länger zu bleiben. Vorstellbar ist auch, dass S um die mentale Beeinträchtigung von R weiß und in der Handlung nur ein stereotypes Verhalten von R sieht, das durch diese Situation ausgelöst wird, und dass er R unterstellt, gar nicht kontrollieren zu können, was sie wirklich tut.
Lesarten konkurrieren miteinander, ob und welche sich durchsetzt, kann offen bleiben. Beobachtbar ist, wie sich das Handeln für die davon Betroffenen erst durch das Deuten desselben klärt. Zu fragen ist, woher nehmen die Akteure ihre Deutungen und was bewegt sie, diese dem Handeln von Fall zu Fall zuzuschreiben. Luhmann (1984, 191)Luhmann glaubt, dass diese Zuschreibungen im interaktiven Kontext erfolgen und erst dieser ermögliche es den Betroffenen, das Verhalten auf die eine oder andere Weise zu deuten. Der dabei eintretende Effekt wird von Watzlawick et al. (1967) Watzlawick mit dem Axiom des Nicht-nicht-kommunizieren-Könnens beschrieben: Die Individuen fühlen sich genötigt, permanent das Verhalten anderer zu bewerten. Bei einem solchen Verständnis entsteht allerdings ein Problem. Der Einzelne wird mit einer nicht mehr oder nur schwer bewältigbaren Vielfalt möglicher Deutungszuschreibungen konfrontiert und gerät in Situationen, in denen Kommunikation nur noch Verunsicherung auslöst.
Niklas Luhmann (1927–1998)
Deutscher Soziologe und Gesellschaftstheoretiker, wichtigster deutschsprachiger Vertreter der soziologischen Systemtheorie und der Soziokybernetik
Für Akteure sind solche Situationen ein Risiko, sodass Luhmann (1984, S. 220) von der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation spricht und annimmt, dass kommunikativ zu handeln, von Situation zu Situation kritisch bewertet werden muss, weil es keine Garantie für einen Handlungserfolg gibt. Habermas (1995) Habermasgeht nicht so weit, sondern sieht die Lösung des Problems in der Verständigungsarbeit. Diese verbindet er mit der Bearbeitung von Geltungsansprüchen wieGeltungsansprüche die Verständlichkeit der verwendeten Ausdrucksweisen, der Anspruch auf Wahrheit, die Erwartung auf die Richtigkeit einer Norm oder die Wahrhaftigkeit der Sprechenden. So regelt er, welcher Anspruch in der vorliegenden Situation überhaupt geltend gemacht werden kann.
01 I | okay ähm hat ihnen die Geschichte gefallen? wenn ja warum? |
02 B | doch ja! ne es is irgendwie niedlich!? |
03 I | niedlich is es?! |
04 B | ja ja! das äh musste ja ein überraschendes Ergebnis werden?! |
05 I | genau |
06B | und ich finde es niedlich LACHEN |
Kommunikation über Texte mit älteren Menschen: Gesprächsprotokoll |
Die Alltagskommunikation ist generell von Unbestimmtheit begleitet. Zwei Personen sitzen sich gegenüber. Das Gespräch fand im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Lesen statt. Person B hat einen Märchentext gelesen und wird von Person I gebeten, mit ihr darüber zu reden. Die Angesprochene, Mitglied einer Seniorenakademie (69 Jahre) tut sich mit der Aufgabe schwer. Was von ihr genau erwartet wird, scheint ihr unklar. Mit der Antwort 02 B „doch ja!“ wird formal auf die Frage geantwortet. Die Bitte, das zu begründen, wird nicht eingelöst. Daran ändert auch das fortgesetzte Gespräch wenig.
Beiden fällt es schwer, miteinander über den Text zu reden. Wenn es ginge, würden sie die Kommunikation vermeiden. Ihnen scheint eine klare Vorstellung darüber, welche Erwartungen mit dieser Situation verknüpft werden und wie sie sich dieser gegenseitig vergewissern könnten, zu fehlen. Der Eindruck der Überforderung wird durch die Verlegenheitsgesten des Wiederholens 03 I und im Lachen oder dem undeutlichen Formulieren des Beitrags 06 B offenkundig. Da die Situation einen Abbruch der Kommunikation nicht zulässt, beide haben sich auf eine Kooperation zu Beginn verständigt, sucht Person I die Lösung im Abfragen bestimmter Merkmale des Märchens.
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