Es scheint daher möglich, dass jemandem etwas mitgeteilt wird, ohne dass dieser eine Mitteilung erwartet. Trotzdem kann er von dem so Mitgeteilten profitieren, wie das Beispiel belegt. Des Weiteren fällt auf: Das Mitteilen selbst muss nicht durch einen expliziten Akt des Mitteilens erfolgen. Denn es wird nichts gesagt, was der Andere hören kann. Interessant ist nun aber beobachten zu können, dass auch Jills Beerenpflücken kommunikativ nutzbar ist. Denn Jill will ja Jack vor giftigen Beeren warnen bzw. ihm essbare zeigen. Ich kann also jemanden warnen, ohne dass ich ihm sage: Ich warne dich. Ferner kann ich jemanden darüber aufklären, was er darf oder nicht. Ein und dieselbe Handlung wird mehrfach und zu verschiedenen Zwecken genutzt, so dass man sagen kann: Nicht das Tun an sich ist kommunikativ, sondern die kommunikative Funktion erfolgt durch eine Zuschreibung der jeweils am Ereignis Beteiligten. Jill will mit ihrem Verhalten Jack warnen und ihm mitteilen, was er darf. Jack will wissen, welche Beeren essbar sind und welche nicht. Er sucht nach Informationen.
Vertraut ist uns der Gedanke, dass eine InformationInformation bzw. eine BotschaftBotschaft weitergegeben wird. Jill will Jack darüber informieren, wo er essbare Beeren findet. Überraschend ist hier eben das Wie. Die Voraussetzungen sind, dass Jack ein bestimmtes Verhalten beobachten kann und dass er daraus für sich Schlüsse zieht. Diese Schlüsse gehören zum Kalkül der beobachteten Person, denn sie will zeigen, welche Beeren essbar sind. Obwohl für den Rezipienten gar nicht offenkundig ist, dass ihm etwas mitgeteilt wird, kann ihm durch den Handelnden durchaus etwas mitgeteilt werden. Beide Akteure teilen nämlich den Blick auf eine ihnen bekannte Wirklichkeit – die Beeren – und das Bedürfnis, von diesen zu essen. Ohne diese Gemeinsamkeit gelänge der Austausch über die Eigenschaften des Nahrungsmittels nicht. Nur weil Jill weiß, was Jack will, und Jack weiß, dass Jill etwas tut, was Jack auch für sich möchte, kann er dem Tun von Jill vertrauen.
TransferleistungAus Vorfindlichem auf etwas damit Gemeintes zu schließen, ist im Alltag nichts Ungewöhnliches. Im Gebirge ist es üblich, die Wanderwege mit Farbpunkten zu markieren. Wenn diese Markierungen nicht sorgfältig gepflegt werden, verwittern die Punkte und verlieren ihre Farbqualität, so dass sie wie natürliche Flecken eines Steins aussehen können. Wenn wir den Wanderweg nehmen wollen, suchen wir in der Umgebung des Weges an den Steinen oder Baumstämmen nach Farbflecken, von denen wir annehmen, dass sie dort jemand hingepinselt hat. Wenn wir unsicher sind, vergleichen wir die Form und Farbqualität mit der Struktur des Steines, auf dem wir den Flecken vermuten, und entschließen uns dann, ihn als Markierung zu akzeptieren oder als natürliche Erscheinung zu betrachten. Im ersten Fall folgen wir dem Kommunikationsangebot dessen, der die Markierung gelegt hat. Im zweiten Fall unterstellen wir, dass dieser Färbung keine kommunikative Funktion zugeschrieben werden kann.
Markierung eines Bergwanderweges
Der Erfolg der Kommunikation zwischen Jill und Jack basiert daher auf der Fähigkeit von beiden, aus Beobachtungen in ihrer Umwelt auf etwas zu schließen, was für sie von Belang ist. Die Episode erzählt davon, dass Jill mit ihrem Verhalten die Erwartung verbindet, Jack werde es wahrnehmen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Jack weiß davon nichts, macht sich aber die Beobachtung des Verhaltens von Jill zunutze und beseitigt so sein Informationsdefizit. Wer eine Wanderung in einem fremden Gebiet macht, orientiert sich an Wegmarken. Diese können natürlich sein, markante Gesteinsformationen beispielsweise. Üblich sind jedoch kommunikativ gesetzte Markierungen wie Farbpunkte. Kommunikation erweist sich als ein Ereignis, das auf Gegenseitigkeit abzielt, ohne sich dieser sicher sein zu können. Denn was der Andere mit dem Angebot tun wird, hängt von seiner Befindlichkeit und den Umständen ab, in denen er sich gerade befindet. Dabei ist bedeutsam, dass jemand das in der Umwelt Vorgefundene nur so wahrnimmt, wie er es möchte oder kann.
Erklärung
Kommunikation ist nicht einfach da, sondern sie wird von jemandem gesucht oder sie wird versucht. Das setzt jemanden voraus, der sich darauf einlassen kann und will. Es muss nicht unbedingt eine Person sein, sondern kann beispielsweise ebenso in der Form einer Behörde in Erscheinung treten. Der Vorgang kann als gelungen wahrgenommen werden, wenn die betroffenen Akteure herausfinden bzw. erkennen können, was es mit dem Kommunikationsversuch auf sich haben könnte.
Kommunikation braucht Umgebungen
Um verstehen zu können, womit sich die Kommunikationswissenschaft beschäftigt und welche Probleme sie zu lösen hat, muss die besondere Rolle der Umwelt bzw. der Dinge, die uns umgeben, in Betracht gezogen werden und ebenso die Art, wie wir mit ihnen umgehen. Umwelt ist zuerst einmal der Wahrnehmungsraum eines jeden Einzelnen. Dieser Wahrnehmungsraum lässt sich formal als Datenmenge betrachten. Der Einzelne wird also mit einer Vielzahl von DatenDaten konfrontiert, die zuerst einmal nur als strukturelle Daten existieren.
Hörsaal aus der Dozentenperspektive
Wer zum ersten Mal einen Hörsaal betritt, findet alles Mögliche darin vor: Bänke und dazu gehörende Schreibflächen, einen Anstieg der Sitzreihen, eine breite Tafelwand vorne, links und rechts weiße Flächen für visuelle Präsentationen, an den Wänden Tafeln mit Schriftzeichen, Zeichen für Fluchtwege, Haken für Mäntel, leere Flaschen und liegen gelassene Papiere und anderes mehr. Das alles sind strukturelle Daten, die sich für ein Lebewesen wie einen Hund völlig anders als für einen Menschen darstellen würden. Wird der Raum vom Putzdienst aufgesucht, spielen leere Flaschen und weggeworfene Papiere eine andere Rolle als für Besucher, die am Tag der offenen Tür in den Hörsaal schauen.
Hörsaal aus der Studentenperspektive
Lehrende und Studenten sehen diese Dinge unter Umständen gar nicht. Was in einem solchen Raum Bedeutung erlangt und welche Bedeutung es erlangt, hängt also davon ab, was derjenige, der den Raum wahrnimmt, mit ihm machen möchte bzw. wofür er ihn nutzen will. Erst wenn eine Vorstellung über die Nutzung vorhanden ist, können die vorgefundenen Daten näher bestimmt und verstanden werden, und es lassen sich ihnen Eigenschaften zuweisen, aufgrund derer sie dann als Bankreihe und Wandtafel erkannt und benannt werden können, wenn die Vorstellung Hörsaal die Wahrnehmung ordnet. Aus strukturellen werden die relevanten Daten.
Besuch auf einer Werft – ein Beispiel
Wir sind im Alltag gewohnt, unbewusst und spontan auf Umgebungen zu reagieren. Zu Orientierungshandlungen kommt es erst dann, wenn sich die Umgebung mit den gewohnten Erwartungen nicht fassen lässt. Wir besichtigen eine Werft und werden in einen Schiffsrohbau geführt. Da sind wir von Metallplatten umgeben, die auf einzelne von uns wie bizarre Raumgebilde wirken, da fühlen wir uns verwirrt von Stiegen in höher gelegene Plateaus, die große runde Löcher enthalten. Jeder ordnet das, was er sieht, individuell. Der eine spricht von einem Schrottplatz, auf dem er sich befindet, der andere fühlt sich wie bei der Begehung einer modernen Skulptur, und wieder ein anderer sagt, er kenne sich überhaupt nicht aus und habe komplett die Orientierung verloren. Erst als uns der bauleitende Ingenieur erklärt, wir befänden uns im Bug-Teil des künftigen Schiffes, können wir den Formen und Flächen Eigenschaften zuweisen, die sie als Bug erkennbar machen. Das runde Loch wird als Öffnung nachvollziehbar, aus der die Ankerkette heruntergelassen wird. Bestimmte Bauteile lassen sich als Reling vermuten. Der uns angebotene Bezugshintergrund erlaubt es nun, den Daten Funktionen zuzuweisen.
Solche Bezugshintergründe ermöglichen das Verstehen unserer Umgebungen und das gilt nicht nur in physikalischer Hinsicht. Durch weitere Hinweise des Ingenieurs werden wir plötzlich fündig. Er macht uns nämlich auf kleine Markierungen an bestimmten Stellen der Platten aufmerksam, die bisher als Rostflecken oder Verschmutzung wahrgenommen worden waren. Die Platten werden nicht nur als Bauteile eines Schiffes erkennbar, sondern sie werden mit einem Mal „lesbar“; auch wenn wir das,