David Winston beschäftigt sich in seinem Aufsatz „Aspects of Philo’s Linguistic Theory“7 mit der philonischen Theorie von der Entstehung der Sprache. Dabei liegt sein Fokus auf der Entstehung der Namen. Ausführlich behandelt er Adam und Mose in ihrer Funktion als Namengeber,8 worauf noch näher einzugehen sein wird, u.a. weil Winston im Zuge dieser Ausführungen auf die Perikope der Sprachverwirrung und auf die philonische Auslegung in Conf zu sprechen kommt9.
Maren R. Niehoff betrachtet in ihrem Aufsatz „What is in a Name? Philo’s Mystical Philosophy of Language“10 den mystischen Aspekt der Sprache bei Philon und geht folgender Fragestellung Philons nach: Wie kann ein Name tatsächlich die Substanz einer Idee oder eines Dinges wiedergeben? Sie untersucht dazu drei Allegorien, derer sich Philon bedient und die er auf den Schnittpunkt zwischen Name und Idee prüft: Die Allegorie des Wassers,11 des Lichts12 und der Dichtung,13 die Philon nutzt, um die Beziehung zwischen Sprache und Idee zu verdeutlichen. Sie versucht herauszustellen, in welchem Verhältnis für Philon ein Name und die Substanz der Dinge stehen; im Weitesten soll dadurch auch das Verhältnis von Gott als Quelle der Sprache und der stimmlichen Äußerung des Menschen im konkreten Wort bestimmt werden. Hierfür übernimmt der menschliche Geist eine Mittlerfunktion, indem er bestimmte Vorstellungen und Erkenntnisse in Worte fasst. Niehoff widmet sich in einem einführenden Teil den Kennzeichen der göttlichen und menschlichen Sprache und setzt sich, ähnlich wie Winston, ausführlich mit der Entstehung und Bedeutung der Namen auseinander.14 Abschließend fasst Niehoff ihre Ergebnisse prägnant zusammen: „Being a Divine emanation, language structures the universe and contains the essence of all things.”15 Sprache ermöglicht von daher immer einen konkreten Bezug zu Gott und der Welt, ebenso wie einen Einblick in beide Bereiche. Sprache steht deshalb im Zusammenhang mit der Erkenntnis des Menschen.16
David Robertson widmet sich in seiner Monographie „Word and Meaning in Ancient Alexandria. Theories of Language from Philo to Plotinus”17 Sprachtheorien zwischen 50 v. Chr. und 300 n. Chr., die einen Bezug zu Alexandria haben. Er sieht die Notwendigkeit, die antike Philosophie stärker in Bezug zu den Kirchenvätern zu setzen. Robertson stellt das Sprachverständnis von Philon, Clemens, Origenes und Plotin dar. Er verweist des Öfteren auf Kweta, die Monographie Ottes bleibt unberücksichtigt. Es geht Robertson nicht um die Fragen nach Ursprung und Funktion von Sprache. Er untersucht das Verhältnis von sinnlich wahrnehmbarer Wirklichkeit und mit dem Verstand wahrzunehmender Wirklichkeit. Anschließend setzt er sich mit dem philonischen Verständnis von λόγος und νοῦς auseinander.18
Damit liegen zum philonischen Sprachverständnis Untersuchungen vor, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen: Sprache als Seiendes, Namen, Entstehung oder Erkenntnis. In der folgenden Untersuchung können die jeweiligen Schwerpunkte der bereits vorhandenen wissenschaftlichen Literatur eingebracht werden; es soll nun versucht werden, das Sprachverständnis Philons anhand der Leitfragen eigenständig zu bearbeiten, systematisiert darzustellen und Philon im Rahmen der antiken Sprachphilosophie zu positionieren.
3. Analyse von De confusione linguarum § 9–15
3.1 De confusione linguarum im Gesamtwerk Philons
Das Sprachverständnis Philons wird ausgehend von dem Traktat Conf erarbeitet. Vorab ist der Traktat in das Gesamtwerk Philons einzuordnen.1 Dieses gliedert sich in exegetische Kommentare, philosophische und apologetische Schriften. Conf ist Teil der Kommentare, die ihrerseits in drei Kategorien eingeteilt werden: In ‚Fragen und Antworten zu Genesis und Exodus’ (beinhaltet nur in Armenisch überlieferte Schriften), ‚Erklärungen des Gesetzes’ und in den allegorischen Kommentar, zu dem Conf zu zählen ist.2 Sterling nimmt an, dass die Kommentarreihe für „advanced students in Philo’s school or other Jewish exegetes“3 geschrieben wurde. Maren R. Niehoff differenziert zwischen der Leserschaft von ‚Fragen und Antworten zu Genesis und Exodus’ und dem allegorischen Kommentar: „[W]hile the Allegorical Commentary addresses specialized and highly educated readers, the Question and Answers aims at more primary education, perhaps of young students in the Jewish community.“4 Die prägnantesten und bedeutendsten Schriften des allegorischen Kommentars sind die drei Bücher Legum allegoriae. In ihnen wird das Vorgehen Philons, biblische Verse nach und nach in den Blick zu nehmen, einzelne Probleme und Fragestellungen herauszuarbeiten und allegorisch auszulegen, besonders deutlich. Gekennzeichnet ist das methodische Vorgehen durch Fragen und Antworten. Die Fragen ergeben sich aus der Versexegese, die Antworten bewegen sich auf der allegorischen, häufig auch ethischen Ebene.5 Die Bedeutung des allegorischen Kommentars lässt sich mit Niehoff folgendermaßen formulieren: „(…) it constitutes the first extant systematic inquiry into the book of Genesis, providing an in-depth analysis of each verse in light of its allegorical dimension as well as scholarly questions on the literal meaning.“6
Die Besonderheit des philonischen Denkens liegt darin, dass erstmals der Versuch unternommen wird, mit Hilfe der Philosophie die Texte des Alten Testaments zu erklären.7
3.2 Das Thema ‚Sprache‘ in De confusione linguarum
Der Titel des Traktats De confusione linguarum/ Περὶ συγχύσεως διαλέκτων legt nahe, dass das leitende Thema dieser Ausführungen die Sprache sei. Der Leser muss aber feststellen, dass es Philon in seiner Auslegung von Gen 11,1–9 nicht in erster Linie um Sprache geht, sondern dass er eine allegorische, im Wesentlichen ethische Interpretation des atl. Textes vornimmt. Mit Hilfe der allegorischen Methode gelingt es Philon, „Ungereimtheiten in der Bibel“ und „offensichtliche Anthropomorphismen ›richtig‹ erklären zu können“1. Der übergeordnete thematische Zusammenhang, indem Philon seine Exegesen betreibt, findet sich also in der ethischen Erklärung von Anthropomorphismen in der Gottesdarstellung. Philon liefert eine moralische Umwertung dieser Anthropomorphismen, wie dies auch in der alexandrinischen Homerexegese erfolgte. Sein Ziel ist es, Anthropomorphismen also solche herauszustellen und in einem ethischen Sinn zu erläutern, so dass dadurch jegliches negative Bild von Gott ausgeräumt wird.2 Gott wird also nach der Interpretation Philons in Gen 11 nicht vorgeworfen, dass er Unfrieden stifte, etwa indem er die Sprachgemeinschaft der Menschen zerstöre; Gott haften vielmehr überhaupt keine negativen Aspekte an. Dies aufzuzeigen ist Philons übergeordnete Absicht, wenn er Gen 11 interpretiert; zugleich stellt er aber explizit heraus, dass der zentrale Themenkomplex für ihn nicht die Sprache ist. Wie er dies dem Leser vermittelt, wird im Folgenden aufgezeigt.
In Conf § 183, am Ende seiner Ausführungen, beschreibt Philon seine Vorgehensweise: Er will anhand von Ähnlichkeiten verschiedener Begriffe den Terminus σύγχυσις erklären, um anschließend aufzuzeigen, dass er sich nicht auf das Thema Sprache bezieht. Philon sucht nach Begriffen, mit denen sich der Ausdruck σύγχυσις vergleichen lässt, um seine eigentliche Bedeutung erfassen zu können. Mit den physikalischen Begriffen μίξις und κρᾶσις findet er die gesuchten Ähnlichkeiten. Damit greift Philon auf die Lehre der Stoa von den unterschiedlichen Verbindungsarten zurück.3 Unter μίξις ist eine Mengung zu verstehen, die sich durch Conf § 185 als „σωμάτων διαφερόντων ἐστὶν οὐκ ἐν κόσμῳ παράθεσις“ (ein Nebeneinandersetzen verschiedener Körper ohne Ordnung) näher beschreiben lässt. Sie bezieht sich lediglich auf trockene Dinge. Philon illustriert dies mit dem Bild, bei dem Menschen einen Haufen machen, indem sie verschiedene Nahrungsmittel wie Gerste, Weizen oder Kichererbsen neben- oder aufeinanderlegen.4