Neben dem λόγος-Begriff ist eine weitere wichtige Voraussetzung für die sprachphilosophische Entwicklung, dass auch die Stoiker zwischen der Inhalts- uns Ausdrucksseite eines sprachlichen Zeichens unterscheiden. Sie differenzieren zwischen dem Bezeichneten/Signifikat/Inhalt, dem Bezeichnenden/Signifikant/Ausdruck eines sprachlichen Zeichens und dem Objekt, übernehmen also folglich das von Aristoteles herausgearbeitete dreiteilige semiotische Modell.16 In diese beiden Teilbereiche des sprachlichen Zeichens gliedert Chrysipp die stoische Dialektik. Das wird durch die beiden Schrifttitel bereits deutlich: Περὶ σημεινόντον (Über das Bezeichnende) beschäftigt sich mit der Stimme, also mit dem Zeichen, Περὶ σημεινομένον (Über das Bezeichnete) mit dem Gesagten und der Bedeutung.17 Beide Teilbereiche des sprachlichen Zeichens wurden nun differenzierter betrachtet. So konnten gezielt einzelne Aspekte der Sprache herausgegriffen, untersucht und systematisiert werden. Für die Zusammenführung dieser Teilsystematisierungen und eine Vereinheitlichung ist Diogenes von Babylon (240–150 v. Chr.) verantwortlich.18 Im Folgenden werden die beiden von Chrysipp vorgelegten Teile der Dialektik behandelt. Am Anfang steht die Auseinandersetzung mit dem Bezeichnendem.
(2) Die Stimme, die φωνή, verstehen die Stoiker als das Bezeichnende, die Ausdrucksseite des sprachlichen Zeichens. Sie wird für körperlich und damit für seiend erklärt.19 Daneben wird die Ausdrucksseite des sprachlichen Zeichens wie folgt bestimmt:
φωνή ἐστιν ἀὴρ πεπληγὼς αἰσθητὸς ἀκοῇ, τὸ ὅσον ἐφ’ ἑαυτῷ ἔστιν. (Dositheus, Ars gramm. p. 381; FDS 500)
„Die Stimme (der Laut) ist erschütterte Luft, die, soweit es an ihr liegt, mit dem Gehör wahrnehmbar ist“ (Dositheus, Ars gramm. p. 381; FDS 500)
Die φωνή wird als Schall durch das Sinnesorgan des Ohres wahrgenommen. Zur eigentlichen Stimme wird diese Luft bzw. der Schall, wenn ein Lebewesen dadurch einen Laut erzeugt. Um die menschlichen Laute von den tierischen unterscheiden zu können, führt die Stoa die Differenzierung zwischen artikulierten und unartikulierten Lauten weiter, die bereits bei Aristoteles angedeutet wurde:
πᾶσα φωνὴ ἢ ἔναρθρός ἐστιν ἢ ἄναρθρος. ἔναρθρός ἐστιν ἣ γράμμασιν καταληφθῆναι δύναται∙ ἄναρθρος ἐστιν ἥτις γράφεσθαι οὐ δύναται. (Dositheus, Ars gramm. p. 381; FDS 500)
Jede Stimme (jeder Laut) ist entweder artikuliert oder konfus. Die artikulierte Stimme ist diejenige, welche in Buchstaben festgehalten werden kann; die konfuse ist diejenige, welche man nicht aufschreiben kann. (Dositheus, Ars gramm. p. 381; FDS 500)
Sind Laute ἄναρθρος (unartikuliert), so handelt es sich um ἦχος (bloße Laute).20 Dagegen ist φωνή ἔναρθρος (der artikulierte Laut) an den λόγος gebunden. Menschliche Sprache kann nicht nur auf ihr körperliches Phänomen reduziert werden. Das Denken, der λόγος ἐνδιάθετος, ist eng mit der sprachlichen Äußerung verbunden. Dies wurde bei der Thematisierung des stoischen λόγος-Verständnisses bereits deutlich und kann durch Chrysipp noch einmal in Erinnerung gerufen werden, der feststellt „τὴν διάνοιαν εἶναι λόγου πηγήν“21 (der Verstand sei die Quelle der Rede).22
Wenn die Stoa die menschlichen sprachlichen Äußerungen eng an den λόγος koppelt, wirft das die Frage auf, welche Position die Stoa im φύσει-θέσει-Streit einnimmt. Die stoische Position diesbezüglich wird in Auseinandersetzung mit den Theorien der Skeptiker und der Epikureer entwickelt. Die Skeptiker sind der Ansicht, dass die Zuordnung von Ding und Wort θέσει vonstattengeht23, die Epikureer plädieren vorerst für die reine φύσει-These.24 Letztere waren, wie alle Vertreter der natürlichen Sprachentstehung, mit der Frage konfrontiert, warum unterschiedliche Sprachen entstehen konnten. Epikur begründet dies mit der Unterschiedlichkeit von „geographischen und ethnischen Gegebenheiten“25, die sich in den sinnlichen Wahrnehmungen und letztlich in der Zuordnung von Objekt und Wort niederschlagen. Dinge jedoch, die schwierig zu bezeichnen waren, wurden von weisen Menschen bezeichnet, um Klarheit zu schaffen und Mehrdeutigkeiten zu vermeiden. Mit diesem Zusatz vereint Epikur beide Theorien. Damit ist für die Stoa aber noch kein gangbarer Weg begründet; weil die Epikureer nicht zwischen tierischen und menschlichen Lauten unterscheiden, findet deren These für die Stoa eine Grenze. So wie die tierischen Laute sind nach epikureischer Ansicht auch die ersten Laute der Menschen entstanden: durch eine natürliche Erregung wie etwa Husten oder Seufzen.26 Das widerspricht dem stoischen Verständnis, zwischen Mensch und Tier eine scharfe Grenze zu ziehen.27 Wie oben bereits deutlich wurde, ist die menschliche Sprache – im Gegensatz zu den tierischen Lauten – explizit an den λόγος gebunden, weil eine menschliche Stimme im stoischen Verständnis nur dort vorliegt, „wo die Stimme vom Denken ausgeht und die Artikulation dazu dient, die Gliederung der Gedanken zum Ausdruck zu bringen und die verschiedenen Dinge auf Grund einer bestimmten Erkenntnis zu bezeichnen.“28 Die Stoa kann somit wenigstens zu einem Teil der epikureischen These folgen, nämlich darin, dass die Zuordnung von Wort und Ding auch durch den Menschen veranlasst wurde.29 Insgesamt geht die Stoa einen Mittelweg: Die Wörter gelten als vom Menschen gesetzt. Die namengebenden Menschen orientierten sich jedoch an der φύσις der Dinge.30 Die ersten Wörter haben ihre Bedeutung also nach stoischer Ansicht nicht durch Konvention erhalten, sondern von Natur aus, indem die Objekte nachgeahmt wurden.31 Diese Nachahmung bezieht sich einerseits auf die Ähnlichkeit zwischen Objekt und Wort, wie dies für Onomatopoetika der Fall ist; andererseits auf eine Ähnlichkeit zwischen der Eigenschaft des Objekts und des „psychischen Eindrucks, der bei der Rezeption der dieses Ding bezeichnenden Laute entsteht“32. Dies trifft für Etymologien zu,33 weshalb sich bei den Stoikern für diese ein besonderes Interesse entwickelt.34
Neben dem Ursprung und der allgemeinen Beschreibung des Wesens sprachlicher Laute befasst sich der Lehrbereich ‚Περὶ σημεινόντον’ mit dem Aufbau der Sprache.35 Auf der Ebene der λέξις (Artikuliertheit) können verschiedene Bereiche ausgemacht werden: Als die kleinsten zerlegbaren Einheiten gelten die Phoneme, die die Stoiker in den 24 Buchstaben gegeben sahen.36 Auf diese folgen die Silben als Laute, die in verschiedene Segmente eingeteilt werden können, aber keine Bedeutung besitzen. Wörter, Sätze und Texte sind die darauf folgenden größeren Einheiten, die Bedeutung haben.37 Die Rede an sich lässt sich nach der stoischen Lehre in verschiedene Wortarten gliedern: Substantiv (ὄνομα), Verb (ῥῆμα), Artikel (ἄρθρον) und Konjunktion (σύνδεσμος) sind die vier Wortarten, die die Stoa aus der vorangegangenen Sprachphilosophie übernommen hat.38 Chrysipp unterteilt die Substantive in ὄνομα (Eigenname) und προσηγορία (Appellativ)39, Antipater fügt das ἐπίρρημα (Adverb)40 hinzu.41 Diese Wortarten werden als die einzelnen Elemente (στοιχεία42) der Rede (λόγος) angesehen. Die Rede selbst sollte nach stoischer Ansicht folgende Merkmale aufweisen: Ἑλληνισμός (gutes Griechisch), σαφήνεια (Deutlichkeit), συντομία (Kürze), πρέπον (Angemessenheit) und κατασκευή (ausgefeilte Gestaltung).43
(3) Das zweite Teilgebiet der stoischen Sprachphilosophie (‚Περὶ σημεινομένον’) beschäftigt sich mit dem, was wir heute die Inhaltsseite des sprachlichen Zeichens bzw. das Bezeichnete nennen. Hinter dieser Thematik steht die Frage, wie der Bezug zwischen Wort und Objekt zu denken ist. Die Stoiker knüpfen diesbezüglich an die Sichtweise von Aristoteles an, der den Bezug zwischen Wort und Ding durch die παθήματα τῆς ψυχῆς vermittelt sieht. Die Stoiker sind bemüht, die aristotelische Ansicht zu differenzieren und näher zu bestimmen. Sie benutzen hierzu den Begriff λέκτον, der das Bezeichnete charakterisiert:44
σημεινόμενον δὲ αὐτὸ τὸ πρᾶγμα τὸ ὑπ’ αὐτῆς δηλούμενον καὶ οὗ ἡμεῖς μὲν ἀντιλαμβανόμεθα τῇ ἡμετέρᾳ