Für den Hörerkreis bzw. für die Adressaten der philonischen Überlegungen ist also ein jüdisches Publikum anzunehmen. Diese legen im Gegensatz zu Philon ein kritisches Toraverständnis zu Grunde und besitzen die Fähigkeit, Literatur, die aus unterschiedlichen Kulturen stammt, zueinander in Beziehung zu setzen.32 Mit seinen Überlegungen in Conf § 2–3 wendet sich Philon gegen diesen Personenkreis, der die jüdische Überlieferung in Frage stellt und der durch den Vergleich der Mosesbücher mit homerischen Epen zu der Feststellung gelangt, dass beide Texte mythologische Elemente enthalten. Für Philon sind gerade literarische Mängel, die nicht den allgemeinen Stilkriterien unterliegen, ein Hinweis auf die göttliche Wahrheit der Texte.33 Dass Philon diese Aspekte in seinen Ausführungen aufgreift, zeigt, dass Sprache in Alexandria ein zentrales Diskussionsthema war und dass unterschiedliche Positionen bezüglich des Verständnisses und des Umgangs mit Sprache vorlagen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Philon die vorherrschenden Ansichten aufgreift, thematisiert, gleichzeitig aber seine eigene Position abgrenzt und sie zu begründen versucht. Philon setzt sich mit den Methoden seiner Gegner auseinander, was im Gegensatz dazu für den Verfasser des Aristeasbriefes nicht zutrifft, der allein auf die Gültigkeit der biblischen Texte verweist.34
Eine weitere Thematisierung der Hörerschaft findet sich in § 142–144:35
τίς γὰρ τά γ’ οὕτως ἐμφανῆ καὶ περίοπτα καὶ τῶν λίαν ἐξεστηκότων ἀγνοεῖ; ἀλλὰ μὴ τὸ πρόχειρον τοῦτο καὶ κατημαξευμένον ἐν τοῖς ἱερωτάτοις χρησμοῖς ἀναγεγράφθαι <νομίσῃς>, ἀλλ’ ὅπερ ἀποκεκρυμμένον ἰχνηλατεῖται διὰ τῶν ἐμφανῶν ὀνομάτων. τί οὖν ἐστι τοῦτο; (Conf § 142–144)
Wer weiß denn nicht, auch von den ganz Verblödeten, was so klar und augenscheinlich ist? Du darfst aber nicht (annehmen), daß in den heiligen Gottessprüchen diese oberflächliche und triviale (Lehre) aufgezeichnet sei, vielmehr (ist es) der verborgene Sinn, auf welchen die deutlichen Worte hinweisen. Was also ist damit gemeint? (Conf § 142–144)
Hier begegnet eine Anspielung auf die Personen, die in dem Text nicht den tieferen Sinn sehen, der Philons Ansicht nach entschlüsselt werden muss. Den verborgenen Sinn will Philon durch seine allegorische Auslegung aufzeigen, was er mit dem Fragesatz in Conf § 144 einleitet. Der Text liefert eine ähnliche hermeneutische Reflexion wie Mk 4,10–13. Auch in Mk zeigt sich die Vorstellung, dass ein Text, in diesem Fall das Gleichnis vom Sämann, nicht allein auf der wörtlichen Ebene verstanden werden kann. Sie reicht nicht aus, um den vollständigen Sinn zu erkennen. Hierfür ist die Auslegung in Mk 4,15 ff notwendig, ebenso wie es für Philon neben dem leichtsinnigen (πρόχειρος) und dem trivialen (κατημαξευμένος) Sinn noch einen verborgenen (ἀποκεκρυμμένως) geben muss.
Abschließend ist festzuhalten, dass Philon anhand zweier Aspekte seine ethische Auslegung des Textes begründet und somit darstellt, dass Sprache keinesfalls das eigentliche Themas des Genesistextes sein kann. Zum einen erfolgt dies durch die Analyse des Begriffs der σύγχυσις, den er in Conf als für die Trennung der menschlichen Sprachgemeinschaft unzutreffend bestimmt. Zum anderen bekräftigt Philon das durch die Aussage, die Argumentation philosophisch angehen zu wollen. Der Traktat Conf eignet sich dennoch dafür, das philonische Sprachverständnis zu charakterisieren, weil Philon in Auseinandersetzung mit seinen Kritikern eine schriftliche Reaktion auf die Sprachvorstellungen seiner Zeit gibt. Damit liegt die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, warum sich Philon in Conf über Sprache äußert, also in der Tatsache, dass Philon sich gegenüber seinen Gegnern zur Auseinandersetzung und zur eigenen Positionierung angeregt sieht.
In Conf beschäftigt sich Philon hauptsächlich mit der allegorischen Auslegung der Perikope vom Turmbau zu Babel. Da Philon in Conf § 9–13 Aussagen über Sprache tätigt, soll diese Texteinheit Gegenstand einer ausführlichen Analyse sein. Der Traktat in seiner Ganzheit ist dagegen nicht Bestandteil der Analyse. Die allegorische Interpretation des Genesistextes kann für die Herausarbeitung des philonische Sprachverständnisses weitgehend außer Acht gelassen werden.
Die Analyse beginnt mit einer eigenen Übersetzung der angegebenen Verse, der eine inhaltliche Zusammenfassung folgt. Die Nachzeichnung der Argumentation mündet in die Darstellung des Sprachverständnisses.
3.3 Übersetzung von De confusione linguarum § 9–15
(9) ὁ δ’ ἐγγυτέρω τἀληθοῦς προσάγων τὸν λόγον τὰ ἄλογα τῶν λογικῶν διέζευξεν, ὡς ἀνθρώποις μόνοις μαρτυρῆσαι τὸ ὁμόφωνον. ἔστι δέ, ὥς γέ φασι, καὶ τοῦτο μυθῶδες. καὶ μὴν τήν γε φωνῆς εἰς μυρίας διαλέκτων ἰδέας τομήν, ἣν καλεῖ γλώττης σύγχυσιν, ἐπὶ θεραπείᾳ λέγουσιν ἁμαρτημάτων συμβῆναι, ὡς μηκέτ’ ἀλλήλων ἀκροώμενοι κοινῇ συναδικῶσιν, ἀλλὰ τρόπον τινὰ [ἄλλοι] ἀλλήλοις κεκωφωμένοι *** κατὰ συμπράξεις ἐγχειρῶσι τοῖς αὐτοῖς.
(10) τὸ δὲ οὐκ ἐπ’ ὠφελείᾳ φαίνεται συμβῆναι· καὶ γὰρ αὖθις οὐδὲν ἧττον κατὰ ἔθνη διῳκισμένων καὶ μὴ μιᾷ διαλέκτῳ χρωμένων γῆ καὶ θάλαττα πολλάκις ἀμυθήτων κακῶν ἐπληρώθη. οὐ γὰρ αἱ φωναί, ἀλλὰ αἱ ὁμότροποι τῆς ψυχῆς πρὸς τὸ ἁμαρτάνειν ζηλώσεις τοῦ συναδικεῖν αἴτιαι·
(11) καὶ γὰρ οἱ ἐκτετμημένοι γλῶτταν νεύμασι καὶ βλέμμασι καὶ ταῖς ἄλλαις τοῦ σώματος σχέσεσι καὶ κινήσεσιν οὐχ ἧττον τῆς διὰ λόγων προφορᾶς ἃ ἂν θελήσωσιν ὑποσημαίνουσι· χωρὶς τοῦ καὶ ἔθνος ἓν πολλάκις οὐχ ὁμόφωνον μόνον ἀλλὰ καὶ ὁμόνομον καὶ ὁμοδίαιτον τοσοῦτον ἐπιβῆναι κακίας, ὥστε τοῖς ἀνθρώπων ἁπάντων ἁμαρτήμασιν ἰσοστάσια δύνασθαι πλημμελεῖν·
(12) ἀπειρίᾳ