7. Zusammenfassung der zentralen Fragestellungen
1 Die Entwicklung, die in der Sprachphilosophie vonstattengeht, betrifft die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Erscheinungsformen von Sprache, mit der ein sich wandelndes λόγος-Verständnis einhergeht.Bei den Vorsokratikern wird Sprache (λόγος) auf einer allgemeinen Ebene behandelt. Dies hat sich deutlich bei Heraklit gezeigt, der eine Analogie zwischen den Strukturen der Sprache, des Denkens und der Weltwirklichkeit annimmt. Sprache wird also als eine allgemeine „Erscheinungsform des Universums“1 gesehen. Sprache hat einen Wahrheitscharakter, wenn zwischen den drei Komponenten eine Analogie vorliegt; wird diese Analogie bezweifelt, verliert Sprache ihren Wert als Erkenntnismittel. Für Heraklit und Parmenides ist dies noch nicht anzunehmen, bei Platon zeigt sich eine Sensibilität für das Problem, was dazu führt, dass die Sprache als Mittel der Erkenntnis hinterfragt wird.Neben einer allgemeinen Ebene, auf der Sprache thematisiert wird, entwickelt sich v.a. bei Platon das Modell von der Sprache als Satz: Nicht mehr einzelnen Wörtern wird ein Wahrheitsgehalt zugeschrieben, sondern Sätzen. Besteht zwischen dem ausgesagten Satz und dem tatsächlichen Sachverhalt eine Analogie, so kann der Satz als ἀληθές bestimmt werden; liegt diese nicht vor, so ist die Aussage ψεῦδος. Heraklit hat die Kategorie der Wahrheit oder Falschheit von Sätzen noch nicht im Blick. Aristoteles fokussiert sich auf diese Erscheinungsform der Sprache und widmet sich weniger der Sprache im Allgemeinen und der Sprache als Wort. Er schreibt nur den Sätzen einen Wahrheits- oder Falschheitsgehalt zu.Wird die Sprache hauptsächlich auf Wortebene behandelt, so wird thematisiert, ob ein Wort das Objekt, das es bezeichnet, wiedergibt bzw. ihm entspricht.
2 Die zuletzt genannte Erscheinungsform der Sprache wird zu einer Angelegenheit, die die antike Sprachphilosophie fortwährend beschäftigt. Die Diskussion beinhaltet zum einen die Frage, ob das Verhältnis zwischen Wort und Sache als natürlich oder nicht-natürlich zu bestimmen ist. Die unterschiedlichen Ansichten werden im sog. φύσει-θέσει-Streit ausgetragen, den Coseriu in drei Phasen unterteilt, die in der vorangegangenen Bearbeitung bereits erläutert wurden und lediglich noch einmal kurz zusammengefasst werden sollen. In einer ersten Phase, die die vorplatonische Zeit beschreibt, wird der noch nicht immer als solcher wahrgenommene oder benannte Gegensatz mit den Begriffen φύσει-νόμῳ/ὁμολογίᾳ ausgedrückt. Platon spricht von συνθήκῃ. In diesem Stadium geht es um die Frage nach der Richtigkeit der Namen: Ist der Zusammenhang von Wort und Gegenstand als natürlich zu bestimmen, so dass es keine andere Möglichkeit gibt, das Ding zu bezeichnen? Die Antwort auf die Frage fällt einmal positiv aus, indem das Verhältnis von Wort und Gegenstand als natürlich bestimmt wird, einmal negativ, indem es als ‚durch Gesetz oder Übereinkunft vermittelt’ angesehen wird. Platon setzt neue Akzente, indem er, um das Verhältnis zwischen Wort und Sache zu bestimmen, die Idee einführt. Die nächste Phase, maßgeblich von Aristoteles geprägt, arbeitet mit den Begriffen φύσει und κατὰ συνθήκην. Sie verschiebt die Fragestellung dahingehend, dass nicht mehr nach der Verhältnisbestimmung von Lautgestalt und Gegenstand gefragt wird, sondern nach dem Verhältnis von der Gesamtheit des sprachlichen Zeichens und der Sache. Dies wird erst durch die von Aristoteles eingeführte Unterscheidung des sprachlichen Zeichens in die Ausdrucks- und Inhaltsseite möglich. Die eigentliche Streifrage gerät mit Aristoteles aus dem Blickfeld. In nacharistotelischer Zeit wird dem φύσει-Begriff der θέσει-Begriff gegenüber gestellt. Auch hier wandelt sich die Fragestellung. Es geht nicht mehr allein um die Richtigkeit der Namen, sondern auch um die Entstehung der verschiedenen Sprachen. Die Vertreter der θέσει-These begründen ihre Theorie damit, dass dieselben Dinge in unterschiedlichen Sprachen andere Namen erhalten haben.Neben der Frage, wodurch die Zuordnung von Wort und Sache ihre Legitimation erhält, wird diskutiert, wie dieser Bezug zwischen Wort und Objekt zu denken ist. Die Vorsokratiker denken eine Einheit von Name und Sache, ein Bezug wird nicht reflektiert. Platon nimmt einen Bezug beider Komponenten an und schaltet zwischen diese die Idee. Aristoteles gliedert den Namen in Ausdrucks- und Inhaltsseite und setzt erst den gesamtsprachlichen Ausdruck in Verbindung zum Objekt.
Für die weitere Entwicklung der Sprachphilosophie ist von besonderer Bedeutung: (1) Der λόγος-Begriff, der die Möglichkeit eröffnet, zwischen Sprache und Vernunft/Denken zu unterscheiden; damit entsteht das Bewusstsein, dass Zeichen veränderlich sind und Sprache deshalb nicht der Wirklichkeit entspricht, wie dies anfänglich von Parmenides und Heraklit angenommen wird; (2) der Werkzeugcharakter der Sprache, den Platon herausstellt und den Karl Bühler in seinem Organonmodell aufgreift; (3) die Unterscheidung des sprachlichen Zeichens in eine Ausdrucks- und Inhaltsseite, die Aristoteles gezielt herausarbeitet und die Ferdinand de Saussure mit den Begriffen des Signifikats und Signifikanten aufnimmt.2
III. Das Sprachverständnis Philons von Alexandria unter besonderer Berücksichtigung des Traktats De confusione linguarum
1. Vorbemerkungen
Das Kapitel beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Schrift De confusione linguarum, in der Philon Fragen des Sprachverständnisses behandelt. Nach einer kurzen Einführung in die Forschungsliteratur zum philonischen Sprachverständnis erfolgt eine kritische Analyse von De confusione linguarum § 9–13. Sie beinhaltet eine Einordnung in das Gesamtwerk Philons, die Darstellung, warum Philon sich in diesem Traktat zur Auseinandersetzung mit dem Thema Sprache gezwungen sieht, eine Übersetzung der angegebenen Verse sowie eine Nachzeichnung der Argumentation. Daran schließt sich die Untersuchung des philonischen Sprachverständnisses an, die weitere Traktate heranzieht und folgende Leitfragen analysiert: Wie ist die Entstehung von Sprache zu denken? Wie funktioniert Sprache, welche Relationen zwischen Wort und Sache können ausgemacht werden? Welche Funktionen, Aufgaben und Ziele hat Sprache? Wo werden Grenzen von Sprache deutlich? Der vorliegende Teil der Arbeit konzentriert sich auf das philonische Sprachverständnis. Dabei muss weitgehend auf Fragen nach der Person Philons, seiner Herkunft, der Entstehung, Kategorisierung und Echtheit der Schriften, der allegorischen Auslegungsmethode, etc. verzichtet werden.1 Am Ende der Ausführungen wird das philonische Sprachverständnis im Rahmen der antiken Sprachphilosophie positioniert.2
2. Einführung in die Forschungsliteratur zum philonischen Sprachverständnis
Für Philon liegen zur Sprache wenige Aufsätze und Monographien vor. Zunächst werden die beiden Monographien von Klaus Otte und Gertraut Kweta vorgestellt, anschließend werden die kleineren Beiträge in chronologischer Reihenfolge behandelt.
Ziel Klaus Ottes ist es, „unter Anwendung eines Analogieschlusses zwischen den Zeitgenossen Philo und Paulus das Sprachverständnis des letzteren zu ermitteln und auf diesem Wege zum Verständnis der Hermeneutik des Paulus beizutragen“1. Der angestrebte (problematische) Analogieschluss wird nicht unternommen; Otte thematisiert, wie letztlich auch der Titel nahe legt, nur die Sprachauffassung Philons. In einem ersten ausführlichen Kapitel behandelt Otte den Zusammenhang von Sprachauffassung und Weltverständnis. Er betont, dass das philonische Sprachverständnis in einem Zusammenhang mit der Auslegung des Seins steht.2 Im Anschluss an die Darstellung dieses Zusammenhangs stellt Otte die Sprachtheorie, die Anthropologie und die Kosmologie Philons dar. In den Analysen will er die Abhängigkeit von der Erkenntnistheorie Philons zeigen, welche im dritten Kapitel zusammen mit der Logologie als Grundlage der Hermeneutik dargestellt wird.3
Den Traktat De confusione linguarum bezieht Otte in seine Arbeit nicht mit ein. Insgesamt ist die Arbeit, wie Kweta richtig feststellt, sprachhermeneutisch überzogen.4 Dies wird dem Denken Philons nicht gerecht. Dennoch arbeitet Otte wichtige Aspekte des philonischen Sprachverständnisses heraus und zeigt den Zusammenhang von Sprache zur Logoslehre und zur Erkenntnistheorie auf.
Gertraut Kweta widmet sich