Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses. Nadine Treu. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nadine Treu
Издательство: Bookwire
Серия: NET – Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000119
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ἀληθές oder ψεῦδος eingeordnet werden, das verdeutlicht die dritte Relation. Es sind Sätze gemeint, die ein ῥῆμα beinhalten, durch welches eine Aussage über das im ὄνομα enthaltene Subjekt getroffen wird37. Erst Sätze können auf ihre Richtigkeit hin untersucht werden, weil Wörter nicht auf die Dinge bezogen sind. Sie sind lediglich Zeichen, Symbol, für die Dinge.38 Darin lieg der Unterschied zu Platon.

      Eine Neuerung im Vergleich zu Platon ist, dass das ῥῆμα Bedeutung für die Satzwertigkeit erhält.39 Dabei muss bedacht werden, dass auch ῥήματα allein keinen Aussagegehalt besitzen.40 Erst in der Verbindung von Subjekt, verstanden als Gesamtheit des sprachlichen Zeichens, und Prädikat entsteht ein Satz, der auf einen Wahrheits- oder Falschheitsgehalt hin befragt werden kann.41 Solche Sätze bezeichnet Aristoteles als λόγος ἀποφαντικός. Diesen präzisiert er im fünften Kapitel von Herm. Er bezeichnet die Sätze als ἀποφαντικός, die eine bejahende/behauptende (κατάφασις) oder verneinende (ἀπόφασις) Aussage über ein Subjekt treffen.42 Dadurch wird der wahre Aussagehalt ans Licht gebracht bzw. „das im Subjekt latent Vorhandene patent“43 gemacht. Als solche Sätze, deren Wahrheits- oder Falschheitsgehalt ermittelt werden kann, bestimmt Aristoteles die Aussage- und Urteilssätze.44 Teile von Aussagesätzen, Wunsch-, Frage- oder Befehlssätze hingegen sind davon zu unterscheiden. Für sie kann keine Feststellung über einen wahren oder falschen Aussagegehalt getroffen werden, weil sie als einzelne sprachliche Ausdrücke keine Vorstellungen repräsentieren, die als wahr oder falsch beurteilt werden können. Mit der These, dass es Sätze gibt, für die keine Aussage über ihre Wahrheit oder Falschheit getätigt werden kann, wird die Ansicht abgelehnt, Sprache impliziere grundsätzlich Wahrheit oder bringe sie zum Ausdruck.45

      (4) Aristoteles wird in der Forschungsliteratur als Realist bezeichnet. Abschließend ist zu fragen, was dies für seine Sprachphilosophie und das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit austrägt. Leiss ordnet Aristoteles dem reflektierten Realismus und den nichtsäkularisierten Erkenntnistheorien zu. Damit wird das aristotelische Denken in einen Gegensatz zu dem der Anti-Realisten gestellt, das die Welt nur innerhalb des menschlichen Denkens existieren lässt.46 Der reflektierte Realismus unterscheidet sich vom naiven darin, dass die Welt nicht nur so wahrgenommen und erkannt wird, wie sie ist,47 sondern dass eine Strukturähnlichkeit zwischen Denken, Sprechen und Wirklichkeit angenommen wird, da in allen drei Komponenten derselbe λόγος wirkt.48 Durch diesen Zusammenhang wird ersichtlich, dass auch die Sprache die Weltwirklichkeit so repräsentieren kann, wie sie ist,49 denn Sätze sind in derselben Weise wahr wie die Dinge.50 Sprache bildet Wirklichkeit ab und zwar dezidiert in einem Abbildverhältnis. Der Mensch kann die Welt über die Abbilder erkennen.51 Auch die Veränderung der Wirklichkeit kann durch die Sprache abgebildet werden, weil der Satz es erlaubt, die Relation zwischen Subjekt und Verb zu verändern.52 Damit vertritt Aristoteles eine strukturelle Identität von Denken und Wirklichkeit. Die Seele bzw. den Geist versteht Aristoteles als Ort der gedachten Formen.53 Der Geist erfährt „eine Erkenntnis der realen Struktur der Dinge“54, indem er die gedachten Formen aufnimmt, ohne zugleich die Materie dieser Objekte selbst wahrzunehmen.55

      Zusammenfassung:

      Aristoteles versteht sprachliche Äußerungen als σύμβολον. Sie sind Symbole für die Erleidnisse der Seele. Damit wird die wichtigste sprachphilosophische Neuerung eingeleitet, die der Unterscheidung des sprachlichen Zeichens in Inhalts- und Ausdrucksseite, πάθημα und φωνή. Durch sie gerät auch die Frage, worin sich die Richtigkeit der Namen begründet, aus dem aristotelischen Fokus. Aristoteles versucht nicht mehr, eine Ähnlichkeit zwischen Objekt und Ausdrucksseite des sprachlichen Zeichens herzustellen, sondern beschäftigt sich zum einen mit dem Verhältnis von Inhalts- und Ausdrucksseite und zum anderen mit dem Verhältnis von der Gesamtheit des sprachlichen Zeichens und dem Objekt. Damit wird der Streit zwischen der φύσει- und der θέσει-Theorie beigelegt, weil er mit der Unterscheidung des sprachlichen Zeichens in die Inhalts- und Ausdrucksseite bereits eine Korrektur in der Streitfrage erfährt. Aristoteles wird mit der Unterscheidung von Inhalts- und Ausdrucksseite eines sprachlichen Zeichens zum Begründer des semiotischen Dreiecks.

      Mit der Feststellung, dass Laute σημαντικός sind, führt Aristoteles zugleich weiteres sprachphilosophisches Vokabular ein, das erhalten bleiben wird. Die Bedeutung wird zum wesentlichen Merkmal der ὀνόματα und meint die Repräsentation der Gegenstände im Wort. Ihre Bedeutung und Legitimation erhalten menschliche Laute κατὰ συνθήκην, sie liegt nicht in der Natur der menschlichen Sprache, sondern ist aus der historischen Überlieferung übernommen. Auch jeder λόγος hat Bedeutung, ist aber nicht zugleich ἀποφαντικός (erhellend). Das Interesse des Aristoteles gilt der Frage, ob und wann der λόγος als wahr oder falsch bestimmt werden kann. Ein Wahrheits- oder Falschheitsgehalt kann letztlich nur Sätzen zugesprochen werden, die aus ὀνόματα und ῥήματα bestehen. Aristoteles nennt solche Sätze λόγος ἀποφαντικός. So wird die Tendenz, die sich bei Platon abzeichnet, dass nicht einzelne Wörter, sondern erst Sätze als ἀληθές oder ψεῦδος bestimmt werden können, verstärkt.

      Sein, Sprechen und Denken gehören für Aristoteles eng zusammen. Das Sein der Dinge wird durch den λόγος offenbart. Die drei Komponenten sind nicht identisch, aber sie weisen eine Strukturähnlichkeit auf. Die größte Bedeutung kommt dabei dem λόγος ἀποφαντικός für die seinserschließende Funktion zu.56 Die Sprache wird insgesamt aber abgewertet, denn ihr wird „keine erkenntniskonstitutive, welterschließende und wahrheitsrelevante Rolle [mehr] zugesprochen“57.

      6. Die Stoa

      Die Überlegungen zur Sprachphilosophie der Stoa sind in folgende Einzelschritte zu unterteilen:1 (1) Die Entwicklung der Sprachphilosophie zum zentralen Gegenstand der Philosophie und die zentralen Inhalte der stoischen Sprachphilosophie. (2) Die Ausdrucksseite des sprachlichen Zeichens, die φωνή, und (3) die Behandlung der Inhaltsseite des sprachlichen Zeichens, das λέκτον.

      (1) Der Beginn der Stoa ist um 300 v. Chr. anzusetzen.2 Die Stoiker, deren Schule von Zenon aus Kition begründet wurde, haben die Sprachphilosophie zum Hauptgegenstand der Philosophie gemacht. Während in der vorangegangenen Entwicklung, vom Krat. Platons abgesehen, keine dezidiert sprachphilosophischen Werke entstanden sind, widmen sich die Stoiker der Sprache als eigenem philosophischem Gegenstand. Nach Pohlenz entsteht die Notwendigkeit, sich mit Sprache zu beschäftigen, dort, „wo man Anlaß hatte, die eigene Sprache an einer anderen zu messen, sei es an einer älteren Sprachstufe des eigenen Volkes, in der die heiligen Schriften abgefaßt waren, sei es an der Sprache eines anderen Volkes“3. Pohlenz zufolge war eine Mehrheit der Stoiker gezwungen, ihre Gedanken in einer von ihrer semitischen Muttersprache abweichenden Sprache, dem Griechischen, zu formulieren. Er sieht in den Unterschieden dieser beiden Sprachen, mit denen sich viele Stoiker auseinandergesetzt haben, einen Grund, weshalb in der Stoa eine dezidierte Sprachphilosophie entstanden ist.4 Hülser widerspricht dieser These, da die große Nachwirkung der stoischen Sprachphilosophie damit nicht ausreichend erklärt werden kann. Weiterhin ist mindestens von Zenon bekannt, dass er Hellenist sein wollte und dass er seine semitische Muttersprache vernachlässigte.5 Angeregt zu sprachphilosophischem Denken wurden die Stoiker vielmehr durch die dialektische Schule um Diodoros Kronos (ca. 350–284 v. Chr.),6 die sich mit derartigen Fragen bereits beschäftigte und die Sprache als Bestandteil der Logik etabliert hatte.7 Neben Ethik und Physik ist die Logik der dritte Teilbereich der Philosophie.8 Sie selbst wird in Dialektik und Rhetorik unterteilt. Gelegentlich wird als weiterer Sektor die Erkenntnistheorie angeführt, die stark mit der Dialektik verbunden ist.9

      Das zentrale Element der stoischen Sprachphilosophie bleibt der seit Heraklit im Fokus stehende λόγος-Begriff.10 Der λόγος ist in der stoischen Lehre sowohl auf Gott als auch auf den Menschen bezogen. Er wird zum einen als der Urgrund alles Seienden bestimmt.11 Zum anderen gibt der λόγος-Begriff Auskunft über das Wesen der Menschen, das mit den Begriffen des λόγος ἐνδιάθετος und des λόγος προφορικός beschrieben werden kann.12 Λόγος ἐνδιάθετος bezeichnet den gedachten Gehalt,