Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses. Nadine Treu. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nadine Treu
Издательство: Bookwire
Серия: NET – Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000119
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auf die παθήματα τῆς ψυχῆς. Diese sind allen Menschen gleich und haben als Abbilder der Dinge einen Bezug zu den Dingen selbst.13 Mit Hilfe der Wahrnehmung wird von den Dingen ein Bild erzeugt, das über ein sprachliches Zeichen ausgedrückt wird.14 Wie ein Wachsabdruck, den man von einem Ring nimmt, dessen Abbild zeigt, aber nicht das Objekt selbst enthält, so ist das Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Gegenstand zu erklären.15 Aristoteles wird zum Begründer des sog. semiotischen Dreiecks, das v.a. für die Sprachwissenschaft des 20. Jh. bedeutend wird, indem er das sprachliche Zeichen (ὄνομα) in Signifikant/Ausdruck (φωνή) und Signifikat/Inhalt (πάθημα) unterteilt.16 Er betrachtet nicht die Relation zwischen φωνή und Sache (in der Grafik gestrichelt markiert), sondern zum einen diejenige zwischen φωνή und πάθημα, zum anderen diejenige zwischen Gegenstand und ὄνομα (bestehend aus Laut und Inhalt/Bedeutung).17 Die folgende Grafik kann diese Verhältnisse verdeutlichen:

      Das Verständnis des sprachlichen Zeichens bei Aristoteles

      Wenn Aristoteles annähme, dass zwischen Laut und Gegenstand kein direkter Bezug besteht, wäre auch der φύσει-θέσει-Streit beigelegt. In der Forschung wird dies kontrovers diskutiert. Leiss stellt dar, dass Aristoteles ein Anhänger der φύσει-These ist. Sie verweist jedoch darauf, dass er in der Forschung häufig der These zugeordnet wurde, nach der die Sprache durch Konvention ihre Legitimation erhält.18 Nach Hennigfeld zeigt sich bei Aristoteles eine Tendenz zur θέσει-These, auch wenn sie in keiner Schrift explizit ausgesprochen wird.19 Coseriu bestreitet auch das, da Aristoteles nicht Wort und Ding in ein kausales Verhältnis bringt, indem ein Name ein Ding abbildet, sondern die Namen bilden die παθήματα τῆς ψυχῆς ab.20 Es wird noch deutlich werden, dass Aristoteles nicht auf die Beantwortung dieser Streitfrage abzielt, sondern bereits die Fragestellung in ihrer Ausgangsform reguliert.

      (2) Was bereits anklang, nämlich dass Aristoteles gegenüber den Vorsokratikern und Platon ein anderes Verständnis von ὄνομα hat, muss weiter ausgeführt werden:

      Ὄνομα μὲν οὖν ἐςὶ φωνὴ σημαντικὴ κατὰ συνθήκην (…). τὸ δὲ κατὰ συνθήκην, ὅτι φύσει τῶν ὀνομάτων οὐδέν ἐςιν, ἀλλ’ ὅταν γένηται σύμβολον, ἐπεὶ δηλοῦσί γέ τι καὶ οἱ ἀγράμματοι ψόφοι, οἷον θηρίων, ὧν οὐδέν ἐςιν ὄνομα. (Herm. 16a 19 und 26–29)

      Ein Nennwort [ὄνομα] ist nun eine gemäß einer Übereinkunft etwas bedeutende stimmliche Äußerung (…). Die Bestimmung ‚gemäß einer Übereinkunft’ (füge ich deshalb hinzu), weil von den Nennwörtern keines von Natur aus (ein Nennwort) ist, sondern (ein jedes) erst dann, wenn es zu einem Symbol geworden ist; denn auch solche nicht buchstabierbaren Laute wie beispielsweise die Laute der wilden Tiere geben ja etwas kund, ohne daß einer von ihnen (deshalb schon) ein Nennwort wäre. (Herm. 16a 19 und 26–29)

      Die Bedeutung eines Lautes wird zum wesentlichen Merkmal des aristotelischen ὄνομα. Ὀνόματα repräsentieren Gegenstände, sind aber nicht mit dem Ding identisch. Aristoteles versteht unter Bedeutung diese Repräsentation der Gegenstände im Wort.21 Er benutzt die Wendung κατὰ συνθήκην, um den Begriff ὄνομα weiter zu erklären. Diese erinnert an bereits bekannte Begriffe (συνθήκῃ/νόμῳ) und es entsteht der Eindruck, dass hier erneut die Streitfrage, ob die Namen ihre Legitimation von Natur aus oder durch Übereinkunft erhalten haben, angesprochen wird, wenn Aristoteles φύσει und κατὰ συνθήκην gegenüberstellt.22 Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass Aristoteles Vokabular benutzt, das auch Platon im Krat. verwendet, um die These des Hermogenes darzustellen, dass die Richtigkeit der Namen nicht von Natur aus besteht, sondern auf Übereinkunft beruht.23 Deshalb wurde häufig aus dieser Textpassage abgeleitet, dass Aristoteles sich für die Legitimation der Sprache durch Konvention ausspricht.24 Tatsächlich befasst sich Aristoteles hier aber weder mit der Frage nach dem Ursprung der Sprache oder der Richtigkeit der Namen noch will er den bekannten Gegensatz zwischen φύσει und θέσει aufnehmen. Das zeigt sich zum einen daran, dass Aristoteles den φύσει-Begriff in einem anderen Verständnis verwendet, als dies im herkömmlichen Streit der Fall war.25 Er spricht nämlich in diesem Zusammenhang nicht von der φύσις der Dinge, sondern von der φύσις der Laute: „Aristoteles will sagen, daß kein Laut allein ‚seiner Natur nach’ ein Name ist, von der Natur der Dinge redet er nicht.“26 Zum anderen steht φύσει keiner der traditionellen Begriffe wie νόμῳ, ὁμολογίᾳ, συνθήκῃ oder θέσει gegenüber. Aristoteles verwendet mit κατὰ συνθήκην eine neue Formulierung, die auch etwas Neues zum Ausdruck bringen will. Die Wendung bestimmt das Verhältnis zwischen dem gesamten sprachlichen Zeichen (Ausdrucks- und Inhaltsseite) und dem Gegenstand als κατὰ συνθήκην und kann mit ‚gemäß einer Übereinkunft’ wiedergegeben werden.27 Die Formulierung ist nach Coseriu im Sinn von „nach alter Gewohnheit“28 zu verstehen. Es zeigt, dass aus einem sprachlichen Laut ein Wort mit Bedeutung wird. Wörter haben also nicht συνθήκῃ (durch Übereinkunft), sondern κατὰ συνθήκην (gemäß Übereinkunft) eine Symbolfunktion. Im Gegensatz zu den tierischen Lauten kommt den Wörtern der Menschen nicht von Natur aus eine Bedeutung zu.29 Über ihre Symbolfunktion und ihre Bedeutung herrscht dennoch seit langer Zeit Klarheit.30 So kann das aristotelische κατὰ συνθήκην verdeutlichen, dass die Dinge „aufgrund der historischen Überlieferung ihre Namen haben“31.

      Die oben zitierte Stelle aus Herm. erklärt auch den Unterschied zwischen artikulierten und unartikulierten Lauten. Artikulierte Laute haben nach Aristoteles Bedeutung, im Gegensatz zu unartikulierten Lauten. Als solche sind Tierlaute oder menschliche Laute, die unmittelbar etwas offenbaren, wie beispielsweise Schmerz, zu verstehen. Solche Laute erhalten ihre Begründung von Natur aus (φύσει).32 Aristoteles stellt heraus, dass auch Tiere durch die Stimme artikulierte Laute produzieren, dadurch wird deutlich, dass Laute keine dem Menschen anhaftende Eigenheit sind. Der Unterschied zu den tierischen Lauten liegt darin, dass Tiere sich ausschließlich auf einer affektiven Ebene verständigen, die Menschen hingegen artikulieren Inhalte des λόγος.33 Deshalb sind Laute auf der affektiven Ebene nicht als ὀνόματα zu bezeichnen, da sie unmittelbar etwas zum Ausdruck bringen und nicht wie die Symbole erst durch die παθήματα τῆς ψυχῆς auf die Dinge verweisen.34

      (3) Es findet sich neben den Relationen zwischen φωνή und πάθημα sowie den beiden Seiten des sprachlichen Zeichens und dem Gegenstand bei Aristoteles eine dritte Relation. Sie besteht zwischen Subjekt, das das sprachliche Zeichen und den Gegenstand beinhaltet, und Prädikat.35 Die beiden zuerst genannten Verhältnisse haben gemeinsam, dass sie nach aristotelischer Ansicht nicht auf die Kategorien ‚wahr’ oder ‚falsch’ hin beurteilt werden können. Dieser Sachverhalt ist es jedoch, worauf die dritte Verhältnisbestimmung abzielt. Ihr liegt die Annahme zu Grunde, dass der λόγος im Allgemeinen wie folgt bestimmt ist:

      Λόγος δέ ἐςι φωνὴ σημαντικὴ κατὰ συνθήκην, ἧς τῶν μερῶν τι σημαντικόν ἐις κεχωρισμένον, ὡς φάσις, ἀλλ’ οὐχ ὡς κατάφασις ἢ ἀπόφασις. (Herm. 16b 26–28)

      Ein Wortgefüge [Der Logos, Anm.] ist eine etwas bedeutende stimmliche Äußerung, von deren Teilen (mindestens) einer eigenständig etwas bedeutet, und zwar als ein Ausdruck, der etwas sagt, nicht als einer, der etwas aussagt. (Herm. 16b 26–28)

      Auch wenn jede Rede σημαντικός ist, kann nicht zugleich über ihren Wahrheits- oder Falschheitsgehalt geurteilt werden. Einzelne Wörter können, wie dies auch bei Platon deutlich wurde, nicht als wahr oder falsch bestimmt werden. Sie sagen nichts über die Existenz dieses Dinges aus. Der