Das Bezeichnete definieren die Stoiker als unkörperlich, im Gegensatz zum eigentlichen Objekt und dem Bezeichnendem. Umberto Eco fasst prägnant zusammen, wie das λέκτον im stoischen Sinn zu fassen ist:
Bei den Stoikern ist der Inhalt keine Empfindung der Seele, kein geistiges Bild, keine Wahrnehmung, kein Gedanke oder keine Idee mehr, wie er es bei ihren Vorgängern war. Er ist weder eine Idee im platonischen Sinne, denn die Stoiker haben eine materialistische Metaphysik, noch eine Idee im psychologischen Sinne, da selbst in diesem Fall der Inhalt ein Körper wäre, eine physische Tatsache, eine Veränderung der Seele (die ebenfalls ein Körper ist), ein Siegel, das dem Geist aufgedrückt wird. Stattdessen schlagen die Stoiker vor, daß der Inhalt etwas Unkörperliches sei.45
Das λέκτον ist an den λόγος gekoppelt und zwar an den λόγος in seinem zweifachen Verständnis; d.h. unter λέκτον ist die Vorstellung zu sehen, die vom Denken erfasst wird und die zugleich an die sprachlichen Äußerung gebunden ist.46 Der Aspekt der Vorstellung wird in der stoischen Lehre durch die Komponente der φαντασία verdeutlicht:
λεκτὸν δὲ ὑπάρχειν φασὶ τὸ κατὰ λογικὴν φαντασίαν ὑφιστάμενον· λογικὴν δὲ εἶναι φαντασίαν καθ’ ἣν τὸ φαντασθὲν ἔστι λόγῳ παραστῆσαι. (S. Emp., Adv. Math. VIII,70; SVF II,187)
Sie (die Stoiker) sagen, daß ein ›Sagbares‹ (Lekton) dasjenige ist, was in Übereinstimmung mit einer vernünftigen Vorstellung subsistiert; und eine vernünftige Vorstellung ist diejenige, in der es möglich ist, den Inhalt der Vorstellung sprachlich zu präsentieren. (S. Emp., Adv. Math. VIII,70; Long/Sedley, 33C)
Mit der φαντασία wird ein Element eingeführt, das den Unterschied zur aristotelischen Sprachphilosophie zeigt und deutlich macht, dass das λέκτον aus einer rationalen Vorstellung entspringt. Eine solche liegt dann vor, wenn die φαντασία in einer sprachlichen Äußerung wiedergegeben werden kann bzw. wird. Das λέκτον ist dabei nicht mit der Vorstellung gleichzusetzen, da diese auch entstehen kann, ohne dass es zu einer sprachlichen Äußerung kommt.47 „Das lektón ‚existiert’ gleichsam zwischen dem Gedanken (…) und der Sache selbst.“48 Deshalb ist es mit ‚Gesagtem’ oder ‚Sagbarem’ zu übersetzen. Es ist als Mittlerelement zwischen dem Objekt und dem Gedanken zu sehen und dabei nicht an eine bestimmte Lautgestalt gebunden, aber an die Sprache im Allgemeinen.49 Mit dem Begriff λέκτον bringen die Stoiker das zum Ausdruck, was wir heute mit dem Terminus Bedeutung bezeichnen.50 An dieser Stelle sei angemerkt, dass es auch nach stoischer Lehre Laute gibt, die keine Bedeutung haben. Laute können also σημαντικός sein oder nicht. Ist letzteres der Fall, so handelt es sich um unsinnige Wörter wie beispielsweise βλίτυρι.51
Unvollständige λεκτά sind die Bezeichnung für die Flexionslehre, hierzu gehören Subjekt und Verb. Ein vollständiges λέκτον liegt vor, wenn „abgerundete Sinneinheiten“52 vorhanden sind, wie dies für Aussagesätze, Entscheidungsfragen oder Aufforderungen der Fall ist.53 Auch wenn die Stoiker den verschiedenen Satzarten großes Interesse beimessen, liegt ihr Fokus doch auf dem Aussagesatz.54
Der Begriff λέκτον, seine exakte Bestimmung und seine Bedeutung für die stoische und die nachfolgende Sprachphilosophie ist umstritten. Die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten und Gewichtungen des Begriffs können an dieser Stelle nicht im Einzelnen wiedergegeben werden.55 Im Wesentlichen sind für die Wirkung der stoischen Sprachphilosophie und das Verständnis des Begriffs λέκτον in der Forschung zwei Positionen auszumachen, die anhand von Umberto Eco und Klaus Oehler gezeigt werden können.56 Eco spricht sich dafür aus, dass die stoische Sprachphilosophie eine bedeutende Rolle für die modernen sprachwissenschaftlichen Theorien hat:
Sie [die Stoiker] scheinen die Triade [des sprachlichen Zeichens] zu reproduzieren, die Platon und Aristoteles vorschlugen, aber sie überarbeiteten sie mit einer theoretischen Feinheit, die vielen von denen fehlt, die ein solches semantisches Dreieck heutzutage wiederentdeckt haben. (…) Die Stoiker [gehen] viel weiter als ihre Vorgänger und entdecken die provisorische und labile Natur der Zeichenfunktion (derselbe Inhalt kann mit einem Ausdruck aus einer anderen Sprache ein Wort bilden).57
Problematisch an dieser Sichtweise ist, dass in den stoischen Fragmenten das gefunden werden kann, was man in ihnen zu finden gewillt ist.58 Oehler vertritt die zweite Position und schätzt die Wirkung der stoischen Lehre für die moderne Sprachwissenschaft als gering ein. Seiner Einsicht nach zeigt die Sprachphilosophie der Stoa gegenüber der platonischen und aristotelischen keinen wesentlichen Unterschied:
Dasselbe Schema findet sich schon bei Platon und Aristoteles. Es ist die ontologische Dreiteilung von πρᾶγμα (εἶδος), νόημα und ὄνομα. Das stoische λέκτον ist also gleichbedeutend mit dem νόημα (…). [D]as sind drei Elemente in der stoischen Logik, die auch schon bei Platon und Aristoteles begrifflich fixiert sind. Es kann also auch nicht die Rede davon sein, daß diese Betrachtungsweise (…) bei Aristoteles ‚vorbereitet’ wird: [S]ie ist bei Platon und Aristoteles schon längst da (…).59
Unter Umständen kann man mit Hennigfeld schlussfolgern:
Es liegt nahe, die Wahrheit in der Mitte zu suchen: Die Stoiker antizipieren zwar nicht moderne Sprach- und Satztheorien; sie gehen jedoch über Aristoteles (und Platon) hinaus, was sich zumindest an der Terminologie belegen läßt. Damit ist allerdings nicht viel gewonnen.60
Nicht viel gewonnen deshalb, weil das Verständnis des λέκτον für die Stoa letztlich nur unbefriedigend bestimmt werden kann. Die eindeutigen Aussagen über λέκτον müssen begrenzt bleiben, weil der Begriff innerhalb der Stoa vielfältig verwendet wird.
Zusammenfassung:
Die Stoa macht die Sprachphilosophie zum zentralen Untersuchungsgegenstand der Philosophie. Wichtigster Ansatzpunkt ist die von Aristoteles vorgenommene Unterscheidung des sprachlichen Zeichens in eine Ausdrucks- und Inhaltsseite. Sie wird von der Stoa aufgenommen und konkretisiert. Die φωνή als Ausdrucksseite wird zum Bezeichnenden, wenn mit ihrer Hilfe ein Laut erzeugt wird. Die Laute können unartikuliert oder artikuliert sein und werden für körperlich erklärt. Die artikulierten Laute sind die Laute des Menschen, die eng an den λόγος gebunden sind. Neben der Bestimmung des Wesens der Sprache gehört der Aufbau der Sprache zu der Ausdrucksseite des sprachlichen Zeichens. Hier folgen die Stoiker den ihnen bereits bekannten Einteilungen in Buchstaben, Silben, Wörter, Sätze und Texte. Was die Wortarten betrifft, so fügt Antipater von Tarsos (200–129 v. Chr.) das Adverb hinzu, Chrysipp (276–204 v. Chr.) teilt das Substantiv in Eigennamen und Appellative.
Während bei Aristoteles drei Komponenten der Sprache unterschieden werden, die Dinge (πρᾶγμα), die Eindrücke in der Seele hinterlassen (παθήματα τῆς ψυχῆς) und das Wort (ὄνομα), kommt bei den Stoikern das λέκτον als viertes Element hinzu. Die aristotelischen παθήματα τῆς ψυχῆς zerfallen in eine „‚psychische’ und eine ‚ideelle’ Komponente“61. Das λέκτον zeigt uns das reale Ding an, wenn wir das im Lautbild dargestellte Objekt gleichzeitig denken. Damit wird aber auch deutlich, dass es unkörperlich sein muss, im Gegensatz zur Stimme und dem Objekt selbst.62 Der Laut weist auf das λέκτον hin, welches wir jedoch erst verstehen können, wenn in unserem Denken (λόγος) der Bezug zum konkreten Objekt hergestellt wird. Das λέκτον ist folglich eng an den λόγος gebunden. Es existiert zwischen dem Gedanken und der Sache, ist aber anders als die platonische Idee direkt an die sprachliche Äußerung gekoppelt. Durch die Trennung von Ausdrucksseite und Bedeutung und die differenzierte Ausgestaltung letzterer erfährt die Sprache eine Abwertung. Da eine stimmliche Äußerung nicht mehr direkt auf das Objekt verweist, sondern auf das abstrakte