Distinktion durch Sprache?. Martina Zimmermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Zimmermann
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823300342
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als für die Zukunft geeignete „Subjekte“ konstruiert.

      Die nachfolgenden Leitfragen wollen jene mit der Mobilität verbundenen Handlungen erhellen, welche vor dem Mobilwerden und in der Mobilitätssituation vollzogen werden. Sie setzen es sich also zum Ziel, die Mobilität von ihrem Ursprung her – also ausgehend vom anfänglichen Wunsch nach Mobilität bzw. von der Entstehung desselben – und die damit verbundenen Interessen zu ergründen.

      Auf die Formulierungen der Leitfragen folgen jeweils kurze Erläuterungen.

      I. Unter welchen Bedingungen wird Mobilität für wen möglich und erstrebenswert? Wer wirbt wie für sie, und inwiefern spielt Sprache dabei eine Rolle?

      Diese Frage schliesst insofern an die historischen Ausführungen an, als sie darauf abzielt, den dominierenden Machtapparat und dessen Logik anhand von Praktiken zu ergründen, die im Zusammenhang mit der akademischen Mobilität stehen. Die Universität dient diesem Apparat und hebt hervor, welche Mobilität ausführbar und erstrebenswert ist. Es gilt, Promotionsdiskurse und -praktiken, die von im heutigen schweizerischen Hochschulsystem involvierten Institutionen produziert werden, im Zusammenhang mit der studentischen Mobilität zu verstehen und zu ergründen, welche Rolle die Sprache dabei spielt. Im Besonderen fokussiere ich mich auf Diskurse und Praktiken, welche deutschschweizerische Institutionen/Akteure an die Tessiner Studierendenpopulation richten.

      II. Wie konstruieren (welche) Studierende ihre Mobilität, und wie wird Sprache zum Argument, ihre Entscheidung zu legitimieren?

      Die Mobilität und deren Legitimation sollen ergründet werden, und zwar sowohl in dem Falle, wo zukünftige Studierende über ihre Entscheidung, mobil zu werden, nachdenken, als auch in demjenigen, wo die Entscheidung für Mobilität bereits gefallen ist. Es geht darum, Diskurse und Praktiken von Tessiner MaturandInnen und mobil gewordener Studierender zu verstehen. Es soll untersucht werden, wie TessinerInnen, die sich für ein Studium an einer deutschschweizerischen Universität entschieden haben, ihre Mobilität begründen (gerade im Zusammenhang mit der Veränderung der schweizerischen Hochschullandschaft seit der Gründung der USI). Mithilfe dieser Frage gelingt es, zu begreifen, welche wirtschaftspolitischen Interessen sich wie auf individuelle Praktiken auswirken und inwiefern (welche) Sprachen diesen Interessen dienen. Die Frage geht also über eine individuelle „Begründung“ der Mobilitätswahl hinaus. Sie soll zur Klärung beitragen, wie sich der Machtapparat im universitären Bereich reproduziert, die dortigen Praktiken beeinflusst und individuelle legitimierende Diskurse und Praktiken prägt.

      III. Wie kommen Studierende mit der Mobilitätsituation in der anderssprachigen Region zurecht?

      Wenn Tessiner Studierende mobil geworden sind und möglicherweise den Wunsch haben, zusätzliche Sprachkompetenzen zu erwerben, stellt sich die Frage, wie sie in ihrer neuen Umgebung zurechtkommen. Setzen die Universitäten die in Promotionsdiskursen versprochenen Hilfestellungen für Studierende mit anderssprachigem Hintergrund um? Und kommen die Studierenden ihren eigenen Vorsätzen nach? Mit welchen Herausforderungen sehen sich die Studierenden konfrontiert? Wie begegnen sie diesen? Unter welchen Bedingungen und aus welchen Gründen beziehen sie sich in ihrer Mobilität auf ihre Herkunftsregion? Solche Fragen sind in der dritten Leitfrage enthalten und sollen dazu beitragen, zu verstehen, welche diskursiven und sozialen Praktiken sich im Studierendenalltag abspielen und inwiefern sich darin sprachideologische und politisch-ökonomische Dimensionen spiegeln.

      Die Leitfragen verlangen sowohl nach gewissen Daten zur Beantwortung derselben als auch nach einer gewissen Methode, diese Daten zu generieren. Darüber hinaus bedingen die Fragen – mit dem mehrfach darin enthaltenen Fragewort „wie“ zielen sie darauf ab, den Stellenwert von Sprachen im Zusammenhang mit der studentischen Mobilität über Schweizer Sprachregionen hinweg zu verstehen – auch eine gewisse Art und Weise, die Daten zu analysieren. Im Folgenden soll kurz beschrieben werden, welche Daten dazu zählen, mit welcher Methode sie erhoben worden sind und wie diese analysiert werden. Das methodologische Kapitel nimmt sich dieses Vorhabens im Detail an.

      Die Leitfragen bedürfen einer qualitativen Herangehensweise. Ein ethnographisches Vorgehen bietet sich an. Ethnographische Feldforschung beinhaltet das Erfahren und das Erleben der/des Forschenden, die sie/ihn zu einem Teil des Forschungsfeldes machen. Es gelingt so, die Perspektiven der unterschiedlichen Akteure wie auch deren Sprachpraktiken zu berücksichtigen. Die Entscheidung, auf diese Weise vorzugehen, hängt damit zusammen, dass diese Methode es erlaubt, dem Untersuchungsgegenstand in seiner Komplexität Rechnung zu tragen (Giddens 1984). Eigentlich der Anthropologie entsprungen, ist die sprachliche Ethnographie tief und unablösbar im sozialen Leben situiert und bietet eine spezifische ontologische und epistemologische Ausrichtung (Hymes 1964; Mason 2002). Das ethnographische Arbeiten ermöglicht es, zu sehen, wie Sprachpraktiken mit den realen Lebensbedingungen von Menschen verbunden sind, zu verstehen, wie und warum Sprache für Menschen aus ihrer Sicht wichtig ist, und zu sehen, wie sich Prozesse mit der Zeit entwickeln (Heller 2008: 250). Sprachliche Einzelhandlungen werden als Index von Mustern und Entwicklungen angesehen, welche über die Einzelhandlung hinaus relevant sind. Diese weiterführende Dimension ist Teil der ethnographischen Interpretation (Fabian 1995).

      Mit dem Ziel, die studentische Mobilität und die Rolle der Sprache in der Hochschulbildung im Schweizer Kontext zu verstehen, habe ich zum einen in der Rolle der Ethnographin physisch (und gedanklich, nachdenklich, beobachtend und mithandelnd) zwischen 2011 und 2014 an ausgewählten Lebenswelten teilgenommen. Dabei habe ich mich auf die vom italienischsprachigen Tessin auf die Deutschschweiz gerichtete Mobilität konzentriert.

      Die im Rahmen meiner ethnographischen Feldforschung erhobenen Daten lassen sich den drei Leitfragen zuordnen:

      Im Zusammenhang mit meinem Vorhaben (Frage I), die studentische intra-nationale Mobilität als sozio-ökonomisches Phänomen zu verstehen und dabei zu begreifen, wer wie für sie wirbt und inwiefern Sprache dabei eine Rolle spielt, habe ich an Informationstagen für zukünftige Studierende an verschiedenen Universitäten (Bern, Luzern und Zürich [ETH und Universität], USI) beobachtend teilgenommen, war an Präsentationen verschiedener Studienfächer, habe vor Ort mit Leuten (zukünftigen Studierenden, VertreterInnen der verschiedenen Universitäten, OrganisatorInnen) gesprochen und dabei etliche institutionelle Dokumente (Flyer, Einladungen, Informationen für Maturan­dInnen, etc.) gesammelt. Auch haben Gespräche mit den in diesen Bildungsinstitutionen für die Marketingbroschüren und -konzepte Verantwortlichen stattgefunden. Zusätzlich stehen mir die gesetzlichen Grundlagen (z.B. das Schweizer Hochschulförderungsgesetz) zur Verfügung, welche die Mobilität ermöglichen und den Rahmen für die damit verbundene Propaganda bilden.

      Um der Frage II nachzugehen, wie (welche) Studierende ihre Mobilität konstruieren und wie dabei Sprache mitspielt, habe ich mithilfe der Immatrikulationsstellen der Universitäten Bern, Fribourg, Zürich (ETH und Universität) und Luzern StudienanfängerInnen aus dem Tessin kontaktiert. Mit elf mobil gewordenen Studierenden, die im Kanton Tessin ihre Maturität gemacht hatten, führte ich narrative Interviews durch, welche aufgezeichnet und teilweise transkribiert wurden. Weiter sprach ich an Informationstagen mit zukünftigen Studierenden über die ihnen bevorstehende Entscheidung für/gegen Mobilität.

      Um zu ergründen (Leitfrage III), wie Studierende mit ihrer Mobilitätsituation in ihrer anderssprachigen Aufnahmeregion zurechtkommen und wie sie ihre mit ihrer Herkunftsregion bzw. -kultur zusammenhängenden Praktiken begründen, habe ich während eines akademischen Jahres (2011–2012) in einer italienischsprachigen Studierendenorganisation in Bern teilnehmend beobachtet. Ich war an zahlreichen verschiedenen Events/institutionellen bzw. individuellen Treffen (Apéros, Eishockey-Match, Zugfahrten, Sitzungen, Generalversammlung, Stammtischtreffen etc.), und machte danach jeweils Feldnotizen. Damit verbunden war das Sammeln von institutionellen Dokumenten (Flyers, Statuten, Einladungen …), auf die Verseinaktivität bezogener Korrespondenz (Newsletter des Vereins, Jobaustausch …) und Fotos, die von der Studierendenorganisation auf deren Website veröffentlicht worden waren.

      Diese ethnographisch erhobenen Daten analysiere ich, indem ich mich auf Prämissen aus der kritischen Soziolinguistik berufe (Hymes 1964; Boutet & Heller 2007) wie auch an Begründer der kritischen Ethnographie anlehne (Bourdieu 2000 [1972]; Emerson et al. 1995, 2001; Bhatia et al. 2008; Gobo 2008).

      Dabei