Standardsprache zwischen Norm und Praxis. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000249
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Sprache. Berlin, New York: de Gruyter, 23–41.

      Schneider, Jan Georg (2013): Sprachliche ‚Fehler‘ aus sprachwissenschaftlicher Sicht. In: Sprachreport 1–2/2013, 30–37.

      Studler, Rebekka (2013): Einstellungen zu Standarddeutsch und Dialekt in der Deutschschweiz. Erste Ergebnisse einer Fragebogenstudie. In: Hettler, Yvonne et al. (Hrsg.): Variation, Wandel, Wissen. Studien zum Hochdeutschen und Niederdeutschen. Frankfurt am Main etc.: Lang, 203–222.

      Trudgill, Peter & Jean Hannah (2008): International English. A guide to the varieties of standard English. London: Hodder Education.

      Wahrig (2006): Deutsches Wörterbuch. Hrsg. vom Bertelsmann-Lexikon-Institut. Gütersloh: Wissen Media Verlag.

      Wardhaugh, Ronald (1987): Languages in Competition. Dominance, Diversity, and Decline. Oxford: Basil Blackwell.

      Die Begrenztheit plurizentrischer Grenzen: Grammatische Variation in der pluriarealen Sprache Deutsch1

      Konstantin Niehaus

      1 Einführung

      2 Plurizentrisch oder pluriareal?

      3 Empirische Zugänge zur Pluriarealität – das Projekt ‚Variantengrammatik des Standarddeutschen‘

      4 Grammatische Fallbeispiele

      5 Sprachdidaktische Bedeutung der Pluriarealität

      6 Fazit und Ausblick

      7 Literatur

      1. Einführung

      Der folgende Beitrag stellt das A-CH-Projekt ‚Variantengrammatik des Standarddeutschen‘1 vor, präsentiert einige seiner Ergebnisse und diskutiert die Frage, welche Bedeutung den gewonnenen Erkenntnissen in der Sprachdidaktik in Zukunft zukommen kann.

      Die bisherige Forschung zur arealen Variation innerhalb des Standarddeutschen konzentriert sich ganz wesentlich auf die linguistischen Ebenen des Wortschatzes (vgl. ‚Variantenwörterbuch des Deutschen‘, Ammon et al. 2004 [im Folgenden: VWB]) und der Aussprache (‚Atlas zur Aussprache des Gebrauchsdeutschen‘, Kleiner 2011ff.). Die areale Variation in der standarddeutschen Grammatik hingegen ist bislang nicht systematisch untersucht worden, obwohl doch ausgerechnet die Grammatik grundlegend für die Konstitution sprachlicher ‚Systeme‘ – wie ich sie für areale Varietäten hier annehmen will2 – wäre. Zumindest aber sollte uns die grammatische Variabilität des Standarddeutschen etwas über die Stärke des Faktors Arealität für das Standarddeutsche, vielleicht sogar generell für die Sprache Deutsch, verraten. In Bezug auf das innere Varietätenspektrum des Deutschen würde eine Untersuchung der grammatischen Variation im Standarddeutschen Aufschluss darüber geben, ob denn tatsächlich die „neuhochdeutsche Standardsprache […] anders als die Dialekte kaum regionale syntaktische Variation“ (Fleischer & Schallert 2011: 29) zeigt – und in welchem quantitativen Rahmen sowie an welchen sprachgeografischen Unterschieden sich dies feststellen lässt. Und freilich wären aus einer etwaigen Arealität des Standarddeutschen auch sprachdidaktische Folgerungen für den Deutschunterricht zu ziehen, bedenkt man allein die national wie teilweise föderal geprägten Strukturen in den Bildungssystemen deutschsprachiger Länder. Alles in allem scheint es also dringend angeraten, die grammatische Variabilität im Standarddeutschen empirisch breit und systematisch zu erforschen. Ein erstes Ziel des folgenden Beitrags ist es, einen Einblick in die bisherige Erforschung dieser Variabilität durch das Projekt ‚Variantengrammatik des Standarddeutschen‘ zu geben. Hierzu werde ich einige grammatische Fallbeispiele präsentieren. Anhand dieser Beispiele soll illustriert werden, inwieweit das Standarddeutsche überhaupt über grammatische Variation verfügt und welche Bereiche der Grammatik überhaupt betroffen sind.

      Meine Darstellung verfolgt jedoch noch ein zweites Ziel: Das Projekt ‚Variantengrammatik‘ geht davon aus, dass es sich bei der deutschen Sprache nicht um eine plurizentrische, sondern vielmehr um eine pluriareale Sprache handelt. Obwohl das plurizentrische Modell heute in weiten Teilen der Germanistik als akzeptierte Lehrmeinung gelten kann, ist dieses mit einigen problematischen Grundannahmen behaftet. Demgegenüber bietet die pluriareale Sichtweise theoretische wie methodische Vorteile, die im Folgenden herausgestellt werden sollen.

      In einem abschließenden Punkt werde ich auch noch darauf eingehen, welche sprachdidaktischen (und sprachpolitischen) Vorteile ein pluriarealer Ansatz bietet. Dies ist das dritte und letzte Ziel des Beitrags.

      Zum Aufbau der folgenden Ausführungen: Ich werde mit einer knappen Darstellung der Diskussion um plurizentrische vs. pluriareale Forschungsmeinungen beginnen und dabei den Schwerpunkt bereits auf die erwähnten Vorteile des pluriarealen Modells legen. Hieran schließt sich eine genauere Darstellung des Projekts ‚Variantengrammatik des Standarddeutschen‘ an, das aufbauend auf ebenjenem pluriarealen Ansatz einige methodische Spezifika entwickelt hat. Diese gilt es darzustellen, um die dann folgenden Beispiele einordnen zu können: Einzelne grammatische Phänomene werden analysiert. Sie zeigen, dass grammatische Variation im Standarddeutschen in vielen Formen auftreten kann und durchaus nicht an nationalen Grenzen haltmacht. Überlegungen zu sprachdidaktischen Implikationen schließen diesen Teil ab. Diese Ausführungen werden mangels größerer sprachdidaktischer Forschungen eher knapp und vorläufig ausfallen müssen. Die Darstellung endet mit einem kleinen Fazit und einem Ausblick auf weitere Forschung.

      2. Plurizentrisch oder pluriareal?1

      Vor ca. drei Jahrzehnten löste sich die Sprachgermanistik allmählich von der Vorstellung eines mehr oder weniger einheitlichen ‚Binnendeutschen‘ und forcierte plurizentrische Darstellungen zum Standarddeutschen. Wegweisend waren dabei die Arbeiten von Clyne (1992) und besonders Ammon (1995), letztere ist denn auch eingegangen in die Konzeption des VWB und ist von Schmidlin (2011) und Kellermeier-Rehbein (2014) fortgeführt und erweitert worden. Das plurizentrische Modell teilt das Standarddeutsche bzw. den Gebrauch des Standarddeutschen nach Nationen ein, die Deutsch als Amtssprache führen, mit Deutschland, Österreich und der Schweiz als Vollzentren sowie Ostbelgien, Luxemburg, Liechtenstein und Südtirol als Halbzentren (vgl. Ammon 1995: 96). Die deutschen Standardvarietäten fungieren dabei als kodifizierte, amtlich und schulisch institutionalisierte ‚Dachsprachen‘ (vgl. Ammon 1995: 2–4). Variation innerhalb einer Nation wird dabei als nicht varietätenkonstitutiv angesehen, d.h. es gibt nach plurizentrischer Vorstellung z.B. keine ‚bayerische‘ Standardvarietät, sondern „einfache unspezifisch nationale“ oder „sehr unspezifisch nationale“ Varianten innerhalb einer deutschländischen/bundesdeutschen Standardvarietät – dies im Gegensatz zu absolut „spezifisch nationalen“, ausschließlich in einem Land auftretenden Varianten (vgl. hierzu Ammon 1995: 106–110). Theoretisch bedeutet das, dass Mehrheitsvarianten ausschlaggebend für die Nomenklatur und bedeutsamer für das Modell insgesamt sind als Minderheitsvarianten. Das plurizentrische Modell versucht schließlich auch, politisch ‚up-to-date‘ zu bleiben, indem zum einen die sprachgeschichtlich gewachsene Wichtigkeit nationaler Kommunikationsräume betont wird (vgl. von Polenz 1999: 125), zum anderen laut Plurizentrikern ehemalige politische Räume wie die DDR keine Grundlage für eine Varietät des Standarddeutschen (mehr) bilden können, ein Ausschluss, der mit politischen Argumenten (Übernahme der Zwei-Staaten-eine-Nation-Lehre der BRD, vgl. Ammon 1995: 386–389), nicht mit (sozio-)linguistischen begründet wird.

      Bereits ab den 1990er Jahren gab es starke Kritik am plurizentrischen Modell. Aus dieser Phase hervorzuheben sind dabei Wolf (1994), Scheuringer (1997), Koller (1999) und – in Reaktion auf Ammon (1995) und von Polenz (1999) – auch noch Reiffenstein (2001). Sie alle wandten sich auf der Basis der Lexik, die damals die bevorzugt beachtete linguistische Ebene war (auch in plurizentrischen Arbeiten), gegen eine rein nationale Gliederung des Deutschen: weil die Existenz des in vielen Fällen ‚grenzüberschreitenden‘ Wortschatzes der standardnahen Alltagssprache der postulierten nationalen Spezifik faktisch widerspreche, weil ein konkretes Zentrum pro Land im Sinne von plurizentrisch nicht auszumachen sei (vgl. zu beidem Wolf 1994: 71–74), weil eine ‚nationale‘ Variante nur eine areale Form von vielen sei (vgl. Scheuringer 1997: 343) und weil kulturpolitisch