Infolge der Annäherung in der Frage des Abendmahles wurden in der Bearbeitung des Gesangbuches von 1531, die 1541 erfolgte, Formulierungen in Abendmahlsliedern entsprechend geändert.4
Die gewonnene Nähe zeigt sich im Frontispiz des 1566 von Petrus Herbert herausgegebenen Brüdergesangbuches, das mit Abbildungen von Jan Hus und Martin Luther versehen wurde.
Daß sich die Böhmischen Brüder und die lutherische Kirche über Jahrzehnte umeinander bemühten, ist nicht nur im Wunsch nach Verständigung in theologischen Fragen zu begreifen, sondern es bestand darüberhinaus das Bedürfnis der Brüder nach Rückhalt in der Bewegung der lutherischen Reformation, da auch die Brüder zwar Zustimmung unter den böhmischen Ständen fanden, die sich aber – ähnlich wie in den deutschen Territorien – sich gegen die größere Gewalt der Habsburger bzw. des Papstes erwehren mußten. Daß Jan Hus und Martin Luther als Parallelgestalten verstanden wurden, hat sicher auch seinen Grund darin, daß sie vergleichbare Positionen in dem jeweiligen innenpolitischen Machtkampf einnahmen.
Geistliche Lieddichtung bei den Böhmischen Brüdern
Es wird oft vermutet, daß sich Michael Weisse durch die Begegnung mit Luther zur Lieddichtung hat anregen lassen, der zu diesem Zeitpunkt auch mit diesem Gedanken beschäftigt war. Dies ist möglich, aber nicht belegbar1. Gegen die Annahme Luthers als ersten Motivator Weisses zur eigenen Lieddichtung spricht der Blick auf die breite Tradition volkssprachlicher geistlicher Lieddichtung in Böhmen: Diese wurde schon seit dem 14. Jh. im spätmittelalterlichen römischen Katholizismus gepflegt. Der geistliche Liedgesang außerhalb der Meßfeier der Kirche ist Teil einer vertieften individuellen Frömmigkeit, die der Bewegung der devotio moderna zugerechnet werden kann. Liederhandschriften deutscher, tschechischer und lateinischer Lieder aus dem 15. Jh. geben Zeugnis davon.2 Der volkssprachliche gottesdienstliche Gesang wurde v.a. von den Taboriten weitergebracht, die in ihrer auf tschechisch gefeierten Liturgie auch tschechische Lieder sangen. Sie erschufen neue Gesänge auch aus altem Liedgut, bes. aus dem 14. Jh. 3 Diese reiche Tradition in Böhmen führte zu dem ersten volkssprachlichen Gesangbuch, das 1501 in Prag erschien und dem Umfeld der utraquistischen Kirche zuzurechnen ist4. Noch bevor protestantische Lieddichtung einsetzte, gehörten schon ca. 1000 Lieder in lateinischer, tschechischer und deutscher Sprache zum Repertoire verschiedener konfessioneller Gruppierungen in Böhmen.5 Auch die Böhmischen Brüder hatten seit 1505 ein erstes offizielles eigenes Gesangbuch mit Liedern in tschechischer Sprache, das 1519 von einem weiteren, von Lukas von Prag bearbeiteten Gesangbuch abgelöst worden war.
Für Weisse, der in dieser Tradition stand, lag vermutlich der Entschluß, ein Gesangbuch mit eigenen deutschsprachigen Liedern herauszugeben, recht nahe, ohne daß er von Luthers Bedürfnis nach deutschsprachigen Liedern angestoßen werden mußte.
Michael Weisse begründet in der Vorrede zu dem von ihm herausgegebenen Gesangbuch „Ein new gesengbuchlen“, Jungbunzlau 1531, sein Handeln damit, daß er dazu „ersucht“ worden sei, die Brüderschaft in Landskron und Fulnek „mit geistlichen gesengen zu versorgen“, an denen es der deutschsprachigen Gemeinde noch mangelte.
Das Gesangbuch spielte im Leben der Böhmischen Brüder eine große Rolle. Es dient einerseits als Buch für den gottesdienstlichen Gesang, wobei es, anders als in den ersten Jahrzehnten der lutherischen Kirche, nicht nur dem Leiter des chorus choralis zur Verfügung stand, sondern der ganzen Gemeinde. Weil der Gottesdienst der Brüder unter Verzicht auf die römische liturgische Tradition6 gefeiert wurde und im Wesentlichen aus Schriftlesung, Predigt und Gesang bestand, entwickelte sich eine reiche Tradition des Singens, die sich besonders auch durch eine Vielfalt an Formen, z.B. den Wechselgesang, auszeichnete.
Darüberhinaus hatte das Gesangbuch eine Funktion als Grundlage der häuslichen Ausübung der Frömmigkeit. Es war Bibel, Katechismus und Postille gleichzeitig, d.h. es diente nicht nur der Frömmigkeit, sondern auch der Belehrung in den Grundlagen des Glaubens und wurde schon viel früher als im lutherischen Bereich zu einem Teil des persönlichen täglichen Lebensvollzuges der Brüder. Man sang am Tag bis zu 30 Lieder.7
So ist die Tätigkeit Weisses als Schöpfer neuer Lieder und Übersetzer schon existierender tschechischer und lateinischer Cantiones als Handeln innerhalb einer im Leben der Brüder tief verankerten Nähe zum Singen geistlicher Lieder zu verstehen, auf das der Kontakt mit Luther Einfluß gehabt haben kann, aber sicher nicht ausschlaggebend für sein Handeln war.
Ein new gesengbuchlen
Für die deutschsprachigen Gemeinden der Böhmischen Brüder gab Michael Weisse „Ein new gesengbuchlen“, Jungbunzlau 1531, heraus, das erste Brüdergesangbuch mit Liedern in deutscher Sprache, das in der Folgezeit viele Auflagen und kleinere Bearbeitungen erfuhr und zudem im deutschsprachigen Raum stark rezipiert wurde.
Als Vorlage dienten ihm „ewer alt sampt der behmischen brüder Cancional“, d.h. das tschechische Gesangbuch der Brüder von 1519 und ein nicht näher zu bestimmendes Kantional1.
Gemäß der Tradition in Böhmen greift er in seiner Gesangbucharbeit zurück auf altes Liedgut, übernimmt vor allem im Gebrauch stehende, alte Melodien.
Hingegen schafft er neue Texte: vermutlich sind von den 157 Liedern in seinem Gesangbuch die Texte von ca. 137 Liedern von ihm, 16 Lieder hat er aus dem Tschechischen übertragen, vier sind aus der lateinischen Tradition.2 Das hier besprochene Lied wird nach der Weise der lateinischen Cantio gesungen3, der Text ist eine Übertragung von Weisse.
Das Gesangbuch von 1531 wirft ein Licht auf die Intention der Lieddichtungen und der Liedsammlung Weisses. Es weist eine Einteilung nach liturgischen Kriterien auf, indem es die Lieder entlang dem Kirchenjahr anordnet. Sie gehen an der Heilsgeschichte bzw. an der Christologie entlang. Sie beginnen bei der Menschwerdung Christi bis Himmelfahrt, gehen weiter mit Liedern zum Hl. Geist, und weiter über Lob-, Bitt- und Lehrgesänge hin zu den Tagzeiten. In seiner Vorredeverleiht Weisse dem Singen zwei Ausrichtungen: Gotteslob und Katechese. Die Gesänge mögen „Got dem almechtigen vnn seiner warheit zu lob unn preis / euch zu trost unn gemeiner christenheit zur leer“ dienen.
Die Gesänge Michael Weisses haben in der lutherischen Kirche in relativ großem Umfang Eingang gefunden. Luther nimmt in sein Buch „christliche Gesäng zum Begräbnis“, Wittenberg 1542 das Lied von Weisse „Nun laßt uns den Leib begraben“ auf, ins Babstsche Gesangbuch 1545 gelangen 14 Lieder, die er dem Gesangbuch von Roh / Horn „Ein Gesangbuch der Brüder in Böhmen und Mähren“, Nürnberg 1544, entnimmt, das eine Bearbeitung des Weisseschen Gesangbuches von 1531 ist, in dem er bis auf die Abendmahlslieder4 nur geringe Änderungen vorgenommen hat. 12 davon sind unverändert aus dem Gesangbuch 1531 übernommen; Die erweiterte Auflage des Babstschen Gesangbuches 1553 nimmt nocheinmal 14 Lieder aus dem Gesangbuch von 1544 auf, davon sind 10 unveränderte aus dem Gesangbuch 1531. D.h.: in den Grundbestand des lutherischen Singens sind insgesamt 29 Lieder eingegangen.5 Zu diesen (Babst 1553) gehört ebenfalls das hier besprochene Lied.
Vorgeschichte und Werden des Liedes
„Christus der uns selig macht“ hat seine Wurzeln in der römischen Tradition. Weisse hat es dem Hymnus „patris sapientia“ nachgebildet, der seit dem 13. Jh. belegt ist. Dessen Vorgänger war ein ein Reimgebet, das den verschiedenen Tagzeiten bestimmte Stationen der Passion Christi zuordnet.1
Im Bereich römisch-katholischer Tradition ist der Hymnus breit rezipiert worden. Dieses belegt der Umstand, daß mehrere, verschiedene Fassungen existieren, der auf verschiedene parallele Traditionsstränge weist, und die Tatsache, daß auch schon eine deutsche Übersetzung vorlag2.
Weisse hatte zwei Brüdergesangbücher