Ob nun bewusst oder unbewusst: Anton Herzog sorgte auf diese Weise für ein dynamisches Selbstbild bei seinem Sohn – im Gegensatz zum statischen Selbstbild. Bei letzterem nimmt man eine neue Aufgabe nur an, wenn man sie denn auch auf jeden Fall meistern wird – in Sachen „Fußball“ also das nächste Spiel gewinnt. Oder es erst gar nicht spielt. Entwicklung ist so allerdings nicht möglich.
Dynamische Selbstbilder stellen sich dagegen immer neuen Herausforderungen, wollen dazulernen und denken in Prozessen, statt in Ergebnissen. Übrigens eine Einstellung, die seinesgleichen anzieht. So traf Andreas Herzog Jahre später und als Trainer eben auf Jürgen Klinsmann – und beschloss mit ihm zusammen, dass sich das US-Team mit den Besten der Besten messen müsse, um den nächsten Schritt machen zu können. Befremdlich für den US-Verband, denn das bedeutete auf den ersten Blick Niederlagen – und auf Dauer weniger Einschaltquoten. Das Gegenteil war der Fall. Siege gegen europäische Topteams wie gegen die Niederlande oder gegen Deutschland. Es ist eben alles eine Sache der Einstellung – und im besten Fall Wachstum.
Doch wenn Siege zur Normalität werden, ist es an der Zeit, etwas zu verändern. In diesem Sinne handelte Burli Herzog schon vor 40 Jahren – eben modifizieren, um den nächsten Schritt zu machen. Zumindest dann, wenn man wachsen möchte. Und das mit aller Voraussicht und auch Konsequenz.
Denn als die Obersten der Admira entschieden, dass die Vereinsjugend sich fortan mit den Klubs in Niederösterreich messen sollte – bisher gehörte der Admira-Nachwuchs dem Wiener Verband an und kickte durchaus auf Augenhöhe mit Rapid und Austria –, war Burli Herzog klar, handeln zu müssen.
Mein Vater hat gemeint, dass es für meine Entwicklung nicht gut wäre, wenn ich jedes Spiel mit 8:0 oder 9:0 gewinne. Da ist einfach der Widerstand der Gegner zu schwach. Ich sollte also zu einem starken Verein. (Andreas Herzog)
Solange die Jugend der Admiraner auf hohem Niveau spielte, waren Dynamik und Weiterentwicklung gegeben, doch unter diesem neuen Aspekt war für Vater Herzog die Aussicht auf Wachstum und Herausforderung nicht mehr existent.
Und dann wollten sie wieder zurück in den niederösterreichischen Verband und dann hätten wir nur gegen kleine Dorfvereine gespielt wie Brunn am Gebirge oder Perchtoldsdorf. Dagegen hat sich mein Vater gewehrt. Da haben’s gesagt: „Tschüss, dann bist du nicht mehr Trainer, und deinen Sohn kannst gleich mitnehmen.“ Durch das bin ich von der Admira weg und zu Rapid. (Andreas Herzog)
Da ist er wieder, der rote Faden im Leben des Andi Herzog: der berühmte Stoß ins kalte Wasser – wieder durch die Eltern, wieder hin zum nächsten Schritt. Oder, um in der Schwimmersprache zu bleiben: vom Seepferdchen zum Freischwimmer. In anderen Worten: Auf zu Rapid Wien!
KAPITEL 5:
WILLKOMMEN IN HÜTTELDORF – LIEBER FREUNDE STATT SCHILLING
RAPID WIEN 1983–1986
„Ich bin eine Mischung aus einem extremen Wiener, der halt schon seinen Spaß hat, seine Lockerheit und vielleicht auch einen Schuss Bequemlichkeit – und dann noch mit der deutschen Gründlichkeit dazu –, außerdem ein Schuss Abenteuer, ein gewisses Risiko, etwas Neues kennenlernen“, so der Rekordnationalspieler in der Retroperspektive über seinen bisherigen Werdegang und was ihn bis heute antreibt. Da ist es auf den ersten Blick fast ein wenig verwunderlich, dass Herzog schon in jungen Jahren seiner Rapid begegnen durfte. Denn der ruhmreiche Traditionsverein aus dem Arbeiterviertel Hütteldorf steht und stand sicherlich weniger für Lockerheit und schon gar nicht für Bequemlichkeit. Doch die Mischung macht es ja bekanntlich – und wer selbst über eine derart bunte Melange wie Andi Herzog verfügt, fast schon ein Stück weit ambivalent, trifft wohl unweigerlich und nach dem Resonanzgesetz auf Gleichgesinnte und manchmal anscheinend auch auf sein Gegenteil, um etwas daraus zu lernen. In diesem Fall und im Jahr 1983 auf Rapid Wien.
Womit wir zunächst bei den klassischen Tugenden eines typischen Arbeitervereins wären – eben ackern, hackeln, malochen. Dafür stand Rapid von Anfang an – und dafür steht es ein Stück weit noch heute, selbst im hypermodernen Profifußballzirkus. Natürlich: Jeder Vergleich mit der Vergangenheit verbietet sich eigentlich, denn allein in den letzten 20 Jahren hat sich der Klubfußball weltweit extrem verändert und entwickelt oder – anders ausgedrückt – einen regelrechten Quantensprung in Sachen Professionalisierung, Marketing und Co. gemacht. Eine unglaublich dynamische Entwicklung, die natürlich auch nicht vor Spielsystemen, Taktik sowie Spielweise haltmachte, genauso wenig wie vor den damit verbundenen Tugenden klassischer Hacklervereine.
Natürlich glichen sich auch hier durch taktische Revolutionen in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene Spielweisen nach und nach an, markante Merkmale verschwammen, die individuelle Note verblasste – aber bestimmte Eigenschaften sind bis heute in der hauseigenen Klub-DNA einer Vielzahl großer Vereine noch immer zu erkennen und häufig auch im Leitbild festgehalten. So auch bei Rapid Wien. Und letztlich ist es wie in jeder Familie: Seine Wurzeln kann man nicht verleugnen.
Wie tief der Sportklub Rapid gerade in den Gründungsjahren in der Arbeiterschaft verankert war, geht jedenfalls unweigerlich aus der Historie hervor. So liefen die heutigen Grün-Weißen seit ihrer Gründung im Jahre 1897 in Hütteldorf zunächst unter dem so bezeichnenden Namen „Erster Wiener Arbeiter-Fußball-Club“ auf – damals übrigens noch in Blau und Rot –, um wenige Jahre später Namen und Farben zu wechseln. Das mag an besonders auffällig flinken Spielern der ersten Generation gelegen haben oder einfach am Wunsch nach einer aggressiven, schnellen und nach vorne ausgerichteten Spielweise, eben einem ganz eigenen Markenzeichen, das sich im Namen manifestierte. Laut der Legende jedenfalls inspirierte die Gründerväter ein Klub aus Berlin, der sich „Rapide“ nannte, und so lief man fortan als „Sportklub Rapid“ aufs Feld, um seine ganz eigene Geschichte zu schreiben – geprägt durch Kampf, Leidenschaft, Beißen, Kratzen und Schwitzen bis zur letzten Sekunde.
Rückblickend verwundert es also nicht, dass Rapid weniger für große Spielmacher, Ballkünstler oder Edeltechniker stand. Selten war der 10er der Star. „Es waren eher die Mittelstürmer, durchsetzungsstarke Flügelspieler und wie Uhrwerke laufende Sechser, die den Rekordmeister ausmachten. Der Primgeiger im zentral-offensiven Mittelfeld wurde stets eher mit der Austria assoziiert – ebenso wie zuarbeitende Angreifer, eher flink als wuchtig. Auch die Art und Weise des Spiels konnte stets gut unterschieden werden: Die Austria technisch besser und ballsicherer, Rapid kampfkräftiger, vor allem aber direkter und hungriger“, so der Blogger Daniel Mandl auf abseits.at, womit er die Wiener Fußballhistorie feinfühlig beschreibt. Von daher muss es einen Außenstehenden fast verwundern, dass Herzogs Wahl in so jungen und entscheidenden Jahren auf Rapid fiel – und nicht auf die Austria, zumal er sich der Unterschiede in Spielweise und Tugenden durchaus bewusst war.
Von der Spielweise her hätte ich fast besser zur Austria gepasst: Der technische Kombinationsfußball stand immer schon für die Violetten, das Wiener Scheiberlspiel (das Wiener Kombinationsspiel, ich spiel kurz zu dir, du zu mir, Ball hin und her scheibeln, schieben), wie man in Österreich so sagt. Rapid war ja seit jeher der Arbeiterverein, kommt viel über Einsatz und Laufbereitschaft. Bei der Austria waren es eher die Edeltechniker wie Prohaska und so weiter, die im Vordergrund standen, was nicht heißt, dass es die bei Rapid nicht gegeben hätte. Aber sie hatten einen anderen Stellenwert. Drum haben die immer auch in der Halle auf Parkettboden gezaubert. (Andreas Herzog)
Was zog unseren Protagonisten also tatsächlich so magisch an, wieso Hütteldorf und nicht Favoriten, hätte er doch auf den ersten Blick mit seiner feinen Technik durchaus auch den Violetten der Stadt gut zu Gesicht gestanden? Und macht man sich als Bub oder besser gesagt als junger Teenager überhaupt Gedanken über die eigene Zukunft, die nächsten Etappenziele oder neue Herausforderungen?
Natürlich war auch Andi Herzog mit gerade einmal 14 Jahren