Stinksauer stapfte Herzog vom Platz, zog vor der Bank provozierend sein Leiberl aus und wollte es weghauen.
Ich wollt dem Happel zeigen: Ich pfeif auf dich. Ich war damals halt ein jähzorniger, junger Bua mit Anfang 20, ging gleich unter die Dusche und dachte mir: Lecko mio, das ist das Ende, der Happel stellt mich nie wieder auf. (Andreas Herzog)
Es ist halt immer so eine Sache mit dem Selbstvertrauen, gerade in jungen Jahren, wenn man am Anfang einer Karriere steht und sich zunehmend bewusster über seine vielleicht sogar einmaligen Fähigkeiten, Stärken und Talente wird. Schnell können Selbstüberschätzung auf der einen genauso wie Selbstzweifel auf der anderen Seite stete Begleiter in Bezug auf die Persönlichkeitsentwicklung sein – und für zu hohe Flüge mit gegebenenfalls hartem Aufprall sowie wie im vorliegenden Fall für unkontrollierte Emotionsausbrüche sorgen.
So oder ähnlich muss es Andreas Herzog nach seinem Wutausbruch am Spielfeldrand gegangen sein, jedenfalls war er sich sicher: „Der Happel beruft mich nicht mehr ein.“ Doch weit gefehlt – und so stand er schon wenige Wochen später seinem Coach bei der nächsten Zusammenkunft des Nationalteams gegenüber.
„Zauberer? Na, was war das letztes Mal?“
„Naa, Trainer, i will da nicht irgendetwas Altes aufwärmen. I hab da Meinungsverschiedenheiten gehabt mit anderen Spielern, aber da will ich im Nachhinein nicht drüber reden. Da will i niemanden verpetzen.“
„Na, glaubst, i bin deppert? Ich hab’s genau gesehen! Und glaubst, soll ich dir helfen? Willst, dass ich dir helf?“
Und ich hab mir gedacht: Ja, bitte, ich bin fast der einzige Rapidler gegen sieben Austrianer (lacht im Nachhinein).
„Wirst du ja selber nicht glauben. So blöd bin i ja ned. Entweder du setzt dich allein durch oder es wird mit dir nichts.“ (Andreas Herzog)
Das hatte gesessen. Klar, kurz und prägnant – unnachahmlich Happel. Eines war Andi Herzog jedenfalls klar: Vonseiten des Grantlers war mit Unterstützung nicht mehr zu rechnen. Doch war die Message anscheinend ein Stück weit angekommen. Herzog musste sich selbst durchsetzen. Und auch wenn ihm bei dem folgenden Spiel gegen Wales kein Tor gelang und er abermals ausgewechselt wurde, hatte er doch einen Schritt gemacht: Die Nerven im Griff und freundlich nickend an der Trainerbank vorbei Richtung Duschkabinen. Happel mochte Herzog – und wusste um dessen Wichtigkeit für die Kreativität des österreichischen Spiels: die entscheidende Torvorlage, der Lupfer hinter die Abwehrreihen, der diagonale Steilpass in den freien Raum. Und vielleicht sah er ein wenig ja sogar sich selbst in ihm.
„Natürlich, Happel verkörperte den klassischen Libero – ein lässiger und kreativer Verteidiger, mit Vorausschau und Technik und seiner Zeit im österreichischen Fußball voraus“, meinte Herzog. „Aber durchaus auch ein Schlawiner und mit Schmäh bei der Sache.“ Hatte er doch angeblich einst einmal seinem eigenen Tormann beim Stand von 4:0 ein Tor reingeschossen mit den Worten: „Waßt, du hast gesagt, du kriegst kein Tor. Da hast eins!“
Doch mindestens genauso wichtig: Happel wusste Herzog zu führen, zu berühren und zu inspirieren. So verfügte der einstmals ebenfalls für Rapid kickende und spätere Meistercoach über die seltene Gabe wirklich großer Trainer, neben dem Spiel auch die Spieler lesen zu können. Zu spüren, was sie bewegt und für jede Situation in Wahlmöglichkeiten zu denken – eben den richtigen Schlüssel für den rechten Moment parat zu haben. Mal durch Hilfe zur Selbsthilfe, dann durch Überzeugung und Klarheit oder einfach nur durch stumme Impulse führend – intuitives Erfahrungswissen, über Jahrzehnte entwickelt.
Günter Netzer, der Happel in seiner erfolgreichen Zeit beim Hamburger SV zu Beginn der 80er-Jahre als Vereinsmanager begleitete, nannte den Trainer sogar ehrfürchtig ein Phänomen: „Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Als Happel zum HSV kam, hatten wir sechs Wochen Vorbereitung. Beide Torhüter, Jupp Koitka und Uli Stein, haben gehalten wie die Weltmeister. Am Abend vor dem ersten Spiel fragte ich Happel, wer denn nun im Tor stehen würde. Er sagte: ‚Ich weiß es nicht. Aber wenn ich morgen früh die Augen aufmache, werde ich es wissen.‘ Am nächsten Tag stellte er den Stein ins Tor – und der wurde Nationalspieler.“
Da stellt sich die Frage, was all das mit Andi Herzog zu tun haben könnte, denn der kickte zur großen Zeit des HSV gerade mal in der Jugendabteilung bei Wacker Mödling in der Wiener Südstadt – oder zu Hause in Meidling mit Freunden gegen das Garagentor. Vielleicht verfügte der ehemalige Championtrainer Happel einige Jahre später und auf seiner letzten Station für den Österreichischen Fußball-Bund über eine ähnliche intuitive Eingabe am frühen Morgen des 28. Oktober 1992. Jedenfalls ging er unmittelbar vor dem entscheidenden WM-Qualifikationsspiel gegen Israel auf den auf der Spielerbank sitzenden Herzog zu, der sich gerade die Schuhe schnürte, presste seine Stirn an dessen Stirn und raunzte ihn in gewohnt kauziger Manier an: „Jetzt zeig ihnen, wie gut du bist, Zauberer.“
Eine Botschaft, die Herzog zutiefst berührte und deren Inhalt seine Karriere bis heute begleitet. Herzog wuchs über sich hinaus und schoss im folgenden Spiel beim 5:2-Sieg zwei entscheidende Tore. „Fast im Alleingang habe ich das Spiel gewonnen“, erzählt er heute noch stolz.
Und Ernst Happel? Er durfte das wenige Wochen später stattfindende Spiel des ÖFB gegen Deutschland im Praterstadion nicht mehr erleben – nur mehr seine legendäre Kappe weilte 90 Minuten lang verwaist auf seiner geliebten Trainerbank. Nach nur einem knappen Jahr als Nationaltrainer Österreichs verstarb er im November 1992 – schwer gekennzeichnet durch ein Krebsleiden.
Es wäre hochspannend zu wissen, wie sich wohl die Zusammenarbeit zwischen den beiden waschechten Wienern entwickelt hätte, wenn sie von längerer Dauer gewesen wäre. Hier der Grantler und das Genie, dort der Ballkünstler mit Herz und Schmäh. Langweilig oder besser gesagt fad wäre es wohl nie gewesen. Doch was bleibt, ist für Andi Herzog die Erkenntnis, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen – auf und neben dem Platz. Eben getreu nach dem Motto: Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner! Sowie mit ganzem Herzen dabei zu sein. Denn dann werden dir Weggefährten geschickt, die dich auch mal anschieben. Oder dich ins kalte Wasser stoßen. Oder dir mal in den Hintern treten. Übrigens ein roter Faden, der sich durch seine bisherige Karriere zieht – wie wir später noch feststellen werden.
Und da wären wir schon mittendrin, im Leben des Andreas Herzog: Von einem, der auszog, um im Ausland sein Glück zu suchen. Oder in anderen Worten vom „Schluchtenscheißer“ zum „Alpen-Maradona“, wie ihn die deutsche Presse ehrfürchtig bezeichnete.
Das war sein letztes Länderspiel. Das macht mich heute noch stolz, dass ich quasi in seinem letzten Länderspiel a Wahnsinnspartie gespielt habe, zwei Tore geschossen, wir haben 5:2 gewonnen. Und damals hat mich auch der israelische Teamchef, damals der Shlomo Scharf, bei der Weltfußballerwahl auf den dritten Platz gewählt – und drum bin ich 40. geworden (lacht herzhaft). Danke, Shlomo Scharf (lacht wieder). Aber ich hab die im Alleingang fast zerschossen, ein Tor mit dem Rechten, mit einer Wucht, und das, weil mir der Happel vorher gesagt hat: „Und jetzt zeig ihnen, wie gut du bist.“ Und das war für mich a Message: Du bist gut genug, du brauchst von mir keine Unterstützung, zeig einfach, was du kannst. Und … Attacke! (Andreas Herzog)
Herzog unter Happel: Ein kurzer gemeinsamer Weg – sieben Länderspiele
KAPITEL 2:
„MAMA, DAS VERZEIH ICH DIR NIE!“
ADMIRA WACKER 1974–1983
Macht man sich über ein