In meinem ersten Meisterschaftsspiel haben wir glaube ich 6:0 gewonnen – und da hab ich fünf Tor geschossen. Da dachten die anderen guten Spieler: „Ui, da ist jetzt ein Neuer gekommen, das ist ein richtiger Konkurrent.“ Da hatte ich am Anfang schon Schwierigkeiten, dass ich akzeptiert wurde, obwohl ich gut war. Die Platzhirsche wollten halt nicht akzeptieren, dass ein Jüngerer kommt und gleich fünf Tore schießt, und da war es phasenweise schon so, wenn ich links gelaufen bin, haben sie viel über rechts gespielt, und wenn ich rechts gelaufen bin, haben sie über links gespielt. Da ist mein Vater auch hin und wieder narrisch geworden. (Andreas Herzog)
Nach fünf Spielen hatte Herzog weiterhin fünf Treffer auf seinem Konto – und zwar noch immer die aus dem ersten Spiel. Da galt es, neue Wege zu gehen, auf die Mitspieler zuzugehen, sich durchzusetzen und durchzubeißen – oder anders auf sich aufmerksam zu machen. Diese Herausforderung nahm das neue U16-Talent an – während Vater Toni aus den Emotionen heraus ganz eigene Ideen hatte, die Andi „zum Glück“, wie er heute lachend betont, nicht umsetzte.
„Andi, setz dich einmal am Mittelpunkt hin und schau, ob es denen überhaupt auffallt, weil sie spielen dich eh nie an.“
„Papa, was soll denn das? Was hilft mir das weiter?“
„Naa, setz dich einmal hin, setz dich einmal hin“, wiederholte der Vater so richtig emotional. (Andreas Herzog)
Toni Herzog suchte einfach nach einem Auslöser, einer Initialzündung, er wollte provozieren, damit intern Dinge anders angesprochen werden. „Als Kind habe ich das so noch nicht verstanden“, meint Herzog heute. „Er wollte mit einer außergewöhnlichen Situation zu einer Lösung finden, dachte in Wahlmöglichkeiten.“
Natürlich setzte sich Herzog junior „back in 83“ nicht in den Mittelkreis, fand stattdessen eigene Mittel und Wege, um sich und sein großes Talent zu zeigen. Wenngleich es rückblickend durchaus eine spannende Idee seines Vaters war, geboren aus den Emotionen eines Menschen, der damals schon wusste, welches besondere Talent in seinem Sohn schlummerte. Dieses brauchte einfach nur Raum zur Entfaltung in der Mitte des Feldes. So oder so hätte er auf diese Weise für Aufmerksamkeit und Gesprächsstoff im Team gesorgt. Doch wie an anderer Stelle schon erwähnt, ist es ebenso wichtig, den ganz eigenen Weg zu gehen, sich neben allem Können auch gegen Widerstände durchzusetzen, zu kämpfen, zu hackeln. Das machte Andreas Herzog auf seine ganz eigene Weise, mit Herz, Schmäh, seinem linken Pratzerl und manchmal aus der zweiten Reihe heraus – zumindest, wenn es um die „Duschhierarchie“ in der Kabine ging.
Zwei Greenhorns in den Anfängen: Andi mit Freund Oliver Scheriau
Irgendwann kommst besser in die Mannschaft rein, dann hast mehr Gespräche, dann hat sich das ein bisserl gebessert. Und mit dem Andreas Huyer, der war genauso alt wie ich, der war auch ein Jahr jünger, der war auch immer einer, der als Letzter geduscht hat. Wir haben gewartet, bis die behaarten Männer aus der Kabine waren, dann haben wir uns zum Schluss schnell geduscht, die Spätreifen (lacht herzhaft). (Andreas Herzog)
Hier zeigt sich: Wer beruflich in einem hohen Maß autonom sein kann, in seinen Kompetenzen anerkannt wird und sich seinem Team zugehörig fühlt, kann Topleistungen erbringen. Auf dem Fußballplatz genauso wie im richtigen Leben – und zwar vor allem dann, wenn alle drei Bereiche auf hohem Niveau in der Balance sind. Andi Herzog jedenfalls war bei Rapid angekommen.
KAPITEL 6:
„DAS WAR A WAHNSINN“ – ZWISCHEN DEN EXTREMEN
RAPID WIEN 1983–1986
Schon seit Stunden regnete es in Strömen in der Wiener Südstadt – und das Ende Mai. Wer das Wetter rund um Wien und den Wienerwald über Jahre ein wenig studiert, der kennt diese ergiebigen Regenfälle. Meist bleiben die Wolken förmlich im Wienerwald hängen, um dort und über der Donaumetropole abzuregnen – doch nach einigen Stunden ist der Spuk normalerweise vorbei, und die Sonne strahlt wieder vom Himmel. Aber nicht so im Mai 2021. Gefühlt regnete es jedenfalls täglich und fast ununterbrochen, was Andi Herzog zu einem „Da wirst ja deppert“ hinreißen ließ, als ich wie abgemacht gegen 10.40 Uhr die Heckklappe seiner Limousine öffnete, um Rucksack, Schirm und Wanderschuhe im Auto zu verstauen. Doch es half nichts. Das Schnelligkeitstraining seiner beiden Söhne Luca und Louis stand an. Da galt es auch dem Regen zu trotzen.
Zuvor hatten mich die drei plus Vinzi, einem gleichaltrigen Freund von Louis, am Hotel in Perchtoldsdorf abgeholt, und weiter ging es Richtung Laufbahn in die Südstadt. „Ist das nicht der Weber Franzl?“, rief Luca plötzlich während der Fahrt. Ein Blick in den Rückspiegel des „Zauberers“ genügte – und in der Tat, es war der Weber Franzl!
Andi Herzog hatte Ende der 80er-Jahre mit ihm bei Rapid gekickt und ihn immer mal wieder unterstützt in den letzten Jahren, wie das im besten Fall und unter Freunden möglich ist. „Ist er aus dem Bus ausgestiegen?“, fragte Herzerl besorgt, um gleich hinzuzufügen: „Na, hoffentlich hat er seinen Führerschein nicht verloren.“
Doch laut Luca strawanzte Franz Weber fröhlich und zu Fuß durch die engen Gassen von Maria Enzersdorf. Typisch Andreas Herzog: Er hatte einfach ein Herz für viele ehemalige Mitspieler, unterstützte den einen oder anderen mit seinem Know-how genauso wie mit möglichen Aufgaben, Ideen oder Jobs. Nicht jeder ehemalige Fußballprofi konnte mit einem gewissen Bekanntheitsgrad, Titeln und Erfolgen umgehen, und wo Höhen überwunden und größere Erfolge gefeiert wurden, waren die Tiefen in der Regel nicht fern – und übermäßiger Genuss jedweder Art verlockend, von Casinogängen über das eine oder andere Achtel bis hin zur Pferderennbahn.
Doch zurück in den strömenden Regen und raus auf den Platz! Ein individuelles Lauftraining für den Nachwuchs mit Laufspezialist Andreas Nöhmayr war angesagt. Durch viermal 200-Meter-Läufe sollte auf lange Sicht die Schnelligkeit gesteigert werden. In einfachen Worten ausgedrückt: Effizienz der Lauftechnik steigern, Energie sparen, schneller werden. Auf jedwedes Aufwärmprogramm wurde heute allerdings wetterbedingt verzichtet.
„Super Schritttechnik, kurz und schnell“, motivierte Papa Herzog seinen Sohn Louis, der nach den ersten 200 Metern noch mit sich haderte, hatte ihn doch ausgerechnet der beste Freund Vinzi auf den letzten Metern noch überholt. In ähnlichen Situationen nahm Louis sonst auch schon einmal auf dem Boden Platz, heute aber wollte er es wissen. Kinder halt, und alles ein Lernprozess – und aufgeben tut man bekanntlich nur einen Brief. Louis ging in sich, trotzte der neuerlichen Regenschlacht und wuchs in den folgenden Läufen über sich hinaus. Schlusspfiff eine Stunde später – mehr war bei diesem Wetter einfach nicht möglich.
Ob der junge Andi Herzog an gleichem Ort wohl ähnlich mit sich kämpfte, um dann über sich hinauszuwachsen?, fragte ich mich. Anscheinend konnte er meine Gedanken lesen. „Kurze Läufe machten mir Spaß, lange nicht“, so seine knappe Antwort, während wir riesige Pfützen umspringen mussten, um einigermaßen trockenen Fußes zum Auto zu gelangen. Überhaupt rührend, wie sich Andi um die drei angehenden österreichischen Sporthoffnungen kümmerte. Da war er wieder, der schon häufig aufgefallene „To care“-Faktor des Rekordnationalspielers – einfach ein Kümmerer. Nacheinander hüpften nun alle drei jungen Sportler kurz hinten in den Kombi hinein und zogen sich zügig um. „Füße gut abtrocknen, Socken wechseln und zu Hause gleich duschen“, lautete der abschließende Marschbefehl vom Chef.
Erstaunlich, wie sich der Fußballsport in vielen Belangen individualisiert hat, wie wichtig es ist, über den Tellerrand zu schauen, und wie sehr man mit all dem wertvollen Know-how über Lauftechnik und Co. die Qualität des Trainings steigern kann, dachte ich mir, während Papa Herzog die Limousine inklusive der drei „Buam“ sicher durch die verregneten Wiener Vororte lenkte. Auf der Rückbank war indes Ruhe eingekehrt – was wohl mit der energetischen Anziehungskraft des Handys zu tun hatte. Aber