Doch auf den Punkt gebracht war Andi vor allem eines wichtig: Freunde!
Ich wollte also zu einem starken Verein. Die großen Talente der damaligen Zeit, der Ernst Ogris, Gerald Glatzmayer und der Ernst Mader haben damals Jungprofiverträge bekommen, und ich hätt damals bei einem Wechsel zu Austria auch für mein Alter sehr viel Geld bekommen. In Jesolo hat mich dann aber ein Freund, der Oliver Scheriau, dessen Vater mit meinem bei Wacker Wien zusammengespielt hat, darauf angesprochen, dass ich mir einmal Rapid anschauen sollte. Das habe ich dann getan und dort auch den Ludwig Huyer getroffen. (Andreas Herzog)
Es war also die Freundschaft, die den damals noch jungen Andi Herzog zu Rapid Wien zog – und nicht die Möglichkeit, einen ersten gut dotierten Jungprofivertrag beim ewigen Stadtrivalen Austria Wien zu unterschreiben. Immerhin 8000 Schilling hätte er damals pro Monat verdient, eine beachtliche Summe, wenn man sich in die Zeit der frühen 80er zurückversetzt. Zum Vergleich: Eine Kugel Eis kostete in diesen Tagen im 12. Bezirk rund zwei bis drei Schilling, eine Extrawurstsemmel fünf Schilling und ein Krügerl Bier samt Schnitzel inklusive Schmäh der Kellnerin im „Schweizerhaus“ im Prater gerade mal 20 Schilling – doch was ist schon Geld oder die Möglichkeit, es für Köstlichkeiten auszugeben, gegen so elementare Werte oder noch besser gesagt Gefühle wie Freundschaft und Zugehörigkeit? Die Worte eines Oliver Scheriau und dessen Vater waren jedenfalls entscheidend und gewichtig – genauso wie die Anwesenheit von Andreas und Ludwig Huyer.
„Herz über Kopf“ würde man heute wohl sagen – oder, um es in der Fachsprache rund um die Thematik „Bauchgefühl“ auf den Punkt zu bringen: „Gute Intuitionen müssen Informationen ignorieren.“ Wenn man also heute und in einer scheinbar immer unsicherer werdenden Welt Entscheidungen treffen möchte, ist weniger oft mehr.
„Intuition ist die Kunst, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und den Rest – also überflüssige Informationen – zu ignorieren“, sagt auch Professor Dr. Gerd Gigerenzer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin. Populärwissenschaftlich spricht er auch von der „Take-the-Best-Methode“, also eine wichtige Entscheidung nach nur einem einzigen guten Grund, dem persönlich wichtigsten Grund, zu treffen, statt lange Pro- und Kontralisten anzulegen. Ähnlich muss es der junge Andi Herzog wohl intuitiv und schon zu Beginn seiner Karriere gemacht haben – ein Muster, das sich übrigens noch wiederholen sollte.
Das zieht sich auch wie ein roter Faden bei mir, dass ich nicht immer nur aufs Geld geschaut hab, weißt? Ich hätt damals bei der Austria 8000 Schilling als Jungprofi verdient, ich war damals 14, musst du dir vorstellen. Ich bin zu Rapid gegangen, hab gar nichts bekommen, aber ich hab dort schon ein, zwei Freunde gehabt. Das war für mich wichtiger. Ich gehe lieber zu Rapid, da fühle ich mich wohler, das Umfeld passt zu mir. (Andreas Herzog)
So hatte der Vater von Oliver Scheriau mit Herzerls Vater Toni bei Wacker Wien gekickt – und da es den gewöhnlichen Wiener im Sommer entweder täglich ins „Gänsehäufel“, das Strandbad an der Alten Donau, oder in die Sommerfrische an die Adria in südlichere Gefilde zog, schlossen sich alsbald gemeinsame Badeurlaube an. „Auf nach Italien“, lautete das Motto der Scheriaus und Herzogs, raus aus der altehrwürdigen Donaumetropole und hinein in die Lagune von Venedig.
„Durch diese Urlaubsbekanntschaft über Jahre hat auch der Vater Scheriau gesagt: ‚Andi warum kommst du nicht zu Rapid?‘ Sein Sohn war Rechtsaußen, ich war Spielmacher. Und dann kann das eigentlich sehr, sehr gut funktionieren“, erinnert sich Andreas Herzog. Und es sollte funktionieren, zudem er hier – nicht am Badestrand, sondern auf dem Trainingsplatz im 14. Bezirk – noch auf einen weiteren Weggefährten seines Vaters traf: Ludwig Huyer.
Dieser hatte für drei Jahre und zu Beginn der 60er-Jahre für Rapid den Kasten freigehalten. Und auch wenn Anton Herzog in diesem Fall nicht mit, sondern gegen ihn gespielt hatte, kannte man sich doch im Wiener Fußballgrätzel durch zahllose Spiele und Turniere und schätzte sich mitunter auch – wie in einer großen Familie eben.
Auf ähnliche Weise mussten sich zwangsläufig auch die Söhne der beiden Ex-Profis über den Weg laufen. Erst spielte man in der frühen Jugend gegeneinander, Ludwig Huyers Sohn Andreas bereits für Rapid, Andi Herzog noch für Admira Wacker, dann miteinander – denn beide waren im gleichen Alter und verstanden sich fortan prächtig. Und das unter der Regie des mittlerweile zum grün-weißen Nachwuchszeugwart aufgestiegenen Ludwig Huyer.
Der (Ludwig Huyer) hat mich genommen, mich in die Kabine gestoßen und gesagt: „So, Andi, ab jetzt bist a Rapidler!“
Ich war damals noch ein Jahr jünger als meine Kollegen in der U16. Die ersten beiden, die ich kennengelernt habe, waren schon voll austrainiert, während ich noch nicht einmal gescheit in der Pubertät war. Die waren halt schon voll als Männer entwickelt, ein damals jugoslawischer und ein türkischer Mitspieler, und da bin ich wieder raus und hab gesagt: „Herr Huyer, ich bin in der U16, ich spiel noch nicht in der U18.“
„Naa, das ist eh die richtige Kabine, das sind deine neuen Kollegen.“
Da wollt ich den Verein schon wieder verlassen, weil ich mich zu klein und zu jung gefühlt habe. Ich bin wieder raus zu meinem Vater und habe gesagt: „Komm, Papa, fahren wir wieder heim, da möchte ich nicht spielen.“ (Andreas Herzog)
Auch hier wird wieder deutlich: Der junge Herzerl brauchte den berühmten „Schtessa“ ins kalte Wasser, Unterstützer, Freunde an seiner Seite. Aber wer braucht diese nicht? Sein Vater verfügte zudem über das nötige Fingerspitzengefühl, nennen wir es empathisches Einfühlungsvermögen, wenn es denn darauf ankam. Einerseits gab er ihm Zeit zur Entwicklung – ohne zu viel Drill, Druck und Enge. In „gewissen spielerischen Momenten“ forderte er aber auch eine „gewisse Gier“ – dann trieb der Vater seinen Sohn auch gerne an.
„Geh hin zu den Elfmetern, geh hin zu den Freistößen.“
„Du, Papa, wenn ich mich aber nicht gut fühle, dann gehe ich lieber nicht hin.“
„Naa, geh hin, übernimm die Verantwortung.“
Oft hat es dann zu Hause Diskussionen gegeben, und gerne meldete sich in solchen Fällen auch meine Mutter lautstark zu Wort: „Du, Toni, tu den Jungen nicht hineintheatern, du hast das früher ja auch nicht gemacht.“ (Andreas Herzog)
Doch Toni winkte nur ab, wusste er doch genau, was er bei seinem „Buam“ anders machen wollte als in seiner eigenen Karriere. Wenn Anton Herzog davon überzeugt war, dass sein Sohn es kann, dann konnte er es auch. Er pushte ihn und forderte ihn auf, Verantwortung zu übernehmen – um ihm in anderen Phasen, sei es aufgrund der körperlichen Kondition oder der Spielweise, nicht zu viel Druck zu machen. Für den jungen Andreas muss es damals jedenfalls die perfekte Mischung gewesen sein – und der richtige Weg, beginnend bei Admira Wacker in der Südstadt hin zum Sportklub Rapid nach Hütteldorf, eben der rechte Mix aus Zugehörigkeit, Anerkennung der Kompetenzen und Autonomie.
In diesem Zusammenhang bietet sich ein kurzer Blick über die Grenzen hinaus in die USA und hinein in den Staat New York an. Denn dort ergaben wissenschaftliche Untersuchungen an der Universität Rochester, dass sich Menschen besonders dann wohlfühlen, wenn sie ihr Leben beruflich wie auch privat selbst bestimmen können, in ihren Kompetenzen anerkannt werden und sich zu einer Gruppe zugehörig fühlen. Am glücklichsten sind diejenigen Menschen, die alle drei Bereiche auf einem besonders hohen Niveau sowie in der Balance leben können.
Wenn man sich dieser Tatsache bewusst wird, kann man verstehen, wieso sich der junge Andreas Herzog sehr schnell im 14. Bezirk wohlfühlte. Mit Oliver Scheriau und Andreas Huyer hatte er gleich zwei echte Freunde an seiner Seite, die ihm das Ankommen erleichterten – unschlagbar, bedenkt man, dass „Zugehörigkeit“ das wichtigste menschliche Bedürfnis ist. Nicht zu unterschätzen auch eine gewisse Autonomie,