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– Fall 1: Handelsbilanz verbindliche Regelung – Steuerbilanz keine Regelung: Gilt für die Handelsbilanz eine zwingende Vorschrift (Bilanzierungsgebot, -verbot, eindeutige Bewertungsregel) und existiert im Steuerrecht keine Vorschrift, gilt sowohl für den Ansatz dem Grunde nach als auch für den Ansatz der Höhe nach die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz.[1] Diese Fallgruppe repräsentiert das Maßgeblichkeitsprinzip in idealtypischer Weise.
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– Fall 2: Handelsbilanz verbindliche Regelung – Steuerbilanz verbindliche Regelung: Kennen sowohl das Handelsrecht als auch das Steuerrecht eine zwingende Norm, ist eine Fallunterscheidung zu treffen: Die beiden Regelungen können übereinstimmen (Fall 2a) oder voneinander abweichen (Fall 2b).
Sind die handelsrechtliche und die steuerrechtliche Regelung inhaltlich identisch (Fall 2a), treten keine Abgrenzungsfragen auf. Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz wirkt in dieser Situation lediglich deklaratorisch.[2]
Sind für die Handels- und Steuerbilanz jeweils verbindliche Regelungen kodifiziert und unterscheiden sich diese (Fall 2b), ist für die Handelsbilanz die handelsrechtliche Norm und für die Steuerbilanz die steuerrechtliche Vorschrift anzuwenden.[3] Ist der Wertansatz in der Steuerbilanz nicht mit den handelsrechtlichen Regelungen vereinbar, liegt eine Durchbrechung der Maßgeblichkeit vor.
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– Fall 3: Handelsbilanz verbindliche Regelung – Steuerbilanz Wahlrecht: In der Situation, in der einer verbindlichen handelsrechtlichen Vorschrift ein steuerrechtliches Wahlrecht gegenübersteht, ist die handelsrechtliche Vorschrift für die Steuerbilanz nicht bindend, vielmehr kann das steuerliche Bilanzierungs- oder Bewertungswahlrecht unabhängig vom handelsrechtlichen Wertansatz ausgeübt werden. Es besteht keine Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz. In Abhängigkeit davon, wie das steuerliche Wahlrecht ausgeübt wird, können die Handels- und Steuerbilanz übereinstimmen oder voneinander abweichen (§ 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 EStG).
Die Möglichkeit, steuerliche Wahlrechte unabhängig von der handelsrechtlichen Rechnungslegung ausüben zu können, gilt zum einen für die Verrechnung von überhöhten Abschreibungen (Sonderabschreibungen, erhöhte Absetzungen, Bewertungsabschläge), die Passivierung von steuerfreien Rücklagen und das im Umwandlungssteuergesetz bei bestimmten Umstrukturierungen gewährte Wahlrecht zwischen der Auflösung von stillen Reserven bzw der Fortführung der Buchwerte. Bei diesen Wahlrechten handelt es sich um Lenkungsnormen, die dazu dienen, Investitionen zu fördern oder eine Behinderung von unternehmerischen Umstrukturierungen zu vermeiden. Für diese auf dem Lenkungszweck der Besteuerung beruhenden speziellen steuerlichen Wahlrechte gibt es seit der Aufhebung der umgekehrten Maßgeblichkeit in der Handelsbilanz keine vergleichbare Regelung mehr. Damit ist es folgerichtig, dass für diese speziellen steuerlichen Wahlrechte keine Bindung an die Handelsbilanz besteht.[4]
Nimmt der Steuerpflichtige eines der speziellen steuerlichen Wahlrechte nicht in Anspruch, stimmt der handelsrechtliche Wertansatz mit dem in der Steuerbilanz überein. Will er von dem positiven Zeiteffekt von überhöhten Abschreibungen und steuerfreien Rücklagen oder von den im Umwandlungssteuergesetz enthaltenen Wahlrechten profitieren, muss sich der Steuerpflichtige im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung für einen anderen Wert als in der Handelsbilanz entscheiden. Diese Wahlrechte bestehen nur für die Steuerbilanz, in der Handelsbilanz existieren derartige Wahlmöglichkeiten nicht. Der steuerbilanzielle Wert liegt unter dem Wertansatz in der Handelsbilanz.
Nach Ansicht der Finanzverwaltung können zum anderen auch alle anderen steuerlichen Wahlrechte unabhängig von der Vorgehensweise in der handelsrechtlichen Rechnungslegung ausgeübt werden.[5] Bei der Erläuterung des Inhalts des Maßgeblichkeitsprinzips wurde jedoch begründet, dass der zusätzlich zu berücksichtigende Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit (§ 38 AO) dazu führt, dass in der Steuerbilanz Wahlrechte so weit wie möglich zu vermeiden sind. Da für die steuerliche Gewinnermittlung dem Objektivierungsgedanken eine hohe Bedeutung zukommt, ist die Ansicht der Finanzverwaltung mit den Zielen der steuerlichen Gewinnermittlung nicht vereinbar. Die dadurch eingeräumten steuerplanerischen Gestaltungsmöglichkeiten werden aber von den Steuerpflichtigen selbstverständlich positiv beurteilt.
Voraussetzung für die Ausübung von steuerlichen Wahlrechten ist, dass die Wirtschaftsgüter, die nicht mit dem handelsrechtlich maßgeblichen Wert in der steuerlichen Gewinnermittlung ausgewiesen werden, in besondere, laufend zu führende Verzeichnisse aufgenommen werden. In den Verzeichnissen sind
– | der Tag der Anschaffung oder Herstellung, |
– | die Anschaffungs- oder Herstellungskosten, |
– | die Vorschrift des ausgeübten steuerlichen Wahlrechts und |
– | die Höhe der vorgenommenen Abschreibungen |
nachzuweisen (§ 5 Abs. 1 S. 2, 3 EStG). Wird das Verzeichnis nicht oder unvollständig geführt, kann das steuerliche Wahlrecht nicht genutzt werden. Das Verzeichnis ist zeitnah zu erstellen, eine nachträgliche Erstellung ist nicht ausreichend.[6]
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– Fall 4: Handelsbilanz Wahlrecht – Steuerbilanz verbindliche Regelung: Besteht für die Handelsbilanz ein Bilanzierungs- oder Bewertungswahlrecht, während die Steuergesetze für diesen Sachverhalt eine zwingende Vorschrift kennen, wird das handelsrechtliche Wahlrecht in der Steuerbilanz durch die verbindliche steuerliche Regelung verdrängt. Unabhängig davon, wie in der Handelsbilanz das dort bestehende Wahlrecht ausgeübt wird, ist der Wert in der Steuerbilanz derjenige, der für die steuerliche Gewinnermittlung vorgegeben ist.[7] Es kommt zu einer Einschränkung der Maßgeblichkeit. In Abhängigkeit von der Art und Weise der Ausübung des im Rahmen der handelsrechtlichen Rechnungslegung bestehenden Wahlrechts sind zwei Alternativen möglich. Wird handelsrechtlich aus den verschiedenen Möglichkeiten der Wert gewählt, der in der Steuerbilanz zwingend anzusetzen ist, stimmen Handelsbilanz und Steuerbilanz überein. Entscheidet sich der Bilanzierende handelsrechtlich für einen Wert, der zwar handelsrechtlich zulässig ist, aber von dem Wert abweicht, der für die Steuerbilanz vorgeschrieben ist, fallen die beiden Bilanzen auseinander.
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– Fall 5: Handelsbilanz Wahlrecht – Steuerbilanz keine Regelung: Gilt für die Handelsbilanz ein Bilanzierungswahlrecht und existiert steuerrechtlich keine Vorschrift, kommt es zu einer Einschränkung der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz. Für den Ansatz dem Grunde nach bedeutet dies, dass handelsrechtliche Ansatzwahlrechte für die steuerliche Gewinnermittlung nicht übernommen werden können, vielmehr ist in der Steuerbilanz die Bilanzierung eindeutig festgelegt:[8]
– |
Wirtschaftsgüter, für die
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