aa) Vorsitz
130
Der Vorsitz des (Minister-)Rates wird im Regelfall von einem Mitgliedstaat – in allen Ratsformationen – für die Dauer von sechs Monaten wahrgenommen (sog. „Ratspräsidentschaft“).[22] Eine besondere Ausnahme gilt für den Rat „Auswärtige Angelegenheiten“, bei dem der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik den Vorsitz dauerhaft führt (Art. 18 III EUV). Dem Vorsitzenden obliegt insbesondere die Koordinierung, Organisation und Moderation der Ratstätigkeiten und die interinstitutionelle Außenvertretung gegenüber Kommission und EP.
bb) Mehrheitserfordernisse
131
Für die Beschlüsse des (Minister-)Rates gibt es (im Wesentlichen[23]) drei verschiedene Mehrheitsbegriffe:
Abbildung 15: Mehrheitsbegriffe bei Ratsbeschlüssen (EU)
Mehrheitsbegriff | Anforderungen | Anwendungsbereich |
---|---|---|
einfach | Absolute Mehrheit der Mitglieder, also 14 bei 27 stimmberechtigten Mitgliedern; Stimmenthaltungen wirken wie Nein-Stimmen. | Eher technische Fragen wie Geschäftsordnung (Art. 240 III AEUV), aber auch bei Amtsenthebungsanträgen gegenüber Kommissionsmitgliedern (Art. 245 II AEUV).[24] |
qualifiziert | Mitglieder- und Bevölkerungsquorum (vgl. nachfolgenden Absatz) | Regelfall gem. Art. 16 III EUV |
einstimmig | Keine Gegenstimme (Enthaltungen sind unschädlich, Art. 238 IV AEUV) | Besonders wichtige Fragen wie z.B. Mitgliederaufnahme (Art. 49 EUV) |
132
Die sog. „qualifizierte Mehrheit“ gem. Art. 16 IV EUV setzt eine doppelte Mehrheit voraus:[25]
– | Zum einen müssen 55 % der Mitglieder (also der Staaten) dafür sein, also bei derzeit 27 Mitgliedern mindestens 15 (Staatenquorum). |
– | Zum anderen müssen diese Staaten mindestens 65 % der Gesamtbevölkerung der EU repräsentieren (Bevölkerungsquorum), oder eine Mehrheit von mindestens 24 Staaten bilden.[26] |
Erfolgt der Beschluss nicht auf Vorschlag der Kommission oder des Hohen Vertreters der Union für Außen und Sicherheitspolitik, erhöht sich das Staatenquorum auf 72 % der Ratsmitglieder, also auf 20 der 27 Mitglieder (Art. 238 II AEUV).
aa) Koordinierung
133
Die Stellung des (Minister-)Rates als „Herzstück“ des EU-Institutionengefüges wird vor allem dadurch erkennbar, dass bei ihm – unbeschadet der übergeordneten Führungsrolle des Europäischen Rates – im „politischen Alltag“ sozusagen die Fäden zusammenlaufen. Denn der (Minister-)Rat ist für die Festlegung und Koordinierung der EU-Politik zuständig (Art. 16 I EUV). Dies gilt nicht nur für die EU-Organe, sondern betrifft auch die Koordination der Wirtschaftspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten (Art. 5 I UA 1 AEUV). Hier liegt eine starke exekutive Tätigkeit des (Minister-)Rates.
bb) Rechtssetzung
134
Die Stellung des (Minister-)Rates bei der Rechtssetzung korrespondiert mit der bereits dargelegten Rolle des EP (s.o., Rn. 109 ff.). So kommt ein Rechtsakt im Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gem. Art. 289 I AEUV nur durch eine „gemeinsame Annahme“ von (Minister-)Rat und EP zustande, weshalb hier beide Organe gleichgewichtig beteiligt sind (näher zum Verfahren s.u., Rn. 217 ff.).
135
Beim Besonderen Gesetzgebungsverfahren gem. Art. 289 II AEUV ist dies jedoch anders. Hier liegt der Erlass des Rechtsaktes entweder beim EP oder beim (Minister-)Rat mit jeweiliger Mitwirkung des anderen Organs. Allerdings bedürfen Gesetzgebungsakte des Parlaments, die ohnehin nur einen sehr engen Anwendungsbereich im Bereich des Parlamentsrechts haben, stets der Zustimmung des (Minister-)Rates (s.o., Rn. 115). Demgegenüber hat das EP bei Gesetzgebungsakten des (Minister-)Rates, die die Verträge an zahlreichen Stellen und in politisch wichtigen Fragen vorsehen,[27] meistens nur ein Anhörungsrecht.[28] Hieraus ergibt sich die noch bestehende Schieflage zwischen den beiden Gesetzgebungsorganen zugunsten des (Minister-)Rates als stärkeres Legislativorgan.
cc) Budget
136
Wie beim EP dargestellt (s.o., Rn. 116 ff.), wird der Unionshaushalt weitgehend gleichberechtigt von EP und (Minister-)Rat verabschiedet. Allerdings hat das EP die Möglichkeit, einen Widerspruch des (Minister-)Rates gegen eine Einigung des Vermittlungsausschusses (an dem der Ministerrat jedoch paritätisch beteiligt ist) mit 3/5-Mehrheit zu überstimmen. Folglich hat hier das EP einen leichten „Geländevorteil“.
dd) Organisation und Personal
137
Zunächst bedarf eine Reihe grundlegender Organisations- und Verfahrensvorschriften der Zustimmung des (Minister-)Rates oder wird von ihm sogar festgelegt. Dies gilt für die Statuten des EP (Art. 223 II AEUV) und des Bürgerbeauftragten (Art. 228 IV AEUV), für die Festlegung der Ausübung des Untersuchungsrechts durch Untersuchungsausschüsse des EP (Art. 226 UA 3 AEUV) und für die Verfahrensordnungen des EuGH und des EuG (Art. 253 f. AEUV).
138
Außerdem obliegt dem (Minister-)Rat die Bildung einiger anderer Unionsorgane.
– | So entscheidet er über die Annahme der (von den nationalen Regierungen erstellten) Vorschlagsliste zur Auswahl der Mitglieder des Rechnungshofes (Art. 286 II UA 2 AEUV). |
– | Außerdem ernennt der (Minister-)Rat die Mitglieder des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen. In beiden Fällen erfolgt die Ernennung wiederum auf der Grundlage einer Vorschlagsliste, die die Mitgliedstaaten erstellt haben (Art. 302, 305 UA 3 AEUV). |
139
Daneben ist der (Minister-)Rat für die Einsetzung und Organisation der in den Verträgen vorgesehenen Ausschüsse zu den verschiedenen Politikfeldern