In Art. 3 III UA 3 EUV ist zum einen das sogenannte „Kohäsionsziel“ verankert. Mit einer umfassenden Struktur(hilfen)politik versucht die EU, „eine harmonische Entwicklung der Union als Ganzes zu fördern“ (Art. 174 I AEUV). Insbesondere durch verschiedene Strukturfonds stellt die Union in großem Umfang Mittel zur Förderung der Strukturen in schwächeren Gebieten zur Verfügung; dabei handelt es sich jedes Jahr um ein gutes Drittel des EU-Haushaltes (von 2014–2020 zusammen ca. 325 Mrd. €).[17] Die einzelnen Kompetenzen dazu finden sich in Art. 174 ff. AEUV.
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Zum anderen bekennt sich die EU in Art. 3 III UA 3 EUV zur Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Aus diesem unionalen Solidaritätsprinzip folgt der Grundsatz einer ausgeglichenen Verteilung von Lasten ebenso wie von Vorzügen unter den EU-Staaten.[18] So sieht Art. 222 AEUV vor, dass bei Eintritt einer Katastrophe infolge eines terroristischen Anschlags oder eines Naturereignisses in einem EU-Land alle übrigen Mitgliedstaaten (auf entsprechende Anforderung) zur Hilfe verpflichtet sind. Allerdings zeigen die Probleme der Flüchtlingsverteilung auch noch Ausbauspielräume für das Solidaritätsprinzip.
c) Übrige Ziele
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Des Weiteren bekennt sich der EUV in Art. 3 III UA 4 EUV zur Wahrung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt sowie zum Schutz des kulturellen Erbes in Europa. Mit dieser programmatischen Aussage soll Befürchtungen vor einer Überharmonisierung der Union (wofür das EU-Recht allerdings auch keine Grundlage bieten würde) vorgebeugt werden.
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Mit Art. 3 IV EUV wird die Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion mit der gemeinsamen Währung des Euro auch auf Ebene der Unionsziele verankert. Damit wird primärrechtlich deutlich gemacht, dass langfristig alle EU-Mitgliedstaaten zum Währungsraum des Euro gehören sollen – auch wenn das angesichts der Eurokrise einerseits und der fortbestehenden nationalen Vorbehalte andererseits derzeit nicht absehbar erscheint. Die Einzelheiten der Wirtschafts- und Währungsunion sind (für die dem Euro beigetretenen Staaten) in Art. 136 ff. AEUV geregelt, insbesondere die Konvergenzkriterien und das für diese geltende Überprüfungs- und Feststellungsverfahren in Art. 140 AEUV.
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Die letzte Zielsetzung gilt dem außenpolitischen Wertefundament in Art. 3 V EUV. Dieses umfasst zunächst einen – wenn man so sagen will – eigennützigen Teil. Dazu gehören der Schutz und die Förderung der eigenen Werte und Interessen sowie der Schutz der eigenen Bürger. Zum anderen aber bekennt sich die EU zu einem umfassenden außenpolitischen Werte- und Zieleprogramm uneigennütziger Art. Danach leistet die Union „einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, zu freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen“.
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Verständnisfragen:
1. | Erläutern Sie die Bedeutung der EU-Ziele des Art. 3 EUV. (Rn. 66, 67) |
2. | Was versteht man unter dem „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“? (Rn. 70–74) |
3. | Inwiefern ist das Ziel des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ problematisch? (Rn. 75–77) |
4. | Was bedeutet der Begriff des „Binnenmarkts“ i.S.v. Art. 3 EUV? (Rn. 66 f.) |
5. | Mit welchen Instrumenten versucht die EU, das Binnenmarkt-Ziel zu erreichen? (Rn. 81–84) |
6. | Wie sind die sozialpolitischen Zielsetzungen gem. Art. 3 III UA 2 EUV in das Gesamtprogramm der EU-Ziele einzuordnen? (Rn. 85) |
Anmerkungen
Das bedeutet, dass die Rechtsbindung nicht („subjektiv“) zugunsten der einzelnen Bürger besteht, von diesen also nicht eingeklagt werden kann.
Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EU-Verfassungsrecht, EUV Art. 3 Rn. 1-5.
Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EU-Verfassungsrecht, EUV Art. 3 Rn. 8 f.
Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EU-Verfassungsrecht, EUV Art. 3 Rn. 15-21.
Vgl. Hoppe, in Bergmann (Hg.), Handlexikon, S. 806 (Sp. 2 f.)/807 (Sp. 1).
Hoppe, in Bergmann (Hg.), Handlexikon, S. 806, Sp. 2.
Hoppe, in: Bergmann (Hg.), Handlexikon, S. 804, Sp. 1.
BVerfGE 113, 273 – Europäischer Haftbefehl; vgl. die heutige Regelung in § 80 IRG.
BVerfGE 123, 267 (358) – Lissabon.
BVerfGE 123, 267 (411) – Lissabon.
Art. 2 EWG 1957 hatte den Wortlaut: „Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, eine beständige und ausgewogene Wirtschaftsausweitung, eine größere Stabilität, eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung und engere Beziehungen zwischen den Staaten zu fördern, die in dieser Gemeinschaft zusammengeschlossen sind.“
Pechstein, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 7.