Hinzu kommt als indirektes Kontrollinstrument die Möglichkeit des EP, gegen andere Organe vor dem EuGH vorzugehen (Art. 263 UA 2, 265 UA 1 AEUV, dazu s.u., Rn. 168).
ee) Fazit
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Somit ergibt sich in der Gesamtschau, dass das EP zwar noch Spielräume auf seinem Weg zu einem absolut vollwertigen Parlament hat. Dennoch ist angesichts der Dynamik der europäischen Integrationsentwicklung die bereits erfolgte erhebliche Stärkung des EP – die sicher noch nicht an ihrem Ende angelangt ist – zu würdigen und (gerade im Interesse des Demokratieprinzips) zu fördern.[17] Problematisch ist daher die zunehmend kritisch-abwertende Rechtsprechung des BVerfG gegenüber dem EP, wie sie im Lissabon-Urteil und überdeutlich in den beiden Sperrklausel-Urteilen zum Ausdruck gekommen ist.[18]
3. Europäischer Rat
Vertiefungshinweis:
Fischer/Fetzer, Europarecht, Rn. 73-79.
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Der Europäische Rat, der nicht mit dem (Minister-)Rat (nachfolgend) verwechselt werden darf, ist nicht in die legislative oder exekutive Tätigkeit der Union eingebunden, sondern schwebt als „politisches Leitorgan“[19] gewissermaßen über den anderen Organen. Denn der Europäische Rat „gibt der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten hierfür fest“ (Art. 15 I EUV).
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Diese herausgehobene Stellung des Europäischen Rates kommt auch in einigen zentralen Einzelbefugnissen besonders zum Ausdruck:
– | So kommt dem Europäischen Rat die Wächterrolle über die grundlegenden Werte der Union (vgl. Art. 2 EUV) zu, indem er schwerwiegende Verletzungen dieser Werte durch einzelne EU-Staaten feststellen und mit Sanktionen belegen lassen kann (Art. 7 II, III EUV). |
– | Außerdem kann er in begrenztem Umfang und mit Zustimmung der Mitgliedstaaten Änderungen der primärrechtlichen Verträge vornehmen (Art. 48 VI, VII EUV). |
– | Ebenfalls zu den Aufgaben des Europäischen Rates gehört eine ganze Reihe hochrangiger Personalentscheidungen. So hat er das Vorschlagsrecht für das Amt des Kommissionspräsidenten (Art. 17 VII UA 1 EUV), was eine empfindliche Einschränkung des entsprechenden Wahlrechts des EP bedeutet. Zudem wirkt der Europäische Rat bei der Besetzung des (Minister-)Rates mit (Art. 236 AEUV) und ist für die Ernennung und Entlassung des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zuständig (Art. 18 I EUV). Auch alle übrigen Kommissionsmitglieder werden vom Europäischen Rat nach Zustimmung des EP mit qualifizierter Mehrheit (s.u., Rn. 132) ernannt (Art. 17 VII UA 3 EUV). |
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Dieser politischen Führungsrolle entspricht auch die Besetzung des Europäischen Rates: In ihm versammeln sich mit den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten diejenigen, die an der Spitze der nationalen Exekutiven stehen und dort die politischen Richtlinien festlegen (vgl. Art. 65, 1 GG für Deutschland). Zudem gehört dem Europäischen Rat noch die Präsidentin der Kommission an (Art. 15 II EUV). Die Leitung des Europäischen Rates obliegt dem im Lissabon-Vertrag geschaffenen Präsidenten des Europäischen Rates. Der Präsident wird vom Europäischen Rat für 2 ½ Jahre mit der Möglichkeit der einmaligen Wiederwahl gewählt (Art. 15 V EUV). Er darf kein einzelstaatliches Amt bekleiden, sondern muss insoweit „neutral“ sein.[20]
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Der Europäische Rat tagt für gewöhnlich zweimal pro Halbjahr und wird stets von seinem Präsidenten einberufen (Art. 15 III EUV). Als ein Gremium, das sich als politisches Führungsgremium versteht, trifft der Europäische Rat seine Entscheidungen im Normalfall einvernehmlich (Art. 15 IV EUV). Dafür müssen nicht alle Mitglieder ausdrücklich zustimmen, aber es darf von keinem Staats- und Regierungschef (mehr) Widerspruch erhoben werden (die Kommissionspräsidentin und der Präsident des Europäischen Rates sind nicht stimmberechtigt, Art. 235 I UA 2 AEUV). Entsprechend internationalen Gepflogenheiten wird eben solange verhandelt, bis ein Konsens erreicht ist.[21] In Einzelfällen – insbesondere bei Personalentscheidungen – sind ausnahmsweise auch Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit gem. Art. 235 I UA 2 AEUV i.V.m. Art. 16 IV EUV vorgesehen.
4. (Minister-)Rat
Vertiefungshinweis:
Fischer/Fetzer, Europarecht, Rn. 80-101.
a) Bedeutung und Zusammensetzung
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Der (Minister-)Rat ist das zentrale Entscheidungsorgan der EU mit legislativen, aber auch exekutiven Aufgaben. Trotz aller Aufwertungen, die das EP in den jüngeren Vertragsrevisionen erfahren hat, ist der (Minister-)Rat als Gesetzgebungsorgan dem EP mindestens ebenbürtig oder teilweise sogar überlegen (s.u., Rn. 135). Man kann den (Minister-)Rat als föderales Gesetzgebungsorgan der EU ansehen und insoweit innerdeutsch mit dem Bundesrat vergleichen. Allerdings ist auf EU-Ebene der (Minister-)Rat (immer noch) stärker als das EP, während in Deutschland dem Bundestag (gegenüber dem Bundesrat) die stärkere Rolle zukommt. Zugleich muss man aber auch hier den weiten Weg anerkennen, den die heutige Organstruktur zurückgelegt hat: Früher war der (Minister-)Rat das einzige Gesetzgebungsorgan und muss diese Funktion nun weitgehend mit dem EP teilen.
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Dem (Minister-)Rat gehört pro Mitgliedstaat ein nationaler Regierungsvertreter auf Ministerebene an, der für sein jeweiliges Land verbindlich entscheidet und damit auch die Verantwortung dafür gegenüber dem Parlament und der Bevölkerung seines Staates übernimmt (Art. 16 II EUV). Je nach Thema und politischem Sachgebiet variiert die konkrete Besetzung des (Minister-)Rates (Art. 16 VI UA 1 EUV). Denn welcher Minister sein Land im (Minister-)Rat repräsentiert, hängt von der jeweiligen Ressortzuständigkeit ab. Geht es um Finanzfragen, besteht der (Minister-)Rat aus den Finanzministern der EU-Staaten, sind dagegen Umweltthemen betroffen, treffen sich im (Minister-)Rat die nationalen Umweltminister. Insofern tritt der (Minister-)Rat in (derzeit zehn) verschiedenen „Ratsformationen“ als jeweilige Fachministerkonferenz auf. Eine gewisse Koordinierung der verschiedenen Ratsbesetzungen erfolgt durch die Ratsformation „Rat Allgemeine Angelegenheiten“, in den die meisten Staaten ihren Außen- oder Europaminister entsenden (Art. 16 VI UA 2 EUV).
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Bei Fragen, für die in Deutschland ausschließlich die Länder zuständig sind, wird Deutschland im (Minister-)Rat durch einen fachlich zuständigen Landesminister (den der Bundesrat bestimmt) repräsentiert (Art. 23 VI GG).