Der Krimi in Literatur, Film und Serie. Stefan Neuhaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Neuhaus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846355565
Скачать книгу
Fotograf Thomas (David HemmingsHemmings, David) glaubt auf Aufnahmen einen Mord zu entdecken, tatsächlich findet er eine Leiche im Park. Allerdings wird bei ihm eingebrochen, die Aufnahmen und Negative werden gestohlen und auch die Leiche ist nicht mehr zu finden. Am Ende bleibt das Rätsel bestehen, ob er wirklich einen Mord fotografiert hat. Der metafiktionale und symbolische Charakter des Films wäre eine eigene Untersuchung wert. Lediglich erwähnt werden kann ein anderer offen konzipierter, mit Thriller-Elementen spielender Kult-Film: Mulholland DriveMulholland Drive von David LynchLynch, David aus dem Jahr 2001. Solche Filme nutzen die Genre-Traditionen und verfremden sie in einer für das eigene, künstlerische Konzept passenden Weise.

      Ins britische wie ins US-amerikanische Kino kommen auch Kriminalfilme, die zugleich Krimiparodien sind. Bedeutende frühe Beispiele sind Arsenic and Old LaceArsenic and Old Lace (Arsen und Spitzenhäubchen) von 1941, der aber erst 1944 gezeigt wurde (Regie: Frank CapraCapra, Frank, u.a. mit Cary GrantGrant, Cary und Peter LorreLorre, Peter), oder LadykillersLadykillers aus dem Jahr 1955 (mit Alec GuinnessGuinness, Alec unter der Regie von Alexander MackendrickMackendrick, Alexander). Auch das deutschsprachige Kino setzt, wenn es um Krimihandlungen geht, oft und immer mehr auf Humor. An der Grenze von Krimi und Komödie sind die Filme Helmuth AshleyAshley, Helmuths angesiedelt, die nach Motiven der Geschichten Gilbert Keith ChestertonChesterton, Gilbert Keiths den als Detektiv auftretenden Pater Brown in den Mittelpunkt rücken. Die Spielfilme Das schwarze SchafDas schwarze Schaf (1960) und Er kanns nicht lassenEr kann’s nicht lassen (1962) mit Heinz RühmannRühmann, Heinz gehören zu den Dauerbrennern im deutschen Fernsehen. Radikaler verfahren die 32 Edgar-WallaceWallace, Edgar-Verfilmungen der Rialto-Film aus den Jahren 1959-72, die Horst WendlandtWendlandt, Horst produzierte; bei 14 Filmen führte Alfred VohrerVohrer, Alfred Regie. In 13 Filmen spielte Joachim FuchsbergerFuchsberger, Joachim den Ermittler, viele bekannte Schauspieler*innen der Zeit sind in unterschiedlichsten Rollen vertreten. In 16 Filmen spielte Klaus KinskiKinski, Klaus einen Bösewicht. Die Wallace-Verfilmungen sind (anders als die Romanvorlagen) zugleich Kriminalfilme und Kriminalkomödien. Der eigene Stil entsteht durch selbst-parodistische Elemente, die durchaus fiktionsdurchbrechend sein können, etwa wenn Figuren das Geschehen kommentieren oder sich sogar an das Publikum wenden.

      Wie mit Zuschauererwartungen gespielt wird, lässt sich beispielsweise an Das indische TuchDas indische Tuch (1963, Regie Alfred VohrerVohrer, Alfred) kurz zeigen. Der Film basiert auf dem bekannten Muster des ‚locked room mystery‘. Mit Heinz DracheDrache, Heinz als Anwalt und Ermittler, Elisabeth FlickenschildtFlickenschildt, Elisabeth und vielen anderen bekannten Schauspieler*innen der Zeit ist er exzellent besetzt. Anders als gedacht entpuppt sich nicht der drogenabhängige Peter Ross (Klaus KinskiKinski, Klaus) als der gesuchte Serienmörder, der auf einem von der Außenwelt abgeschnittenen Schloss nach und nach eine ganze Adelsfamilie auslöscht, sondern der sympathische junge Lord Edward (Hans ClarinClarin, Hans). Zum Schluss wird testamentarisch verfügt, dass das Erbe der Familie an Edgar WallaceWallace, Edgar fällt, und die leeren Stühle um den Familientisch verbeugen sich.

      Die Edgar-Wallace-Verfilmungen wirkten selbst genrebildend, als Parodien der bereits (selbst-)parodistischen Filme waren Der WixxerDer Wixxer (2005, Regie Tobi BaumannBaumann, Tobi) und Neues vom WixxerNeues vom Wixxer (2007, Regie Cyrill BossBoss, Cyrill und Philipp StennertStennert, Philipp) an den Kinokassen erfolgreich. Oliver KalkofeKalkofe, Oliver, Bastian PastewkaPastewka, Bastian und Oliver WelkeWelke, Oliver schrieben die Drehbücher, Kalkofe und Pastewka spielten Hauptrollen, auch der aus den früheren Wallace-Filmen bekannte Joachim FuchsbergerFuchsberger, Joachim war im zweiten Film vertreten. Der Titel spielt parodistisch auf Der HexerDer Hexer an, in der Alfred-VohrerVohrer, Alfred-Verfilmung von 1964 war Fuchsberger der Ermittler.

      Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Grenze von Kriminalfilm und Kriminalkomödie fließend, etwa in Die Herren mit der weißen WesteDie Herren mit der weißen Weste (1970, Regie führte Wolfgang StaudteStaudte, Wolfgang) mit Martin HeldHeld, Martin als pensioniertem Richter, der es nach langer Zeit und mit illegalen Mitteln vermag, den Anführer einer Bande von Kriminellen, gespielt von Mario Adorf, hinter Gitter zu bringen. Das Drehbuch von Horst WendlandtWendlandt, Horst und Paul HenggeHengge, Paul erinnert an den Roman Der Richter und sein HenkerDer Richter und sein Henker (1952, wenige Jahre später vom Süddeutschen Rundfunk für das Fernsehen adaptiert). Bereits DürrenmattDürrenmatt, Friedrich zeigt, dass dem Übeltäter mit rechtmäßigen Mitteln nicht beizukommen ist. Auch wenn es bei Staudte nicht um Mord, sondern um Diebstahl geht und es eine Popularisierung und Wendung ins Humoristische gibt, wird deutlich, dass sich auch die Grenzen zwischen ‚Gut‘ und ‚Böse‘ nicht mehr so eindeutig ziehen lassen wie vorher.

      Ebenso fließend ist die Grenze zur Gesellschaftssatire, dies gilt beispielsweise für Helmut DietlDietl, Helmuts Schtonk!Schtonk! (1992), zu dem Spielfilm schrieb Regisseur Dietl mit Ulrich LimmerLimmer, Ulrich das Drehbuch. Die Produktion mit Starbesetzung (Uwe OchsenknechtOchsenknecht, Uwe, Götz GeorgeGeorge, Götz, Ulrich MüheMühe, Ulrich u.a.) beruht auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1983. Gezeigt wird, wie ein begabter Fälscher Hitlers angebliche Tagebücher an die Illustrierte HHpress (in Wirklichkeit war es der Stern) verkauft und ihm sein neues Umfeld – bestehend aus Journalisten, Verlagsleitung und exponierten Angehörigen des Besitz- wie Bildungsbürgertums – mit ebenso viel Sensations- wie Geldgier auf den Leim geht. Der Titel ist ein Charlie ChaplinChaplin, Charlies Satire Der große DiktatorDer große Diktator (1940) entnommenes, von ‚Stunk‘ abgeleitetes Kunstwort.

      Nicht nur durch Komik und Ironie werden aktuelle Strukturen der gesellschaftlichen Ordnung problematisiert. Ebenso wie Schtonk! ist der Thriller Der SandmannDer Sandmann (1995) von Regisseur Nico HofmannHofmann, Nico, mit Götz GeorgeGeorge, Götz in der Hauptrolle, als Film über die massenmediale Verarbeitung von Verbrechen konzipiert und darüber hinaus metafiktional. Eine junge, ambitionierte Journalistin macht eine Story über den Autor Henry Kupfer, der selbst eine Haftstrafe wegen Prostituiertenmordes verbüßt hat und Bücher über Serienmörder schreibt. Kupfer wirkt immer bedrohlicher und die Journalistin glaubt immer mehr, dass er tatsächlich ein gesuchter Serienmörder ist. Es stellt sich am Ende heraus, dass er ihr, sogar mit Hilfe ihrer Kolleg*innen, nur Angst eingejagt hat, damit sie ihn und sein neues Buch besonders medien- und werbewirksam vermarktet. Der Film nutzt die Techniken der Spannungserzeugung und führt sie zugleich als Techniken vor. Es handelt sich um einen Kriminalfilm und zugleich um einen Meta-Kriminalfilm, um einen Film über die Praktiken der Inszenierung von Verbrechen in den Massenmedien, im Buch und nicht zuletzt im Film selbst.

      Der deutschsprachige Kriminalfilm zeigt sowohl allgemein übliche als auch für die deutschsprachige historische und kulturelle Tradition besondere Muster gesellschaftlicher Ordnung, die in Frage gestellt und, in den als besonders herausragend angesehen wie prämierten Filmen, in der Regel nicht wiederhergestellt, sondern nachhaltig erschüttert werden. Der Diskurs über die Gültigkeit von Normen und die Konsequenz von Normüberschreitungen, über Täter und Opfer tendiert nur in vor allem der Unterhaltung verpflichteten, an gängige Schemata anknüpfenden Filmen zur Schwarz-Weiß-Zeichnung, zu einer klaren Verteilung der Schuld. Die konventionelle Zuschreibungspraxis von ‚Gut‘ und ‚Böse‘ funktioniert in den bekannteren Beispielen der verschiedenen Sub-Genres des Kriminalfilms nicht mehr. Dies ist schon an der Oberfläche erkennbar, wenn ein hegemonialer Diskurs, der durch geschriebene (Gesetze) oder ungeschriebene (Praktiken) Normen autoritär strukturiert ist, im Wortsinn vorgeführt wird. Es wird gezeigt, dass die ‚Dispositive der Macht‘ (Michel FoucaultFoucault, Michel) den Interessen einiger Weniger dienen, die sich an Schlüsselpositionen von Staat oder Familie befinden und die ihre Macht zur Unterdrückung von Individuen oder Gruppen ge- und missbrauchen. Auch die individuelle Tat ist nicht mehr nur individuell, sie ist in vielfältige Bezüge eingebunden und Bestandteil eines Diskurses über ‚Überwachen und Strafen‘, wie er für die ausdifferenzierten modernen Gesellschaften grundlegend geworden ist. Die Ordnungsrahmen einer „Disziplinierung des Todes“ (Foucault 1983, 165) werden ebenso sichtbar wie die Grundlagen einer „Bio-Macht“ (Foucault 1983, 167), in der „das alte Recht, sterben zu machen oder leben zu lassen, abgelöst [wurde] von einer Macht, leben zu machen oder in den Tod zu stoßen“ (Foucault 1983,