b) Auch Leistungsentscheidungen, mit denen der Staat (oder andere Hoheitsträger) in die Handlungs- und Gestaltungsfreiheit der Bürger interveniert (z. B. Subventionen, Förderung von freien Trägern) sind wesentlich und bedürfen der gesetzlichen Regelung. Für die Begründung oder Feststellung von Rechten reicht es allerdings nach der Rechtsprechung aus, dass in einem Haushaltsgesetz oder in einer Haushaltssatzung zweckgebundene Mittel bereitgestellt werden (z. B. im Hinblick auf Subventionen BVerwG NJW 1979, 2059 f.).
Sind im Haushaltsplan eines Kreises für die Bezuschussung von Altentagesstätten (§ 71 SGB XII) 50.000 € vorgesehen, ist die Verwaltung berechtigt und verpflichtet, diese Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen auf die verschiedenen Antragsteller zu verteilen.
§ 31 SGB I
c) Im Hinblick auf die Sozialverwaltung hat der Gesetzgeber alle Entscheidungen über Sozialleistungen einem besonderen Gesetzesvorbehalt unterworfen. Nach § 31 SGB I ist die Begründung, Feststellung, Änderung oder Aufhebung von Rechten und Pflichten nach dem SGB nur zulässig, soweit ein Gesetz sie vorschreibt oder zulässt. Dieser sozialrechtliche Gesetzesvorbehalt geht über die allgemeinen Grundsätze hinaus. Die öffentlichen Träger z. B. der Jugend- und Sozialhilfe dürfen aufgrund des sozialrechtlichen Gesetzesvorbehalts Sozialleistungen nur bewilligen und durchführen, wenn sich dies aus dem SGB ergibt, wenn also die fachliche Prüfung ergeben hat, dass die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind (zur sog. Steuerungsverantwortung s. III-3.3.4.4).
Im Rahmen des Jugendgerichtsverfahrens muss das JA frühzeitig prüfen, ob und ggf. welche Jugendhilfeleistungen für einen Jugendlichen oder sog. Heranwachsenden geeignet und erforderlich sind (§ 52 SGB VIII). Leistungen der Jugendhilfe sind zu erbringen, sofern die formellen und materiellen Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB VIII (nicht JGG!) vorliegen. Das JA muss diese Prüfung vornehmen und kann nicht vom Jugendrichter zur Durchführung einer Betreuung oder anderen Maßnahmen angewiesen werden.
2.1.2.2 Verhältnismäßigkeit
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet und hat Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 19, 348; 65, 54; 70, 286; 76, 50; 77, 334; 104, 347), und zwar auch im Hinblick auf die EU-Grundrechtecharta, wie der EuGH zuletzt in seiner geradezu historischen Entscheidung zum Sozialdatenschutz unter besonderer Hervorhebung des Verhältnismäßigkeitsgebots deutlich gemacht hat (EuGH C-293 / 12 u. C-594 / 12 – 08.04.2014; s. a. I-5 u. III-1.2.3). Er ist geradezu das vornehmste Prinzip der Rechtsanwendung in einer rechtsstaatlich organisierten Gesellschaft und bei allen Entscheidungen, Handlungen etc. der öffentlichen Hand (Staat, Kommune, öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungsträger) immer (in jeder logischen Sekunde) zu berücksichtigen. Besondere Bedeutung kommt ihm bei Eingriffen in die Freiheitssphäre der Betroffenen (zum Strafrecht vgl. IV-1.2) und bei Ermessensentscheidungen zu (vgl. 3.4.2). Auch (scheinbar) vom Wortlaut eines Gesetzes gedeckte Maßnahmen und (Ermessens-) Entscheidungen sind rechtswidrig, wenn sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Bei jeder „hoheitlichen“ Entscheidung und Maßnahme ist zu prüfen, ob diese geeignet, erforderlich und angemessen ist.
Geeignetheit
■ Geeignetheit: Maßnahmen und Leistungen sind nur zulässig, wenn sie geeignet sind, den vom Gesetz angestrebten Zweck zu erreichen. Sofern der Gesetzgeber (anders als z. B. in § 1 SGB VIII) den Zweck nicht selbst ausdrücklich formuliert hat, werden über die Frage, was die richtige Entscheidung oder die geeignete Maßnahme ist, oft unterschiedliche Auffassungen bestehen, die vom fachlichen und politischen Vorverständnis der Beteiligten abhängen (z. B. Geeignetheit von freiheitsentziehenden Maßnahmen für die angestrebte Legalbewährung im Hinblick auf die extrem hohen Rückfallziffern nach Vollzug der Freiheitsstrafe, vgl. OLG Schleswig NStZ 1985, 475). Gleichwohl darf die Entscheidung nicht nur auf Meinungen basieren, rechtliche Entscheidungen dürfen nicht „am grünen Tisch“ losgelöst von den empirisch nachweisbaren Zusammenhängen der Lebenswelt getroffen werden. Im Rahmen der Entscheidungsfindung müssen vielmehr die „außerrechtlichen“ Wirklichkeiten anerkannt werden.
Erforderlichkeit
■ Erforderlichkeit: Kann ein bestimmtes Ziel durch verschiedene, allesamt geeignete Vorgehensweisen erreicht werden, so darf nur diejenige ausgewählt werden, die die Betroffenen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt und zur Erreichung des Ziels unerlässlich ist. Die Intervention darf im Hinblick auf das gesetzliche Ziel weder überflüssig sein noch durch ein weniger einschneidendes, aber auch geeignetes Mittel erreicht werden können („So wenig wie möglich, so viel wie nötig“; zur sog. Subsidiarität staatlicher Interventionen s. a. 2.1.3). Bei der Auswahl der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten muss eine Verwaltung bewusst die Vor- und Nachteile der verschiedenen geeigneten Möglichkeiten abwägen und dann das am wenigsten einschneidende Mittel ergreifen.
Beispielsweise darf die Polizei nicht den sofortigen Abbruch einer Musikveranstaltung in einem Jugendheim verlangen, wenn es zur Vermeidung der Lärmbelästigung der Nachbarn ausreicht, die Fenster des Veranstaltungsraumes zu schließen. Sind in einer Heimeinrichtung im Hinblick auf die in ihr betreuten Kinder Mängel aufgetreten, so soll die Einrichtung zunächst beraten werden, wie die Mängel abgestellt werden können. Reicht das nicht aus, um die Mängel abzustellen, können und müssen zunächst (geeignete) Auflagen erteilt werden, bevor die Betriebserlaubnis widerrufen und das Heim geschlossen werden darf (vgl. § 45 Abs. 3 SGB VIII).
Angemessenheit
■ Angemessenheit: Der Nachteil, der durch eine geeignete und an sich erforderliche Intervention entsteht, darf nicht erkennbar in grobem Missverhältnis zu dem angestrebten und erreichbaren Erfolg stehen. Die Grenzen staatlicher Handlungen sind durch Abwägung der in Betracht kommenden Interessen der Betroffenen und des Gemeinwesens bzw. der öffentlichen Verwaltung zu ermitteln. Die öffentlichen Interessen müssen umso bedeutender und ihre Verwirklichung umso dringlicher sein, je stärker der Eingriff in eine geschützte Rechtsstellung wirkt.Ausdrücklich formuliert ist dieser Grundsatz z. B. in § 112 StPO: Danach darf die Untersuchungshaft trotz Vorliegen eines dringenden Tatverdachts und obwohl ein Haftgrund besteht nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht (zu den Grenzen der strafrechtlichen Zwangsmaßnahmen s. IV-3.3.1).
Die Polizei darf zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten nicht von der Schusswaffe Gebrauch machen, auch wenn dies das einzige geeignete Mittel wäre, diese zu verhindern. Bei der Entscheidung über die geschlossene Unterbringung eines psychisch kranken Straftäters sind das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit und der Freiheitsanspruch des Einzelnen gegeneinander abzuwägen. Hierbei ist es erforderlich, detailliert darzulegen, aufgrund welcher konkreten Tatsachen und mit welcher Wahrscheinlichkeit die Gefahr weiterer schwerer Straftaten besteht und aus welchen Gründen ambulante Hilfen außerhalb des Maßregelvollzuges nicht ausreichen (BVerfG NJW 1993, 778). Die geschlossene Unterbringung einer Person, die weder sich noch andere gefährdet, ist ungeachtet der scheinbar weitreichenden Rechtsgrundlage (§§ 1631b, 1906 BGB) unverhältnismäßig. Im Fall Gustl Mollath haben dies Gerichte und Ärzte missachtet. Das BVerfG (2 BvR 371 / 12 BvR – 26.08.2013) hat den Unterbringungsbeschluss des OLG Bamberg vom 26.08.2011 als unzureichend eingestuft, da das Gericht nicht ausreichend belegt und konkretisiert habe, warum von Mollath angeblich weiter die Gefahr künftiger rechtswidriger Taten ausgehe. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebiete es zudem, die Unterbringung nur solange zu vollstrecken, wie der Zweck der Maßregel dies unabweisbar erfordere und weniger belastende Maßnahmen nicht genügen. Im Hinblick auf die Vorratsdatenspeicherung hat der EuGH betont, dass