Grundzüge des Rechts. Thomas Trenczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Trenczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846387269
Скачать книгу
aber Ansprüche auf Integration in das deutsche Hilfesystem zu haben.

      Schengener Abkommen

      Ursprünglich nur völkerrechtlich verbindlich (s. 1.1.5.2), wurden mit den Schengener Abkommen (I von 1985, II von 1990) die stationären Personenkontrollen (also nicht die Zollkontrollen) an den Binnengrenzen abgeschafft und gleichzeitig an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten einheitliche Standards (einheitliche Einreisevoraussetzungen für Drittausländer, Intensivierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Polizei, elektronischer Fahndungsverbund) geschaffen. Dies führt einerseits zu Erleichterungen im Reiseverkehr der EU-Bürger, andererseits aber auch zu einer verstärkten Sicherung und Abschottung des EU-Gebiets vor der als bedrohlich angesehenen illegalen Einwanderung (vgl. auch Art. 3 Abs. 2 EUV). Mittlerweile ist der sog. Schengener Besitzstand in den meisten Mitgliedstaaten geltendes EU-Recht (nicht in Großbritannien und Irland; in Dänemark gilt „Schengen“ als völkerrechtliche Verpflichtung). Darüber hinaus sind dem Schengener Abkommen weitere Nicht-EU-Staaten beigetreten (z. B. Norwegen, Island und die Schweiz). Auswirkungen hat „Schengen“ insb. für das Ausländer/Zuwanderungsund Asylrecht (vgl. III-8) sowie das Strafverfahrensrecht (IV-1.3). Rahmenbeschlüsse, die auf der Grundlage der Bestimmungen des EU-Vertrages über die PJZS ergangen waren, verdrängen allerdings nationales Recht wohl nicht (str.; zum sog. Europäischen Haftbefehl vgl. BVerfG 18.07.2005 – 2 BvR 2236 / 04). Dieses wird allerdings z. T. aufgrund europäischer Vereinbarungen angepasst. So trat z. B. am 28.10.2010 das EuGeldG in Kraft, welches für Deutschland die grenzüberschreitende Vollstreckung insb. von Geldstrafen und Geldbußen in der Europäischen Union regelt und damit einen entsprechenden europäischen Rahmenbeschluss umsetzt.

      Europäisches Sozialrecht

      Obwohl die EU primär auf eine Wirtschafts- und Währungsunion ausgerichtet war und zu guten Teilen auch noch ist, ist sie als stabilisierender Faktor für Frieden, Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte (vgl. auch Art. 2 und 3 EUV) nicht hoch genug einzuschätzen. Ziel der EU-Regelungen sind vor allem die Sicherung des freien Warenverkehrs (Art. 28 AEUV), des freien Wettbewerbs (Art. 101 AEUV) und das Diskriminierungsverbot im Hinblick auf EU-Bürger (Art. 18 AEUV). Das Sozialrecht bleibt dagegen im Wesentlichen die Domäne der Mitgliedstaaten. Mittlerweile kann man aber durchaus von einem Europäischen Sozialrecht sprechen (vgl. Eichenhofer 2013b; Fuchs 2012; Schrammel / Winkler 2010; Waltermann 2012, 41 ff.). Immerhin setzt sich die EU zum Ziel, soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen zu bekämpfen sowie soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes zu fördern (Art. 3 Abs. 3 S. 3 EUV). Die Eingliederung des Abkommens über die Sozialpolitik durch den Vertrag von Amsterdam (vgl. Art. 151 AEUV) hat die Sozialpolitik gestärkt, ohne dass dies allerdings die Primärzuständigkeit der nationalen Gesetzgeber aufgehoben hätte. Gemäß Art. 153 Abs. 4 AEUV sind wesentliche Bereiche der Sozialpolitik einer europäischen Rechtsangleichung immer noch entzogen, wozu insb. weite Bereiche der sozialen Sicherungssysteme gehören. Der Schwerpunkt des europäischen Sozialrechts liegt in der Koordination der sozialen Sicherungssysteme (Art. 48 AEUV, VO EG 883 / 04 und DVO EG 987 / 09; ehemals VO EWG 1408 / 71 – 14.06.1971, s. o.), ohne die der Binnenmarkt, insb. die ArbN-Freizügigkeit, nicht funktionieren würde. Anspruchsbegründende Regelungen finden sich im sozialrechtlichen Teil des EU-Rechts nicht (z. B. schließt Art. 3 Abs. 5 der VO EG 883 / 04 die Sozialhilfe ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich aus). Die EU gewährt also keine originären Sozialleistungsansprüche, vielmehr richten sich diese nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten. Zu beachten ist allerdings neben den Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Abkommen (z. B. EFA, s. nachfolgend 1.1.5.2) insoweit auch Art. 7 Abs. 2 der Freizügigkeitsverordnung (EWG) Nr. 1612 / 68, wonach legal zugewanderte ArbN die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen genießen wie inländische ArbN. Die EU besitzt darüber hinaus eine Förderungsund Unterstützungspflicht sowie teilweise eine Harmonisierungszuständigkeit (vgl. Art. 153 ff. AEUV). Die Rechtsprechung des EuGH deutet zudem auf eine Einschränkung des Territorialprinzips des § 30 SGB I hin: EU-Ausland).Aus den (Waren-, Dienstleistungs- und Unionsbürger-)Freizügigkeitsrechten hat der EuGH (s. 5.1.1.2) mittlerweile eine sog. passive Dienstleistungsfreiheit abgeleitet, also das Recht zum Erwerb von Gesundheitsleistungen im EU-Ausland gegen Kostenerstattung durch die Sozialversicherung (z. B. Urteile v. 28.04.1998 – C 120 bzw. 158 / 95 bei Brillenkauf bzw. Zahnbehandlung) und damit mittelbar Rechtsansprüche für Empfänger insb. von Gesundheitsleistungen (Waltermann 2011, 44 ff.). Diese Rechtsprechung ist inzwischen auch schon im deutschen Sozialversicherungsrecht nachvollzogen worden (vgl. § 13 Abs. 4 SGB V,34 Abs. 1a SGB XI).

      Der aufgrund Art. 162 AEUV eingerichtete Europäische Sozialfond (ESF) ist hingegen kein sozialrechtliches Instrument, sondern ein politisches Steuerungsmittel mit dem Ziel, innerhalb der Union die berufliche Verwendbarkeit und Mobilität der Arbeitskräfte sowie die Anpassung an die industriellen Wandlungsprozesse und an Veränderungen der Produktionssysteme (insb. Finanzierung von Arbeitsmarktprogrammen) zu fördern.

      Europäisches Vergaberecht

      Nicht nur, aber eben gerade auch für den Sozialbereich relevant ist das europäische Vergaberecht, also die Regelungen, nach denen öffentliche Aufträge ab einem bestimmten Auftragswert (sog. Schwellenwert), der u. a. für soziale Dienstleistungen bei 750.000 € (ohne Mehrwertsteuer) liegt, nur nach vorheriger öffentlicher Ausschreibung vergeben werden dürfen. Das Vergaberecht beruht auf der RL 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe und wurde in Deutschland in den §§ 97 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und der Vergabeverordnung (VgV) umgesetzt (sog. Kartellvergaberecht). Grundprinzipen der europäischen Vergaberichtlinien sind die Transparenz, die Nichtdiskriminierung und die Chancengleichheit, damit öffentliche Auftraggeber möglichst wie Private am Markt auftreten und einen EU-weiten Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eröffnen. Auch im Sozialbereich ist eine zunehmende Tendenz zur Ausschreibung sozialer Maßnahmen und Projekte festzustellen (insbes. im Bereich der Arbeitsförderung bei den Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung, z. B. nach § 45 Abs. 3 SGB III; vgl. exemplarisch für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe auch von Boetticher / Münder 2009, 23 ff. und 73 ff.). Problematisch ist dabei, dass bestimmte Grundprinzipien des Sozialrechts wie das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten (§ 33 SGB I) sowie das Gebot der Pluralität des Leistungsangebotes und der Trägervielfalt (§ 17 SGB I) in Widerspruch zum vergaberechtlich grundsätzlich intendierten Exklusivitätsanspruch des Ausschreibungsgewinners für die Vertragslaufzeit stehen (von Boetticher / Münder 2009, 75). Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit dem Gebot der Nichtdiskriminierung bestand im Sozialbereich darin, dass die Ausschreibungsteilnahme von gemeinnützigen Trägern nicht zu gleichen Bedingungen möglich war. Denn die für die Preise des Leistungsangebotes durchaus relevanten steuerlichen Privilegien der Gemeinnützigkeit (§ 51 Abs. 2 AO i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 2 und § 2 Nr. 1 KStG) konnten bis zum Jahr 2009 nur von solchen Trägern in Anspruch genommen werden, die ihren Sitz oder zumindest ihre Geschäftsleitung in Deutschland hatten. Diese Ungleichbehandlung gegenüber (Non-Profit-)Anbietern aus einem anderen EU-Mitgliedstaat hat der EuGH als mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) und der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) nicht vereinbar eingestuft (vgl. EuGH 14.09.2006 – C 386 / 04 – Stauffer / FA München – NJW 2006, 3765 ff.). Mit Wirkung vom 25.12.2008 wurde dieses Problem beseitigt, indem gemäß § 5 Abs. 2 Nr.2 KStG auch (Non-Profit-)Anbieter aus anderen EU-Mitgliedstaaten in Deutschland die Gemeinnützigkeitsanerkennung und die damit verbunden Vorteile beanspruchen können.

      Europäisches Subventionsrecht

      Darüber hinaus sind im Hinblick auf die Förderung freier Träger (vgl. z. B. §§ 74 f. SGB VIII, § 5 SGB XII) die Vorschriften über die Gewährung staatlicher Beihilfen zu beachten. Insbesondere untersagt Art. 107 Abs. 1 AEUV den Mitgliedstaaten generell, nur bestimmten Unternehmen – also auch freien, gemeinnützigen Trägern – staatliche Beihilfen (Subventionen) zu gewähren, wenn dadurch der Wettbewerb verzerrt und der grenzüberschreitende Handel bzw. Dienstleistungsverkehr beeinträchtigt werden. Im Einzelnen ist hier noch vieles umstritten, so z. B. was alles unter den Begriff