Grundzüge des Rechts. Thomas Trenczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Trenczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846387269
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(Gründungs-)Verträgen (heute EUV und AEUV, die zusammen mit der EU-Grundrechtecharta [s. u.] das Fundament der EU bilden) sowie den Änderungsverträgen (zuletzt Vertrag von Lissabon 2007) mit Anhängen und sog. Protokollen sowie den Beitrittsakten, die in Deutschland jeweils nach Ratifizierung durch den Gesetzgeber (Bundestag und Bundesrat) wie auch in den anderen Mitgliedsländern der EU in Kraft traten. Das sekundäre Gemeinschaftsrecht sind die Rechtsnormen, die darauf basieren und von den Organen der EU (Ministerrat und Europäisches Parlament unter Mitwirkung der Kommission) erlassen werden. Art. 288 AEUV unterscheidet zwischen Verordnungen, Richtlinien, Beschlüssen, Empfehlungen und Stellungnahmen.

      EU-Verordnungen

      EU-Verordnungen (ältere VO bzw. RL aus den Zeiten der EWG bzw. EG behalten ihre alte Bezeichnung) haben allgemeine Geltung und sind – wie das über die Programmsätze hinausreichende primäre Gemeinschaftsrecht – in allen ihren Teilen in jedem Mitgliedstaat unmittelbar verbindlich (Gesetzescharakter, vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Verordnungen werden in der Regel auf Vorschlag der Europäischen Kommission vom Rat der EU und dem Europäischen Parlament im sog. ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen und im Amtsblatt der EU veröffentlicht.

      Von besonderer sozialrechtlicher Bedeutung war die VO EWG 1408/71 -14.06.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf ArbN und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die am 01.05.2010 durch die VO EG 883/2004 i.V.m. der VO EG 987/2009 abgelöst wurde. Zwar ist es allein Sache der Mitgliedstaaten, Art und Voraussetzungen der Sozialleistungsansprüche zu regeln, die VO EG 883/2004 stellt aber u. a. sicher, dass man bei einem Wechsel in einen anderen Mitgliedstaat seinen Krankenversicherungsschutz und seine Rentenansprüche nicht verliert (Zusammenrechnung von Beschäftigungs- und Versicherungszeiten).

      Zur Weiterentwicklung des koordinierenden Sozialrechts hat die EU-Kommission am 13.12.2016 einen „Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004“ vorgelegt (COM [2016] 815 final). Demnach sollen in der Verordnung 883/2004 u. a. die Rechtsprechung des EuGH zur Zulässigkeit von Ausschlüssen nicht erwerbstätiger Unions-Bürger von Leistungen der Sozialhilfe aufgenommen werden, ebenso Regelungen zur Koordinierung der Leistung bei Pflegebedürftigkeit und von Familienleistungen als Einkommensersatz, sowie die Möglichkeiten ausgedehnt werden, Arbeitslosengeld für längere Zeit auch im Ausland beziehen zu können. Der Diskussionsprozess um dieses Reformvorhaben wird sich voraussichtlich noch mehrere Jahre hinziehen. Zugleich wird er Aufschluss darüber geben, ob sich die Mitgliedstaaten angesichts der gegenwärtigen, u. a. durch den Brexit (s. o.) beflügelten Richtungsdiskussion auf eine Stärkung der EU als Sozialunion verständigen können oder nicht.

      Die sog. Brüssel- bzw. Rom-Verordnungen I, IIa und III regeln die Zuständigkeit von Gerichten und Behörden in der EU. Die sog. Brüssel-I-VO vom 22.12.2000 (EuGVO, EG-VO Nr. 44/2001) regelt die internationale Zuständigkeit der Gerichte gegenüber einem Beklagten, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU hat, sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen aus anderen Mitgliedstaaten. Die EuGVO wurde im Bereich des Ehe- und Kindschaftsrechts durch die Brüssel-IIa-Verordnung (EuEheVO) vom 27.11.2003 (in Deutschland seit dem 01.03.2005 in Kraft) ergänzt. Seit dem 21.06.2012 gilt die sog. Rom-III-Verordnung in 14 der Mitgliedstaaten (u. a. in Deutschland), nach der im Hinblick auf das anzuwendende Recht künftig stärker an den gewöhnlichen Aufenthalt und nicht vorrangig die Staatsangehörigkeit angeknüpft wird (hierzu 1.1.6). Auf dem Gebiet der gemeinsamen europäischen Asylpolitik ist insb. auf die (politisch umstrittene) sog. Dublin-III-Verordnung von 2013 zu verweisen, die seit dem 01.01.2014 unmittelbar anzuwendendes Recht ist und nach der u. a. grds. derjenige EU-Mitgliedstaat für ein Asylverfahren zuständig ist, in dem zuerst ein Gebietskontakt bestand bzw. Asylantrag gestellt wurde (hierzu IV-3.2).

      EU-Richtlinien

      Im Unterschied zu den EU-Verordnungen umreißen die EU-Richtlinien zunächst nur einen gesetzlichen Rahmen und verpflichten die nationalen Gesetzgeber zu einem Transformationsakt, durch den das nationale Recht an die jeweilige Richtlinie angepasst wird (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die EU-Richtlinien (früher EWG- bzw. EG-Richtlinien) richten sich deshalb zunächst nur an die Mitgliedstaaten, die bei ihrer Umsetzung in Abhängigkeit vom Inhalt einen gewissen Gestaltungsspielraum haben, wobei sie zur Umsetzung innerhalb einer bestimmten Frist – i. d. R. von 2 Jahren – verpflichtet sind. Neben dem Abbau von Handelshemmnissen haben die Richtlinien häufig eine verbraucherschützende Zielsetzung (vgl. z. B. Produkthaftungsgesetz, AGB gem. §§ 305 ff. BGB; Verbraucher- und Fernabsatzverträge gem. §§ 312 ff. BGB, hierzu II-1.3.1.1, oder Verbrauchsgüterkauf gem. §§ 474 ff. BGB, hierzu II-1.4.2.1) und etablieren europaweite Sicherheits- und Gesundheitsstandards (insb. in arbeitsrechtlicher Hinsicht, hierzu V-3). Für den Bereich der Sozialen Arbeit besonders bedeutsam waren/sind z. B.

      ■ 79/7/EWG vom 19.12.1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit;

      ■ 93/104/EG vom 23.11.1996: sog. Arbeitszeitrichtlinie (Auswirkungen auf den Schwerbehindertenzusatzurlaub aus § 125 Abs. 1 S. 1 SGB IX; BAG, 23.03.2010 – 9 AZR 128/09);

      ■ 97/81/EG vom 15.12.1997 (Teilzeitarbeit) und Richtlinie 2000/78/EG 27.11.2000 zum Schutz vor Diskriminierung wegen des Alters; vgl. hierzu EuGH, 19.01.2010 – C-555/07 und BVerwG, 25.03.2010 – 2 C 72.08);

      ■ 2000/43/EG vom 29.06.2000 sog. Antirassismus-Richtlinie sowie die Gender-Richtlinien 2002/73/EG und 2004/113/EG wurden durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom August 2006 (AGG) bislang nur teilweise umgesetzt (vgl. 2.1.2.4 u. IV-3.2);

      ■ 2004/38/EG vom 29.04.2004 über die Freizügigkeit von Unionsbürgern (s. u.);

      ■ 2008/52/EG vom 21.05.2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen (hierzu 6.2);

      ■ 2011/36/EU vom 15.04.2011 zur Bekämpfung von Menschenhandel und zum Opferschutz;

      ■ 2013/11/EU vom 21.05.2013 über Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (hierzu I-6);

      ■ 2013/33/EU vom 26.06.2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahme-Richtlinie, hierzu III-8.3)

      ■ 2014/54/EU vom 16.04.2014 über Maßnahmen zur Erleichterung der Ausübung der Rechte, die Arbeitnehmern im Rahmen der Freizügigkeit zustehen (s. u.).

      Heftig umstritten war die RL 2006/24/EG über die Vorratsdatenspeicherung (s. a. 2.2.5, III-1.2.3), durch die nationale Vorschriften der EU-Mitgliedstaaten zur Speicherung von Telekommunikationsdaten zugunsten einer effektiven Strafverfolgung vereinheitlicht werden sollten. In Deutschland war diese Richtlinie aufgrund des Widerstands der Bundesjustizminister/-in bis ins Jahr 2014 zunächst nicht umgesetzt worden, weshalb Deutschland von der EU-Kommission wegen Nichtumsetzung unter Androhung einer Millionenstrafe vor dem EuGH verklagt wurde. Allerdings hat der EuGH aufgrund einer Vorlage der obersten Gerichte in Irland und Österreich im April 2014 in einem geradezu historischen Urteil die RL für ungültig erklärt, weil die anlasslose Vorratsdatenspeicherung die Grundrechte auf Datenschutz und Achtung der Privatsphäre verletzt und gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstößt (EuGH C-293/12 u. C-594/12 – 08.04.2014; s. a. I-5 u. III-1.2.3). Demzufolge wird auch die Verfassungsmäßigkeit des nunmehr vorliegenden deutschen Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10.12.2015, das im Wesentlichen Änderungen der StPO und des Telekommunikationsgesetzes betrifft, von Kritikern bezweifelt. Jedoch blieben Eilanträge gegen das Gesetz vor dem BVerfG erfolglos. Nach Auffassung des BVerfG stellen sich auch nach der Entscheidung des EuGH vom 21.12.2016 hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bewertung noch Fragen, die nicht zur Klärung im Eilrechtsschutzverfahren geeignet seien (BVerfG 26.03.2017 – 1 BvR 3156/15