Grundzüge des Rechts. Thomas Trenczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Trenczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846387269
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verzichtet (für Deutschland vgl. Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG) und die Union mit eigenen, von den Mitgliedstaaten unabhängigen Machtbefugnissen ausgestattet. Gerade deshalb war der Lissabon-Vertrag in einigen Mitgliedstaaten, vor allem in Großbritannien, äußerst umstritten. Nach dem Urteil des BVerfG entspricht der EU-Vertrag, auch i. d. F. des Vertrages von Lissabon, den Vorgaben des Grundgesetzes, allerdings müsse durch entsprechende Begleitgesetze bei der Ratifizierung sichergestellt werden, dass die Beteiligungsrechte von Bundestag und Bundesrat sowie der Bundesländer gewahrt bleiben (BVerfG 2 BvE 2/08 et al. – 30.06.2009). Nachdem Tschechien als letzter Mitgliedstaat die Ratifizierungsurkunde im November 2009 hinterlegt hatte, konnte der Vertrag von Lissabon am 01.12.2009 in Kraft treten. Der EU fehlt allerdings die einen Staat kennzeichnende Allzuständigkeit und die Befugnis, sich selbst neue Zuständigkeiten zu verschaffen (sog. Kompetenz-Kompetenz). Sie ist daher noch kein staatlicher Verband, sondern ein zwischen diesen traditionellen Modellen von Staatenverbindungen einzuordnender Herrschaftsverband oder Staatenverbund (sog. supranationale Organisation; vgl. Borchardt 2015, 85; BVerfG 2 BvR 2134, 2154/92 – 12.10.1993 – Rz. 112), mit nunmehr – nach dem Beitritt Kroatiens zum 01.07.2013 – 28 Mitgliedstaaten und einer Bevölkerung von mehr als 500 Mio. Menschen.

      Organe der EU

      Die Hauptakteure im institutionellen System der EU sind die Organe der EU (Art. 13 EUV), insb. das Europäische Parlament, der Europäische Rat sowie der (sog. Minister-)Rat der Europäischen Union, die Europäische Kommission, der Gerichtshof der EU (EuGH, hierzu 5.1), die Europäische Zentralbank sowie der Europäische Rechnungshof (vgl. Borchardt 2015, 70 f.; Schulze et al. 2015, 41ff.). Im Zusammenspiel der Institutionen der EU stärkte der Lissabon-Vertrag durch das Budgetrecht sowie die Zuständigkeit für die Wahl des Kommissionspräsidenten (Art. 14 EUV) die Befugnisse des Europäischen Parlaments im Rahmen der Mitwirkung an der Gesetzgebung. Während das EU-Parlament ursprünglich nur ein Beratergremium war, wurde es nun ein (Mit-)Entscheidungsorgan, welches unmittelbar durch die Bürger der Union demokratisch legitimiert ist. Das Europäische Parlament besteht aus einer Kammer mit bis zu 750 Abgeordneten, die alle fünf Jahre (zuletzt am 25.05.2014) in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl gewählt werden (Art. 14 Abs. 3 EUV). Die Anzahl der Parlamentarier aus den einzelnen Mitgliedstaaten hängt von deren Bevölkerungszahl ab, beträgt jedoch mindestens sechs (Luxemburg, Malta, Zypern) und maximal 96 Sitze (Deutschland) pro Mitgliedstaat (Art. 14 Abs. 2 EUV). Das EU-Parlament wird (wie die EU insgesamt) für vieles kritisiert, was es nicht selbst zu verantworten hat (z. B. begrenzte Entscheidungskompetenz, hohe Kosten und Bürokratie aufgrund der drei Standorte [zwei Plenarsäle in Straßburg und Brüssel sowie ein Generalsekretariat in Luxemburg]). Zudem wird es von den nationalen Regierungen oft für nationale Themen missbraucht und musste sich seine Zuständigkeiten geradezu erkämpfen. In den letzten Jahren war es vor allem dem EU-Parlament zu verdanken, dass Regelungen zugunsten des Verbraucherschutzes nicht weiter ausgehöhlt wurden, z. B. die von der Kommission initiierte Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung, die Aushöhlung des internationalen Urheberschutzes durch das sog. Acta-Abkommen abgewehrt und eine einheitliche Bankenaufsicht geschaffen werden konnte. Anders als die nationalen Regierungen und Parlamente versucht das EU-Parlament zumindest, die Abhörpraktiken von NSA und britischen Geheimdiensten zu untersuchen.

       http://www.europarl.europa.eu/portal/de

      Der Europäische Rat, dem die Staats- und Regierungschefs sowie die Präsidenten von Parlament und Kommission angehören (Art. 15 EUV), hat einen eigenen Präsidenten (seit Dez. 2009, im März 2017 wurde Donald Tusk für eine zweite Amtszeit bis November 2019 wiedergewählt – gegen die Stimme seines Herkunftslandes Polen) und ist verantwortlich für die grundlegenden politischen Zielvorstellungen und Prioritäten der EU (z. B. Beitritt neuer Mitglieder, Art. 49 EUV, und Austritt von Mitgliedern, Art. 50 EUV, wie im aktuellen Fall des sog. „Brexit“ von Großbritannien), er wird aber nicht gesetzgeberisch tätig. Zusammen mit dem Rat der EU der Fachminister der Mitgliedstaaten (informell sog. Ministerrat) bildet er die eigentliche Regierung der EU, wobei der Ministerrat – zusammen mit dem Europäischen Parlament – gleichzeitig auch als Legislativorgan der EU fungiert (Art. 16 EUV). Während die Beschlussfassung im Europäischen Rat weiterhin grds. dem Konsensprinzip folgt (bei Personalentscheidungen qualifizierte Mehrheit), folgt das Verfahren zur Beschlussfassung im Ministerrat nach Ablauf einer Übergangszeit seit dem 01.04.2017 dem Grundsatz der sog. qualifizierten, „doppelten“ Mehrheit, wonach mindestens 55 % der Mitgliedstaaten, die mindestens 65 % der Bevölkerung der EU repräsentieren, den Gesetzgebungsvorschlag unterstützen müssen.Weiterhin einstimmig werden allerdings u. a. alle Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Steuern entschieden. Hintergrund für diese komplizierten und differenzierten Abstimmungsregeln ist zum einen der jeweils damit verbundene Verlust von Mitsprachemöglichkeiten bezüglich Regelungen, die gleichwohl im eigenen Land verbindlich gelten, zum anderen die Sorge der kleineren Mitgliedstaaten vor einer erdrückenden Dominanz durch die großen Mitgliedstaaten.

      http://www.consilium.europa.eu/de/european-council/, 27.06.2017

      Die Europäische Kommission (Art. 17 EUV) mit Sitz in Brüssel, die sich aus je einem (nicht von den nationalen Regierungen weisungsabhängigen) „Kommissar“ aus den 28 Mitgliedsländern zusammensetzt (zum Auswahlverfahren s. Art. 244 AEUV), hat im Wesentlichen exekutive Aufgaben, ohne schon als eigenständige Regierung gelten zu können. Sie hat allerdings das Initiativrecht zur Unionsgesetzgebung (Art. 17 Abs. 2 EUV, mitunter sogar die Verpflichtung; vgl. Art. 241 AEUV) und verfügt darüber hinaus über punktuelle, „abgeleitete“ Rechtssetzungsbefugnisse (Art. 290 AEUV). Die Kommission führt den Haushaltsplan der Union aus und verwaltet die EU-Programme. Darüber hinaus überwacht sie die Anwendung des Unionsrechts unter der Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs (hierzu 5.1.2). Schließlich vertritt die Kommission die EU in internationalen Organisationen. Hierzu besitzt sie einen Präsidenten mit Richtlinienkompetenz (seit 2014: Jean-Claude Juncker) sowie als ersten (von sieben) Vizepräsidenten den sog. Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, der somit eine Doppelzuständigkeit hat (Art. 17 f. EUV; seit 2009: Federica Mogherini). Nach Art. 17 Abs. 7 EUV wird der Präsident auf Vorschlag vom EU-Parlament für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Auch die Gesamtheit der Kommissarinnen (aktuell: 9) und Kommissare bedarf der Zustimmung des Parlaments vor ihrer Ernennung durch den Europäischen Rat (https://ec.europa.eu/commission/index_de).

      Die EU ist nicht zu verwechseln mit dem bereits 1949 statuierten Europarat (Conseil de lʼEurope) mit Sitz in Straßburg, dessen Aufgabe sich auf eine engere Zusammenarbeit seiner – über die EU hinausreichenden – derzeit 47 Mitglieder beschränkt. Hierbei fördert er den wirtschaftlichen wie sozialen Fortschritt sowie die europäischen Ideale, insb. die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – und die Europäische Sozialcharta, s. u.), deren Einhaltung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – EGMR – überwacht wird (s. 1.1.5.2, ebenso dort zum EuGH, dem Gerichtshof der Europäischen Union, https://www.coe.int/de/).

      Europarecht

      Als Recht der Europäischen Union oder schlicht Europarecht bezeichnet man die Gesamtheit des Europäischen Gemeinschaftsrechts (EU-Recht) und der sonstigen im Bereich der EU geltenden Rechtsnormen (hierzu Borchardt 2015, 71ff.; Haltern 2017; Schulze et al. 2015). Durch die der EU übertragenen Rechtssetzungsbefugnisse und gefördert durch die Rechtsprechung des EuGH konnte sich eine eigene autonome