Freiheit . Martin Laube. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Laube
Издательство: Bookwire
Серия: Themen der Theologie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846337714
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Wunder, dass die alttestamentliche Sklavengesetzgebung, soweit sie in der ältesten Gesetzessammlung, dem sogenannten Bundesbuch (Ex 20,22–23,33), enthalten ist, im Großen und Ganzen dem altorientalischen Gewohnheitsrecht entspricht, wie es etwa im berühmten Kodex Hammurapi (um 1700 v.Chr.) niedergelegt ist. Sklaven waren Unfreie, die ihre Herren nicht verlassen durften und rechtlich den Sachen gleichgestellt waren. Man durfte sie schlagen, verkaufen und sogar töten (vgl. mit Einschränkungen Ex 21,20f.). Die Freilassung von Sklaven ist demnach ein Rechtsakt, der der besonderen Regelung bedarf.

      So legt Ex 21,2–6 fest, dass ein »hebräischer Sklave«, der möglicherweise durch Schuldsklaverei in seine Lage gekommen ist (um Kriegsgefangene geht es hier offensichtlich nicht), im siebten Jahr seines Dienstes freigelassen werden soll, aber auf eigenen Wunsch auch bei seinem Herrn verbleiben kann, dann freilich dauerhaft. In Ex 21,7–11 sind Regelungen über die Sklavin angefügt, die grundsätzlich nicht unter die Pflicht zur Freilassung im siebten Jahr fällt, jedoch unter bestimmten Bedingungen ausgelöst werden kann. Diese Regelungen zur Sklavenfreilassung fallen übrigens in gewisser Hinsicht hinter die viel älteren Bestimmungen des Kodex |24|Hammurapi zurück, der für den Fall, dass eine Frau, ein Sohn oder eine Tochter als Schuldsklave verkauft wird, eine Freilassung bereits im vierten Jahr vorsieht (§ 117, vgl. TUAT I, 56f.).

      Es mag für heutige Leser überraschend sein, dass die alttestamentlichen Rechtstexte die Institution der Sklaverei nicht nur nicht kritisieren, sondern sie überhaupt nicht in Frage stellen. Sie gehörte offenbar zur gesellschaftlichen Realität, die indes in der Literatur- und Theologiebildung des Alten Testaments zunehmend vom Gedanken eines einheitlichen Gottesvolkes her umfassend relativiert oder gar missbilligt wird. Man muss demnach unterscheiden zwischen der empirischen sozio-ökonomischen Lage der Sklaven im antiken Israel und Juda, wie sie sich aus den besprochenen Rechtstexten, aber auch aus archäologischen Quellen rekonstruieren lässt, und der sich in den alttestamentlichen Texten niederschlagenden religiösen Theoriebildung. Letztere konnte und sollte zwar normsetzend auf die Realität einwirken und sie verändern, blieb aber dennoch in vielen Fällen nur Programm und Idee.

      So ist die Vermutung nicht abwegig, dass die Freilassung eines Sklaven im siebten Jahr etwas mit dem Sabbat zu tun hat, es also auf eine schöpfungstheologische Verankerung der Sozialgesetze ankommt. Ob und inwieweit diese Gesetze jemals angewendet wurden, entzieht sich unserer Kenntnis. Deutlich ist jedenfalls, dass die Regelungen des Bundesbuches Ex 20–23 – unbeschadet älterer in ihm enthaltener Rechtsüberlieferungen – in ihrer vorliegenden Gestalt von einem gemeinsamen Bewusstsein des Gottesvolkes bestimmt sind. Bekräftigt wird dies maßgeblich durch ihre jetzige literarische Position im Exodusgeschehen. Denn der im Sklavengesetz angeredete Israelit (vgl. das »du« in Ex 21,2) wird im Horizont der vorliegenden Exoduserzählung als der eben erst aus der ägyptischen Knechtschaft Herausgeführte und Befreite angesprochen, und er wird aufgrund dieser kollektiven Erfahrung sogleich in die soziale Pflicht genommen. Die Sklavengesetze enthalten also in ihren konkreten Formulierungen und in ihrer jetzigen literarischen Einbettung weniger tatsächlich praktiziertes Recht als vielmehr theologisches Programm: Sie dienen der Grundlegung der spezifisch israelitischen Bruderethik. Insoweit spiegeln sie auch die theologische Verarbeitung und Bewertung einer offenbar nicht erst aus |25|heutiger Sicht problematischen sozialgeschichtlichen Realität wider, wie man sie auch anderwärts im Alten Orient antreffen konnte.

      Illustrieren lässt sich diese zunehmende Theologisierung ursprünglich profanen Sozialrechts durch einen Blick auf die innerbiblische Rezeptionsgeschichte der Sklavengesetze im deuteronomischen Gesetz (Dtn 12–26) einerseits und im Heiligkeitsgesetz (Lev 17–26) andererseits (vgl. dazu insgesamt Otto 1994). So wird das Sklavengesetz aus Ex 21 in seiner rechtstheologischen Revision in Dtn 15,12–18 im Horizont der deuteronomischen Bruderethik verschärft: Der Sklave soll bei seiner Entlassung reichlich belohnt werden. Und nach Lev 25,39–55 darf es einen »hebräischen Sklaven« gar nicht mehr geben: »Wenn dein Bruder (!) neben dir verarmt und sich dir verkaufen muss, sollst du ihn nicht als Sklaven arbeiten lassen« (V. 39). Nur ein Status als »Tagelöhner« ist »bis zum Jobeljahr«, also bis zur Freilassung im siebten Jahr, erlaubt. Auch hier steht die spezielle israelitische Bruderethik im Hintergrund, bei der man wiederum fragen kann, ob und inwieweit sie überhaupt über ein theologisches Programm hinausgekommen ist. Immerhin zeigen Texte wie Jer 34,8–22, dass es sich bei der in Ex 21 vorgesehenen allgemeinen Sklavenfreilassung im siebten Jahr kaum um eine allgemein anerkannte Praxis gehandelt haben kann.

      Es ist schon notiert worden, dass die alttestamentlichen Gesetze über die Freilassung von Sklaven nicht zufällig im literarischen und sachlichen Zusammenhang der Herausführung des Gottesvolkes Israel aus Ägypten stehen: Weil Israel Sklave war im Land Ägypten und von Jahwe befreit worden ist, soll es sich – so explizit in der Geschichtstheologie des Deuteronomiums – um eine gute Behandlung der Sklaven (Dtn 15,15), ja der sozial Schwachen überhaupt bemühen. Hierin spiegelt sich eine besondere Hermeneutik der Erinnerung (zu diesem Phänomen vgl. Assmann 1992): Der Exodus als das Israel allererst konstituierende Befreiungshandeln Jahwes wird erinnernd vergegenwärtigt und aktualisiert, als sei jeder Israelit, auch Hunderte von Jahren später, selbst dabei gewesen. Erst durch diesen hermeneutischen Kunstgriff wird die Erfahrung des Exodus in ethisches Handeln transformiert. Damit ist bereits angedeutet, wie vielschichtig das Alte Testament die Überlieferung vom Exodus versteht.

      |26|3. Exodus und Befreiung

      Nach dem Zeugnis des Alten Testaments steht die Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft und Sklaverei am Anfang der Geschichte des Volkes Israel: In der Fremde konstituiert sich das Gottesvolk, und in der Fremde wird Jahwe zum Gott Israels (vgl. Hos 12,10), so dass der Ägyptologe Jan Assmann formulieren konnte: »Exodus und Sinaioffenbarung als die zentralen Ursprungsbilder Israels beruhen auf dem Prinzip der Exterritorialität« (Assmann 1992: 201). Was Assmann als »Ursprungsbild« der israelitischen Religion bezeichnet, nennt man in der alttestamentlichen Wissenschaft das »Urbekenntnis«: Jahwe hat Israel aus Ägypten heraus- oder heraufgeführt (vgl. zum Folgenden mit unterschiedlicher Akzentuierung Crüsemann 2001 und Becker 2006).

      Am Anfang war der Exodus, man könnte auch sagen: Am Anfang war die Befreiungstat Jahwes! Aber wie ist das genauer zu verstehen? Zwar gab und gibt es immer wieder Versuche, den Exodus historisch genauer zu fassen und überdies mit einem sozialrevolutionären Impuls zu versehen. So stand für Rainer Albertz am Beginn der Glaubensgeschichte Israels, noch in vorstaatlicher Zeit, »die Religion der befreiten Großgruppe« (Albertz 1992: 68–104). Sie setzte sich zusammen aus Kriegsgefangenen und gesellschaftlich Entwurzelten, die als Fronarbeiter im ramesidischen Ägypten tätig waren, dort ihrem Gott Jahwe, dem »Gott der Hebräer« (Ex 3,18) begegneten, unter der Führung Moses in die Freiheit zogen und ihren Freiheitsgedanken in die Stämme Israels einbrachten. Sieht man einmal von den heute problematisch gewordenen »befreiungstheologischen« Nebentönen dieses Konzeptes ab, kommt man bei einer kritischen Prüfung der Belege nicht um die Einsicht herum, dass die Exoduserzählung in Ex 1–14 kaum vor dem 7. Jahrhundert v.Chr. entstanden sein kann (vgl. Otto 2006: 27–42) und das sogenannte Urbekenntnis vom Auszug aus Ägypten weder alt noch umfassend ist. Denn die Glaubensformel findet sich fast ausnahmslos in späten, vor allem deuteronomistisch geprägten Literaturbereichen, ist also kaum vor dem 6. Jahrhundert v.Chr. belegt. Am häufigsten findet man sie im Buch Deuteronomium.

      Nun ist das, was das Alte Testament über den Exodus zu erzählen |27|weiß, sicherlich nicht gänzlich erfunden oder fiktiv; einen Anhalt an der Geschichte der ausgehenden Spätbronzezeit (ca. 1400–1200 v.Chr.) hat die Überlieferung durchaus. Denn in dem geographischen Raum, aus dem das spätere Israel hervorging, verband man mit dem Namen »Ägypten« vor allem zwei Dinge: Nahrung und Fronarbeit. In den Quellen gibt es Hinweise auf Fronarbeiter aus dem semitischen Raum; sie werden dort Hapiru genannt. Doch um im Dienste der Ägypter zu stehen, musste man nicht in Ägypten sein: Palästina selbst stand, wie die Amarna-Korrespondenz zwischen dem ägyptischen Hof und den kanaanäischen Stadtkönigen aus dem 14. Jahrhundert belegt (vgl. Weippert, Historisches Textbuch zum Alten Testament 125–147), in der damaligen Zeit unter der Oberherrschaft der Pharaonen, und selbstverständlich hatte die einheimische Bevölkerung – gewissermaßen die Vorfahren der späteren Israeliten – Frondienste zu leisten. Der allgemeine Erfahrungshintergrund für das,