Freiheit . Martin Laube. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Laube
Издательство: Bookwire
Серия: Themen der Theologie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846337714
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eher allgemein gehaltenen Zugriff auf die Freiheitsthematik der höchst auffällige und eine Erklärung verlangende Befund der Paulusbriefe entgegen. Weshalb verwendet Paulus und nur er im frühen Christentum den Wortstamm ἐλευθερ- in den genannten Briefen so eindeutig? Hat er den Freiheitsbegriff in das frühe Christentum eingetragen? Wodurch lässt er sich in der Verwendung des Begriffs leiten? Schließt er sich |41|an ein hellenistisches Verständnis an und trägt so auch zur Hellenisierung des Christentums bei?

      2. Zur Forschungsgeschichte

      Als erster wesentlicher wissenschaftlicher Beitrag zur Interpretation der Freiheit innerhalb der Theologie des Paulus kann ein Vortrag des liberalen Theologen Johannes Weiß aus dem Jahr 1902 angesehen werden, in dem unter anderem die Frage nach der Herkunft des Freiheitsbegriffs gestellt wird (zur Forschungsgeschichte insgesamt Jones 1987: 11–24; Coppins 2009: 18–45). Paulus habe, so Weiß, den Begriff aus der griechischen, vorwiegend stoischen Popularphilosophie entliehen, ihn im Wesentlichen als eine Freiheit von Abhängigkeiten verstanden, sodann allerdings in einen neuen Zusammenhang verpflanzt (vgl. Weiß 1902: 7–9.33). Rudolf Bultmann, der u.a. bei Weiß studiert hatte, gab in seiner 1958 erstmals erschienenen Theologie des Neuen Testaments der Freiheit eine zentrale Stellung im Lehrgebäude des Paulus (aber auch Schlier 1935: 492–500). Sie ist nach der Gerechtigkeit Gottes, der Gnade und dem Glauben das vierte Kennzeichen des glaubenden Menschen und wird in den §§ 38–40 im Einzelnen beschrieben als Freiheit von der Sünde, als Freiheit vom Tod und als Freiheit vom Gesetz. Bultmann orientiert sich hierbei an den Textaussagen des Paulus in Röm 5–8, denn es sei eindeutig, »daß sein Denken und Reden aus seiner theologischen Grundposition herauswächst, die sich ja auch in Rm einigermaßen vollständig expliziert« (Bultmann 1968: 191). Demgegenüber orientierte sich Mußner stärker am Galaterbrief und bezog das Befreiungsgeschehen zusätzlich auf die Befreiung von den dämonisierten Weltelementen (vgl. Mußner 1976: 28f.). Samuel Vollenweider hingegen legte in allen und stets grundlegenden Veröffentlichungen zum Thema Wert auf den Nachweis, dass Paulus seine Freiheitsaussagen in einem einigermaßen kohärenten Zusammenhang zum Ausdruck bringe, etwa demjenigen der Freiheit vom Gesetz (vgl. Vollenweider 1989: 21; ders./Link 1997: 502). Damit gehen in seiner Beschreibung des paulinischen Freiheitsverständnisses die Perspektiven auf die neue Schöpfung oder die Gotteskindschaft|42| als Folge des Befreiungsgeschehens einher, während in seiner letzten Publikation die Freiheit von dem Gesetz in ihrem Stellenwert innerhalb der Freiheitsbotschaft des Paulus eher abgeschwächt wird (vgl. Vollenweider 2000: 307). Gleichzeitig verwiesen andere darauf, dass im Freiheitsverständnis zwischen Galater- und Römerbrief Differenzen bestehen, so dass die Vorstellung eines einheitlichen, am Römerbrief gewonnenen Lehrsystems fraglich wurde und sich gleichzeitig die Annahme einer Entwicklung im paulinischen Denken Bahn brach. Dies betrifft vorwiegend das Verhältnis von Freiheit und Gesetz. In einem diametralen Gegensatz zu Bultmanns Ausgangspunkt bindet Jones alle Freiheitsaussagen des Paulus direkt an ein hellenistisches, auf die innere Freiheit bezogenes Verständnis (vgl. Jones 1991: 700).

      Paulus spricht über Freiheit in sehr unterschiedlichen Kontexten, aber thematisiert sie nicht in jedem Brief. Liegt seinem Denken überhaupt ein einheitliches christliches Freiheitsverständnis zugrunde? Oder bieten die Aussagen des Paulus situationsbedingte Adaptionen eines hellenistischen Freiheitsbegriffs (Betz 1994; Jones 1987; Coppins 2009)? Die ungefähr zeitgleich angefertigten Arbeiten von Jones und Vollenweider stimmen jedenfalls in dem religionsgeschichtlichen Urteil überein, dass die paulinische Freiheitsbotschaft vor einem hellenistischen Hintergrund zu verstehen sei (vgl. Jones 1987: 145; Vollenweider 1989: 21). Viel hängt natürlich von der Beantwortung der Frage ab, ob erst Paulus beides, Freiheitsverständnis und -begriff, in die christliche Theologie einträgt oder ob er auf frühchristlichen, möglicherweise sogar mit Jesus (so Niederwimmer 1992: 1053) in Verbindung stehenden oder ins hellenistische Judentum reichenden Voraussetzungen aufbaut. Der Befund deutet klar zur ersten Annahme hin: Paulus ist innerhalb des frühen Christentums der Theologe der Freiheit, und er hat Begriff und Sache in das christliche Denken eingeführt (vgl. Jones 1987: 16–18; Vollenweider 2000: 307). Daher wird besonderes Augenmerk auf das Vorkommen des Wortstamms ἐλευθερ- in den Korintherbriefen zu legen sein, in denen erstmals innerhalb der paulinischen Briefliteratur dieser Wortstamm bezeugt ist.

      |43|3. Kontexte von Freiheit in den Briefen des Paulus

      Mit der Entfaltung des Evangeliums in der missionarischen Verkündigung und in den Briefen an die ersten christlichen Gemeinden betrat Paulus zeitgeschichtlich einen Raum, der durch intensive Freiheitsdiskussionen und -theorien bestimmt war und in dem innerhalb der stoischen Philosophie die Freiheit in die Mitte jeglichen Denkens gestellt worden war. Vollenweider (vgl. Vollenweider 1989: 23–104) orientiert sich in seiner umfassenden Darstellung des Freiheitsverständnisses in der Stoa an der berühmten Rede Epiktets über die Freiheit (Epiktet, Dissertationes IV,1), in der das dominierende Weltbild der hellenistischen Antike zu greifen sei (vgl. Vollenweider 1989: 25). Verbindungslinien zu Paulus fallen sofort ins Auge, wenn etwa von der Freiheit als Gabe Gottes, der Gottessohnschaft des Freien, der Freiheit des Sklaven und der Relation des Freien zum Gesetz gesprochen wird. Das Kennzeichen des stoischen Freiheitsbegriffs ist gerade nicht die willkürliche Realisierung individueller Wünsche (»wie ich will«), sondern im Gegensatz dazu die völlige Unabhängigkeit des Einzelnen von allen Begierden, eine Freiheit von Zwang und äußeren Einflüssen, die einhergeht mit der Einfügung in Gottes Weltordnung. Vollenweider formuliert als ein Ergebnis seiner Untersuchung die These: »Die wirkungsgeschichtliche Schicksalsgemeinschaft von griechischer und christlicher Freiheit hat einen unverkennbaren genetischen Hintergrund: Die paulinische Freiheitsbotschaft verdankt sich historisch gesehen primär dem griechischen Freiheitsgedanken« (ebd. 397). Im Folgenden wird daher bei der Rekonstruktion und Darstellung des paulinischen Freiheitsverständnisses sorgsam darauf zu achten sein, in welchem Verhältnis seine Aussagen zum griechischen Freiheitsgedanken stehen.

      Der stoische Weise realisiert die Freiheit, wenn er die Unabhängigkeit von Zwängen und Begierden gewinnt und sich einordnet in die über ihn verfügten Gegebenheiten. Paulus jedoch rekurriert nie auf Freiheitskonzeptionen, die ursprünglich mit der menschlichen Natur verknüpft sind. Seinem Freiheitsverständnis liegt ein Befreiungsgeschehen zugrunde, das mit Jesus Christus verbunden wird und in ihm gründet (vgl. Betz 1994: 116,119). In |44|diesem Befreiungsgeschehen vollzieht sich ein Übergang von der »Knechtschaft« (δουλεία) zur »Freiheit« (ἐλευθερία). Diese Knechtschaft wiederum wird in Verbindung gebracht mit der Sünde, dem Gesetz und der Vergänglichkeit, mit dämonisierten Mächten, ja sie wird in Röm 5,12–21 mit der Schöpfungsgeschichte verknüpft, und dies zeugt insgesamt nicht von einem optimistischen Weltbild (vgl. Betz 1994: 118). Der Gebrauch des Verbs ἐλευθεροῦν (»befreien«) und des Substantivs ἀπελεύθερος (»der Freigelassene«) hat im Blick auf dieses Befreiungsgeschehen einen programmatischen Charakter (vgl. Schnelle 2003: 624). Erstmals in Gal 5,1 und geradezu in formelhafter Verdichtung schreibt Paulus: »Zur Freiheit hat uns Christus befreit.« Dieser Freiheit steht das Joch der Knechtschaft gegenüber, das die galatischen Christen in diesem Befreiungsgeschehen abgelegt haben. Röm 6,18.22 spricht im Blick auf die Christen von einer Befreiung von der Sünde und Röm 8,2 von einer Befreiung von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Röm 8,21 weitet das Befreiungsgeschehen sogar auf die gesamte Schöpfung aus, die von der »Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes« befreit worden ist. Auch in dem Adjektiv ἀπελεύθερος (»frei«) in 1Kor 7,22 kommt dieses Befreiungsgeschehen zum Ausdruck, da der Sklave als ein Freigelassener des Herrn angesprochen wird. Allerdings fällt bei fast allen angeführten Belegen auf, dass sie diese Freiheit in der Paradoxie einer neuen Bindung nennen, die in einer Knechtschaft zur Gerechtigkeit (vgl. Röm 6,18) oder für Gott (vgl. Röm 6,22), für Christus (vgl. 1Kor 7,22) oder für die Liebe (vgl. Gal 5,13) besteht. Es gehört folglich zur Struktur des paulinischen Freiheitsverständnisses, das Befreiungsgeschehen in paradoxaler Weise mit einer neuen Knechtschaft zu verbinden, so dass der ἐλεύθερος gleichzeitig wieder ein δοῦλος Χριστοῦ (»Sklave Christi«) ist (vgl. 1Kor 7,22).

      Dieses Befreiungsgeschehen wurzelt in dem sieghaften Ereignis von Tod und Auferstehung Jesu, dessen Ertrag als Erlösung,