Zur Unübersichtlichkeit der gegenwärtigen Diskussionslage trägt drittens die Disparatheit der vielerorts ausgetragenen Freiheitsdebatten bei. Nicht nur in der Theologie, Philosophie und Soziologie, sondern auch in den Literatur-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften werden intensive Auseinandersetzungen über das Verständnis von Freiheit geführt. Doch zum einen laufen diese Auseinandersetzungen nahezu berührungslos nebeneinander her: Bei der gegenwärtig abklingenden Kontroverse um die Willensfreiheit handelt es sich – aller öffentlichen Aufmerksamkeit zum Trotz – um einen klar umgrenzten fachphilosophischen Diskurs, der nicht einmal innerhalb der eigenen Disziplin anschlussfähig vernetzt ist. Im Gegenzug wird etwa die wirtschaftswissenschaftliche Frage nach dem systematischen Stellenwert der individuellen Wahl- und Handlungsfreiheit in der ökonomischen Theoriebildung ohne Rekurs auf entsprechende Diskussionen in benachbarten Fächern bearbeitet. Zum anderen scheint die einzige Gemeinsamkeit jener weitgefächerten Freiheitsdebatten darin zu bestehen, dass in ihnen höchst unterschiedliche, wenn nicht gar gegenläufige Interessenlagen und Zielsetzungen aufeinanderstoßen. Darin gelangt nicht zuletzt die notorische Unbestimmtheit des Freiheitsbegriffs zu sichtbarem Ausdruck. So ist ein erster Strang auf die Realisierung und Verwirklichung von Freiheit ausgerichtet. Nicht nur in der politischen Philosophie, sondern vor allem in der Ethik finden sich zahlreiche |6|Ansätze, welche auf die konsequente Ermöglichung und Durchsetzung individueller Freiheitsrechte gestimmt sind. Diesem Ruf nach einem Mehr an Freiheit treten im Gegenzug allerdings Positionen entgegen, die gerade ein Zuviel statt Zuwenig an Freiheit beklagen. Sie verweisen auf die problematischen Nebenwirkungen der Freiheit, welche sich individuell als Überforderung und gesellschaftlich als Desintegration äußerten. Die Agenda lautet hier auf Disziplinierung statt Realisierung der Freiheit. In diesem Sinne verschiebt sich etwa in der politischen Philosophie die Balance der französischen Trias von liberté, égalité und fraternité auffällig zugunsten der letzten beiden Glieder; die Sozialphilosophie betont die Angewiesenheit der Freiheit auf die fortdauernde Präsenz eines normativ-moralischen Hintergrundrahmens; und in der Rechtswissenschaft kreist die Grundrechtsdiskussion verstärkt um die Frage, ob angesichts der fortschreitenden Pluralisierung des gesellschaftlichen Lebens die Schutzbereiche der Freiheitsrechte nicht enger gezogen werden müssen. Ein dritter Strang nimmt hingegen den Begriff der Freiheit selbst in den Blick und arbeitet sich – nach dem Scheitern aller idealistischen Begründungsversuche – an der Einsicht in ihre paradoxe Fragilität ab: Sie ist sich selbst bleibend entzogen und hat doch die eigene Grundlosigkeit im aktuellen Vollzug immer schon überwunden – mit der Pointe freilich, dass sowohl die Bestimmungen, die sie aus sich entlässt, als auch die Bestimmungen, unter die sie sich stellt, nur durch den kontingenten Freiheitsvollzug selbst stabilisiert werden. Vor allem in der Theologie und Philosophie, aber auch in den Literaturwissenschaften gilt das Interesse so dem oszillierenden Ineinander von Freiheit und Ordnung, Kreativität und Form.
Schließlich fällt viertens eine eigentümliche Ambivalenz des gesellschaftlichen Freiheitsbewusstseins ins Auge. Auf der einen Seite gilt die Freiheit als höchste Errungenschaft und zentraler Leitwert der westlichen Moderne. In der eigenen Lebensführung wird sie geradezu selbstverständlich vorausgesetzt und in Anspruch genommen. Der Ruf nach gesellschaftlicher Realisierung von Freiheit prägt das weite Feld der politischen Auseinandersetzungen und Debatten. Auf der anderen Seite wird diese allgemeine Hochschätzung der Freiheit zugleich eigentümlich konterkariert. So mehren sich die Stimmen, welche die modernen Freiheitsräume des Einzelnen|7| zunehmend als Belastung empfinden. Der massive Zuwachs an Handlungs- und Wahlmöglichkeiten verschärft die Nötigung, Entscheidungen treffen und Verzicht üben zu müssen. In der Folge schlägt die Freiheit nahezu ins Gegenteil um: Statt von Zwang und Last zu befreien, erscheint sie selbst als Zwang und Last. Daneben tritt der auffällige Umstand, dass im Rücken der politischen Freiheitsrhetorik ein naturalistisch-deterministisches Weltbild an Boden gewinnt, welches dem Menschen das Vermögen zu einer solchen Freiheit gerade bestreitet. Exemplarisch dafür stehen die Ambitionen der Hirnforschung, die menschliche Willensfreiheit als bloße Illusion zu entlarven. In diesen Zusammenhang gehören aber auch die zahlreichen Versuche, menschliche Entscheidungen auf entwicklungsbiologische, tiefenpsychologische oder genetische Faktoren und Determinanten zurückzuführen. Zugespitzt formuliert: »Das emanzipatorische freiheitsfördernde Interesse der Moderne wird durch ihre destruktiven Tendenzen konterkariert, die den Freiheitsgewinn des homo politicus im gleichen Zug durch die überaus skeptische Einschätzung seiner anthropologischen Möglichkeiten paralysieren. […] Der Begriff ›Freiheit‹ wird zum Schlüsselwort einer verbreiteten Einstellung, die lautstark etwas fordert, wozu sie dem Menschen insgeheim die Fähigkeit abspricht« (Schockenhoff 2007: 21–23).
Die skizzierte Vieldeutigkeit des Freiheitsbegriffs, seine innere Dialektik und die äußere Disparatheit der Beschäftigung mit ihm machen nun zum einen verständlich, warum es auch in der Theologie kein geschlossenes Lehrstück zum Thema ›Freiheit‹ gibt. Sie ist vielmehr ortlos und omnipräsent zugleich. Das neuzeitliche Selbstverständnis des Protestantismus als ›Religion der Freiheit‹ bringt es zwar mit sich, dass nahezu alle theologischen Debatten und Problemzusammenhänge auf hintergründig wirksame freiheitstheoretische Implikationen und Bezüge hin aufgeschlüsselt werden können. Eben deshalb entzieht sich die Freiheit aber zugleich allen Versuchen ihrer thematischen Disziplinierung. Es gibt keinen festumrissenen Lehrbestand, der als Rahmen genutzt werden könnte, um die vielfältigen theologischen Traditionslinien und Debattenstränge übersichtlich zu ordnen und auf die gegenwärtige, ihrerseits komplexe Diskussionslage zu beziehen.
|8|Zum anderen schlägt sich darin der Umstand nieder, dass die Grundfrage nach dem Verhältnis des christlichen Freiheitsgedankens zum spezifisch neuzeitlichen Spektrum des Freiheitsbegriffs bisher keine allgemein geteilte Antwort gefunden hat. Lässt sich hier ein – wie spannungsvoll auch immer gelagerter – Zusammenhang aufweisen, oder stehen beide in einem unversöhnlichen Gegensatz zueinander? Die Frage ist keineswegs nur von geschichtlichem Interesse; mit ihr steht zugleich die Selbstverortung des Christentums im Horizont der eigenen Gegenwart zur Debatte. Findet die christliche Freiheit in der neuzeitlichen Autonomie ihre legitime Realisierungsgestalt, so dass die Moderne insgesamt als eine weitere Etappe innerhalb der Geschichte des Christentums begriffen werden kann? Oder verdankt sich die Durchsetzung des Autonomieideals gerade dem erklärten Widerspruch gegen die christliche Tradition und Überlieferung, so dass Moderne und Christentum einander mit wechselseitigen Überbietungsansprüchen gegenüberstehen? Mit der ungeklärten Debattenlage hängt schließlich noch ein letzter Punkt zusammen: Auch die Frage nach dem charakteristischen Profil oder spezifischen ›Mehrwert‹ des christlichen Freiheitsverständnisses setzt eine Verhältnisbestimmung zum neuzeitlich-modernen Freiheitsbegriff voraus. So wird man wohl von der Vorstellung Abstand nehmen müssen, dass dem Christentum als solchem ein höheres Wissen im Umgang mit der Freiheit eignet. Dazu haben sich die verschiedenen Traditionslinien zu sehr ineinander verwoben. Dennoch wird zu überlegen sein, ob ein besonderer Vorzug des christlichen Freiheitsverständnisses vielleicht darin liegen könnte, aus dem Bewusstsein um die Spannungen und Abgründe der Freiheit zugleich die Kraft für ihre lebendige Gestaltung zu schöpfen. Anders formuliert: Die christliche Freiheit erschließt eine Wirklichkeit von Freiheit, die allem Nachdenken über deren Möglichkeit uneinholbar vorausliegt.
|9|3. Überblick über die Beiträge des Bandes
Dem Gesamtkonzept der Reihe entsprechend behandelt der vorliegende Band das Freiheitsthema entlang der klassischen theologischen Teildisziplinen. Damit verbindet sich die Erwartung, die überreiche Fülle an Gedankenfiguren, Entwicklungslinien und Theorieansätzen aus je fachspezifischer Perspektive heraus strukturieren und pointiert zur Darstellung bringen zu können. Ergänzend treten zwei